Der Neue kommt von Goldman Sachs und tritt am Donnerstag sein Amt als CEO der Privatbank an. Seine To-do-Liste ist lang. Die Bank hat ein Kostenproblem, und auch noch nicht alle Altlasten aus dem Benko-Debakel sind beseitigt.
Die Erwartungen an Stefan Bollinger sind hoch. Der neue Mann an der Spitze von Julius Bär steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die traditionsreiche Privatbank war in den vergangenen Jahren nur noch mit angezogener Handbremse unterwegs. Sie verstand es zu wenig, vom Verschwinden der Credit Suisse im März 2023 zu profitieren.
Schuld daran ist nicht zuletzt René Benko. Wegen schlecht besicherter Kredite an den österreichischen Immobilienspekulanten René Benko musste die Bank Anfang 2024 rund 606 Millionen Franken abschreiben. In der Folge war der damalige CEO Philipp Rickenbacher seinen Job los. Es gab auch Rücktrittsforderungen an Romeo Lacher, den Präsidenten des Verwaltungsrates, da die Kredite offenbar mit seinem Wissen vergeben worden sind. Das hat die Bank viel Vertrauen gekostet. Bollinger, der am Donnerstag seinen Job als neuer operativer Chef von Julius Bär antritt, muss dieses wiederherstellen und zeigen, dass die Bank ihre Risiken im Griff hat.
Die Ernennung des 50-Jährigen für den Posten hat überrascht. Den grössten Teil seiner Karriere hat Bollinger im Ausland verbracht. Das nötige Rüstzeug bringt er aber mit. Mit 36 Jahren wurde er bei der amerikanischen Grossbank Goldman Sachs zum Partner ernannt. Zuletzt war er dort Co-Chef der Vermögensverwaltung für Europa, Nahost und Afrika.
Insbesondere in den deutschsprachigen Märkten, wo der Signa-Konkurs hohe Wellen geschlagen hat, muss er die Kunden erneut von den Qualitäten der Privatbank überzeugen. Noch wichtiger: Er muss es schaffen, dass die Kundenberater bei der zweitgrössten kotierten Bank der Schweiz wieder leistungsfähiger werden.
Immer wieder verweisen ehemalige Führungskräfte der Bank darauf. Während der Pandemie habe das Geschäft bei Julius Bär gut funktioniert, seit zwei Jahren herrschten dagegen Richtungslosigkeit und mangelnde Flexibilität. Ein ehemaliger Manager der Privatbank spricht von einer Übermacht der Compliance, welche im Unternehmen herrsche. Diese halte die Kundenberater stark zurück.
Die Finanzziele sind ausser Reichweite
Das zeigt sich beim Neugeld. Hier hat Julius Bär jüngst enttäuscht. Zwar hat sich die Privatbank vom unmittelbaren Vertrauensverlust durch den Benko-Abschreiber erholt. Nach einem schwachen Wachstum im ersten Halbjahr 2024 verwaltete die Bank Vermögen im Umfang von 474 Milliarden Franken. Bis im Oktober haben sich die Zuflüsse wieder etwas erholt: Die verwalteten Vermögen kletterten auf 480 Milliarden Franken.
Für 2024 könnte die Bank ihr anvisiertes Ziel von einem Wachstum der Nettoneugelder um 4 Prozent nicht ganz erreichen. Im November stellte Evie Kostakis, die Finanzchefin der Bank, ein Wachstum von 3 bis 4 Prozent in Aussicht. Wachsen will die Privatbank auch dank neuen Kundenberatern. 46 hat sie in den ersten zehn Monaten des Jahres angestellt. Das kostet.
«Für den neuen CEO sind die Kosten ein zentrales Thema», sagt Andreas Venditti, Analyst bei Vontobel. Momentan scheinen die Finanzziele, die Bollinger von Philipp Rickenbacher geerbt hat, ausser Reichweite. In den vergangenen Jahren sind die Kosten bei der Bank gestiegen, während die Erträge stagniert haben.
