Donnerstag, Oktober 31

Die Schweizer Privatbank leidet weiterhin unter dem Benko-Debakel – sowohl bezüglich Reputation als auch punkto Profitabilität. Genau das könnte nun zur Chance für ihre Aktien werden.

Nach dem Untergang von Credit Suisse im Frühling 2023 herrschte Konsens: Die grosse Profiteurin des Bebens auf dem Schweizer Finanzplatz wird neben UBS die Privatbank Julius Bär sein.

Neben Pictet und Lombard Odier verfügt sie als kotierte Schweizer Bank über die Expertise und die geografische Reichweite, um die anspruchsvolle Privatkundschaft von Credit Suisse aufzufangen, die im Zug der Fusion mit UBS die Bank wechseln will.

Es kam bekanntlich anders: Auf der Suche nach Sicherheit überschwemmten beunruhigte CS-Kunden zuerst die Kantonalbanken, die mit einer Staatsgarantie ausgestattet sind, mit Bareinlagen, um das Gegenparteirisiko zu minimieren.

Der Wettstreit um die treuhänderisch verwalteten Vermögen ist jedoch weiterhin in vollem Gang: Bei den kotierten Privatbanken findet er primär zwischen Julius Bär und EFG International statt. Diese ist zwar kleiner, aber ebenfalls auf reiche Privatkunden ausgerichtet.

Kundenberater anheuern

Nach einem jahrelangen Abbau rekrutierte EFG nach dem Untergang von Credit Suisse 2023 insgesamt 141 neue Kundenberater, rund ein Drittel von ihnen direkt von der gescheiterten Bank. Im ersten Halbjahr 2024 kamen 48 weitere Neuverpflichtungen von Private-Bankern hinzu.

Ganz ähnlich präsentiert sich das Bild bei Julius Bär. Auch bei ihr ist die Anzahl Kundenberater markant gestiegen: 2023 rekrutierte sie 95 neue Kundenberater, im ersten Halbjahr kamen 21 weitere dazu. Für das Gesamtjahr hat sie sich zum Ziel gesetzt, netto 50 bis 60 Neuanstellungen durchzuführen.

Auf dem gegenteiligen Pfad befindet sich UBS. Sie strafft die Anzahl Kundenberater seit Jahren – und ist nach dem Anstieg aufgrund der Integration von Credit Suisse erneut auf diesem Weg.

Die Neuanstellungen von EFG und Julius Bär sind ihr Mittel, die Vermögen von Kunden, die ihr Geld heute noch von Credit Suisse oder UBS verwalten lassen, in die eigene Obhut zu nehmen. Die Erwartung ist: Kundenberater, die die Bank wechseln, nehmen im Schnitt ein Viertel bis ein Drittel der von ihnen betreuten Vermögen zum neuen Arbeitgeber mit.

Vermögen kommen nur bei EFG an

Die Realität indes zeigt: Dieser Vermögenstransfer verlief bislang höchst unterschiedlich.

Trotz ähnlich aggressiver Neuverpflichtungen beschleunigte sich der Neugeldfluss bei EFG, zuletzt auf 7,3%. Bei Julius Bär hingegen versiegte er beinahe und betrug im ersten Halbjahr 2024 nur noch 1,7%. In den ersten Monaten dieses Jahres waren bei Bär netto sogar mehr Gelder abgeflossen, als neue dazukamen.

Von Skandalbank zu Skandalbank

Der Hauptgrund dürfte sein: Vor nahezu einem Jahr musste Julius Bär eingestehen, Kredite in Höhe von mehr als 600 Mio. Fr. an verschiedene Einheiten der Signa Holding vergeben zu haben. Fast ein Fünftel ihres Kernkapitals setzte sie damit mit letztlich einer einzigen Gegenpartei aufs Spiel: dem inzwischen konkursiten österreichischen Immobilienunternehmer René Benko.

An der Jahrespräsentation im Februar schrieb die Bank diese Kredite komplett ab, und Finanzchef Philipp Rickenbacher trat zurück. Zudem kündigte Bär an, komplett aus dem Bereich Private Debt auszusteigen, in dem die Benko-Kredite vergeben wurden.

Das Benko-Debakel hatte nicht nur den Jahresgewinn 2023 auf 453 Mio. Fr. halbiert, sondern auch das Vertrauen in die Bank sowie ihren Ruf beschädigt.

«Die negativen Schlagzeilen kamen zum dümmsten Augenblick für Julius Bär», sagt Andreas Venditti, Bankenanalyst von Vontobel: Die neuen Vermögensberater waren angestellt und mussten unter diesen schwierigen Vorzeichen die Kunden überzeugen, ihr Geld von Credit Suisse zu Julius Bär zu verschieben – quasi von einer Skandalbank zur nächsten.

Effizienz leidet

Die Einstellungsoffensive und der schleppende Neugeldzufluss drücken seit mehr als einem Jahr auf die Profitabilität von Bär. «Die Kosten für Neuanstellungen belasten ab dem ersten Tag. Doch profitabel werden neue Kundenberater erst über eine Periode von zwölf bis achtzehn Monaten», sagt Venditti. Dies, weil im Erfolgsfall dann genügend Gebühren generierende Kundenvermögen von der ursprünglichen Bank zum neuen Arbeitgeber gefolgt sind.

Das ist allerdings nicht das Einzige, was derzeit bei Bär harzt. Auch der Zinserfolg ist zur Jahresmitte kollabiert. Im Vergleich mit der Vorjahresperiode hat sich sein Gewinnbeitrag von 464 auf 223 Mio. Fr. mehr als halbiert. Dieser Einbruch war doppelt so ausgeprägt wie bei EFG.

«Mit dem Rückbau des Private-Debt-Geschäfts steigt Julius Bär aus einem kleinen, aber sehr hochmargigen Zinsgeschäft aus», sagt Analyst Venditti. Zudem vermutet er, dass die Bankführung unter der interimistischen Leitung von Nic Dreckmann nach dem Benko-Debakel die Risikobereitschaft reduziert hat. Das belastet das Ertragspotenzial grundsätzlich.

Gleichzeitig musste Julius Bär im ersten Halbjahr auf Einlagen höhere Zinsen bieten. Dies einerseits, weil Kunden vermehrt in länger laufende Festgelder umschichteten. Andererseits steht die Vermutung im Raum, dass Bär nach dem Reputationsschaden auf den Kontoeinlagen attraktivere Konditionen bieten musste, um Kunden zu halten. Das erinnert an den Vertrauensverlust bei Credit Suisse, die ebenfalls gezwungen war, einen überdurchschnittlich hohen Zins auf Bareinlagen zu leisten.

Auch wenn das Ausmass bei Bär nicht mit der letztlich fatalen Lage von Credit Suisse vergleichbar ist, zeigen sowohl das Thema Neugeld als auch die Entwicklung des Zinserfolgs: Die Reputation und die Risikofähigkeit einer Bank wirken sich unmittelbar auf das Gewinnpotenzial aus.

Zu befürchten ist zudem, dass die Negativschlagzeilen für Bär noch nicht vorüber sind.

Untersuchung der Finma

Die Finanzmarktaufsicht Finma untersucht die Vorgänge rund um die Kreditvergabe an Benko sowie die Risikokontrolle von Bär. Es wird erwartet, dass sie ihr Verdikt noch in diesem Jahr fällt.

Rein finanziell dürfte das Urteil der Finma für die Bank zwar kaum ins Gewicht fallen. Mit harschen Tönen ist aber zu rechnen, ebenso wie mit neuen negativen Schlagzeilen, die weiter am Ruf der Bank kratzen.

Aktienrückkäufe in der Schwebe

Für Verunsicherung sorgen zudem neue Anforderungen an das Eigenkapitalpolster der Bank. Ein wichtiger Pfeiler der Investment Story von Julius Bär ist die Rückführung von Kapital.

Die Titel bieten in der Regel eine steigende Dividende, zumindest aber eine Ausschüttung auf Vorjahresniveau. Dank der guten Kapitalausstattung der Bank konnte die Dividende im vergangenen, von Benko belasteten Jahr ungekürzt fliessen.

Darüber hinaus verspricht das Management, via Aktienrückkäufe Kapital zurückzuführen, das über eine Eigenkapitalquote von 14% hinausreicht.

Zur Jahresmitte hatte sich diese Quote nach dem Rückschlag des Benko-Abschreibers auf 16,3% erholt. Auf das Jahresende hin erwarten die Analysten, dass sie auf 16,6% steigen wird. Das böte reichlich Raum für Aktienrückkäufe: Im Schnitt rechnen die Analysten noch für dieses Jahr mit der Ankündigung eines Rückkaufs über 200 Mio. Fr. Für das kommende Jahr sehen sie sogar ein Potenzial von 500 Mio. Fr.