Das hat dazu geführt, dass sich die Effizienz der Bank zusehends verschlechtert hat. Per Ende Oktober 2024 lag das Kosten-Ertrags-Verhältnis von Julius Bär bei 71 Prozent. Die Bank muss also für jeden Franken Ertrag, den sie erwirtschaftet, 71 Rappen ausgeben. Bis 2025 wollte die Bank ursprünglich einen Wert von 64 Prozent erreichen.
Ansetzen bei der Geschäftsleitung
Bollinger tut gut daran, möglichst rasch Akzente zu setzen. Den ersten öffentlichen Auftritt vor Kunden und Investoren hat er bei der Präsentation der Jahreszahlen am 3. Februar. Realistisch ist, dass er spätestens nach vier Monaten, wenn die Bank ihren Zwischenbericht präsentiert, neue Ziele ausgibt.
Geht es um Kosten, wird immer wieder die überdimensionierte Geschäftsleitung von Julius Bär zum Thema. Im Herbst 2023 wurde sie unter Rickenbacher noch vergrössert, derzeit gehören ihr vierzehn Personen an. Sie sei zu gross für eine Bank dieser Grösse. Ein ehemaliger Manager der Privatbank erwartet, dass Bollinger das Gremium reorganisieren wird.
Venditti sieht für den neuen Chef jedoch kaum mehr Massnahmen, mit denen er einfach einsparen kann. Bereits beschlossen hat die Bank den Verkauf ihres Geschäfts in Brasilien. Käufer ist der dortige Banco BTG Pactual, wie Julius Bär am Dienstag bekanntgegeben hat. Ende November 2o24 beliefen sich die verwalteten Vermögen in dem Land auf 9 Milliarden Franken.
Vollständig zurückziehen will man sich allerdings nicht. Brasilianische Kunden würden künftig an anderen Standorten betreut, schreibt die Bank in einer Mitteilung. Für Analysten der Zürcher Kantonalbank ist es ein mutiger Schritt, dass die Privatbank Brasilien, einen ihrer Kernwachstumsmärkte, neu offshore betreut.
Laut der Bank wurde das brasilianische Geschäft während eines Jahres überprüft, bevor die Geschäftsleitung den Entscheid zum Verkauf gefällt hat. Um weiter wachsen zu können, hätte Julius Bär in Brasilien in eine eigene Banklizenz investieren müssen. Bislang war die Bank in dem Land nur als eine Art Vermögensverwalter lizenziert. Julius Bär war offenbar nicht bereit, dafür noch mehr zu investieren.
Die Finma nimmt sich Zeit
Um das Vertrauen der Kunden und Aktionäre in die Bank wiederherzustellen, wird für Bollinger entscheidend sein, wie rasch Julius Bär die Altlasten aus dem Benko-Debakel beseitigen kann. Insbesondere die Ergebnisse der Untersuchung der Finanzmarktaufsicht (Finma) sind noch ausstehend. «Warum dies so lange dauert, ist unklar», sagt Venditti. Seit Monaten verweise die Privatbank darauf, dass die Veröffentlichung unmittelbar bevorstehe.
Den Zeitpunkt der Veröffentlichung beeinflussen kann die Bank nicht. Im November hat Evie Kostakis, die Finanzchefin, in Aussicht gestellt, dass Julius Bär nach dem Abschluss der Finma-Untersuchung die Aktienrückkäufe wieder aufnehmen wird. Das könnte den Aktien zusätzlich Auftrieb verleihen, nachdem der Kurs in Erwartung des neuen CEO in den vergangenen Monaten bereits gestiegen ist.
Interessieren wird den Regulator unter anderem, ob die Privatbank die Prozesse bei der Kreditvergabe eingehalten hat. Macht die Finma Julius Bär zusätzliche Auflagen beim Risikomanagement, hat dies für Venditti auch Einfluss auf die Erträge der Bank. «Man müsste automatisch auf die Bremse stehen und Risiken zurückfahren», sagt er.
Das kann bedeuten, dass Julius Bär auf gewisse Geschäfte verzichten muss. Bollinger wird eine Balance zwischen Wachstum und Risiko finden müssen. Dass er sein Amt ohne interne Hausmacht antritt, kommt ihm dabei zugute: Er muss keine Rücksicht auf personelle Seilschaften nehmen.