Das ist nahezu so viel, wie die Bank über Dividenden ausschüttet, und würde sich auf eine Rendite von jährlich rund 10% summieren. Die Analysten von Barclays sehen die Möglichkeit, dass bis 2026 nahezu 30% der gegenwärtigen Marktkapitalisierung von Bär an die Aktionäre zurückfliessen.

Der Haken dabei ist: Obwohl das Eigenkapital die Marke von 14% bereits jetzt klar übersteigt, hat das Management entgegen den Erwartungen noch kein Rückkaufprogramm angekündigt.

Viele Fragezeichen

Dazu gesellt sich eine weitere Unsicherheit: Ab Anfang 2025 gelten in der Schweiz die finalisierten Kapitalanforderungen von Basel III. Sprich, die Banken müssen ihre Aktiven mit mehr Eigenkapital unterlegen.

Die per Ende Jahr voraussichtlich sehr hoch ausfallende Eigenkapitalquote von Bär wird damit gleich zu Jahresbeginn um geschätzt 1,3 Prozentpunkte verringert. Das könnte das Rückkaufpotenzial halbieren – abhängig davon, an welcher Quote sich das Management orientieren wird.

Der Benko-Skandal, die folgende operative Schwäche sowie diese weiteren Unsicherheiten lasten massiv auf dem Kurs von Julius Bär:

Die Aktien hinken seit dem Signa-Debakel dem gesamten europäischen Bankenmarkt deutlich hinterher.

Was für eine Erholung spricht

Derzeit stehen alle Parameter gegen Julius Bär: Die Zinsmarge ist kollabiert, der Neugeldzufluss stockt, und die Profitabilität hat gelitten. Dazu gesellt sich, dass die Bank mit Stefan Bollinger im Juli zwar einen neuen CEO ernannt hat. Er wird die derzeitige Interimslösung beenden. Doch der Goldman-Sachs-Banker ist hierzulande noch kaum bekannt, und er wird seine Position bei Bär erst Anfang 2025 antreten.

Trotzdem hat der Aktienkurs von Bär jüngst etwas Schub entwickelt. Denn bei all den negativen Vorzeichen stimmt positiv: Normalerweise räumt ein neu antretender Konzernchef zuerst auf und versenkt alte Probleme ohne Rücksicht auf Abschreiber, um danach unbelastet voranschreiten zu können.

Angesichts des Benko-Debakels sowie der Untersuchung durch die Finma dürften bei Bär inzwischen alle Risikopositionen aber bereits mehrfach überprüft sein – und der gezügelte Risikoappetit das Rentabilitätsniveau schon gesenkt sowie die Erwartungen gedämpft haben.

Stimmt diese Einschätzung, stehen die Chancen gut, dass die Bär-Aktien künftig, ohne einen zusätzlichen Restrukturierungsrückschlag hinnehmen zu müssen, wieder anziehen. Denn das Geschäftsmodell der Privatbank ist auch nach Signa intakt, der Ausblick für die Zinsmarge nach dem Rückschlag zur Jahresmitte mittlerweile stabil. Ab nächstem Jahr erwarten die Analysten sogar wieder einen deutlich anziehenden Zinserfolg, ebenso wachsende Gebühreneinnahmen.

Denn das Neugeld, das trotz der Neuverpflichtung vieler Kundenberater bislang ausblieb, dürfte zu fliessen beginnen, sobald die Verunsicherung um die Bank abnimmt. Im Schnitt erwarten die Analysten bereits für kommendes Jahr eine Beschleunigung des Zuflusses auf mehr als 18 Mrd. Fr. – klar mehr als in den vergangenen Jahren.

Diese Entwicklung verspricht Ertragswachstum sowie die Rückkehr zu einer besseren Effizienz und damit zu wieder steigendem Gewinn.

Eine Gewinnverdoppelung im laufenden Jahr sowie danach ein Zuwachs von jährlich rund 15% sprechen für die Aktien – zumal das Potenzial von der Bewertung noch nicht vorweggenommen wird.

Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10 für das kommende Jahr notieren die Titel 10% unter dem langjährigen Schnitt – obwohl derzeit bei allen Geschäftsparametern Baisse herrscht und die Chancen auf Besserung intakt sind.

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