Mittwoch, Januar 15


Comeback

Die Verpackung unökologisch, der Inhalt Masse statt Klasse: Vor zwanzig Jahren liess sich kaum jemand gerne mit einer Büchse blicken. Heute sieht man sie vermehrt in den Händen von modernen Genussmenschen.

Ein blechernes Knacken, dann folgt ein Zischen. Ein unverwechselbares Geräusch: Jemand hat ein Bier geöffnet. Nicht irgendein Bier – ein Dosenbier, das metallisch schmeckende Gesöff im ökologisch zweifelhaften Blecheimer. Später kamen Prosecco, Wein und Energydrinks dazu, auch sie konnten, in Alu abgefüllt, das Image nicht verbessern: Aus der Büchse floss nichts mit Würde.

Das ändert sich gerade. In den Kühlregalen von New York, London und Kopenhagen, aber auch hierzulande stapeln sich hippe Dosengetränke in Pastellfarben, mit sanften Farbverläufen und minimalistischem Design, beschriftet mit serifenloser Schrift. Zu schön für den Alu-Container, schön genug für den Feed.

Es sind junge Softdrink-Startups, welche die Büchse neu für sich entdeckt haben. Aus ästhetischen Gründen, ja, aber nicht nur.

Gesundheit aus der Büchse

Seit 2000 habe sich die in Umlauf gebrachte Menge an Aluminiumverpackungen mehr als vervierfacht, schreibt das Bundesamt für Umwelt. Einen Boom erlebte dabei die Aludose, die noch ein Jahrzehnt zuvor als Umweltschreck diffamiert und mehr und mehr aus den Ladengestellen verbannt worden war. Konstant gewachsen ist dabei der Bier-Bereich und stark derjenige der Energydrinks. Das kollektive Gesellschaftsgefühl der Erschöpfung kommt den Energielieferanten offenbar zugute.

Der Einsatzbereich der Dose hat sich aber auch erweitert. Es sind nicht mehr nur Alkohol und Taurin, künstliche Aromen und haufenweise Zucker, die in Büchsen landen. Mit zucker-, kalorien-, kohlenhydrat- und alkoholarmen sowie umweltbewussteren Rezepten richten sich internationale, aber auch haufenweise Schweizer Marken mit proportionierten Getränken an eine Kundschaft, die mehr Wert darauf legt, was sie dem Körper zuführt.

Gesundheit aus der Büchse

Zum Beispiel sind da etwa die blau-gelben 33-cl-Dosen, die plötzlich überall herumstehen; im Klassenzimmer, im Büro, an der Bushaltestelle. Seit zwei, drei Jahren verführt der Schweizer Mate-Hersteller El Tony auch Menschen mit entwickelten Geschmacksknospen zu koffeinhaltigen Aufputschgetränken. Nur dass der energiespendende Rohstoff für dieses Getränk nicht im Chemielabor gemixt wird, sondern am Mate-Strauch in der Natur wächst. E-Ingredienzien und Haushaltszucker findet man in diesem Getränk nicht.

Vivi Kola treibt den Zeitgeist auf die Spitze: Für sein neues «AI Craft Soda» hat der Eglisauer Getränkehersteller Chat-GPT beauftragt, ein Rezept zu entwickeln, das den neuesten Getränketrends entspricht; kaum Zucker, vegan, mit «Health Benefits». Das Ergebnis: Eine präbiotische Limo mit Antioxidantien, die das Immunsystem stärken, eine gesunde Darmflora fördern und die Verdauung anregen soll.

Die Dose als Design-Stück

Ende 2023 hat auch Niklas Jung mit Kaisu ein koffeinhaltiges Getränk lanciert – auf Grünteebasis, frisch, lokal und im Cold-Brew-Verfahren aufgegossen, ohne ein Gramm Zucker. Dieses solle langanhaltende Energie ohne Herzrasen und Koffeinabstürze liefern, während das im Tee enthaltene L-Theanin bei der Entspannung helfe. «Flow State» nennt der Gründer des Luzerner Startups den Zustand der gleichzeitigen Entspannung und Konzentration. Verlockend ist zusätzlich die von ihm selbst gestaltete Dose, die mehr nach Design-Objekt denn Einwegverpackung aussieht.

Das ist mitunter ein Grund, der das Augenmerk auf die Getränkedose gelenkt hat: Im Vergleich zu den kleinen Etiketten bei Glasflaschen wird die Dose meist rundum kreativ gestaltet. «Die grössere Fläche hilft nicht nur, im Kühlregal hervorzustechen, sondern auch, sich gegenüber bekannten Brands zu differenzieren», sagt Niklas Jung. Das kommt gut an, selbst Design-affine Menschen zeigen heute gerne Dose. So hat es auch manch ein Craft-Beer geschafft, das Billig-Image eines Büchsenbiers abzulegen.

Zu den Getränkeherstellern, die auf wirkungsvolle Optik setzen, gehört auch das Zürcher Unternehmen Urban Lemonade. Seine lokal in der Schweiz produzierten Limonaden in den exotischen Geschmacksrichtungen Yuzu, Calamansi und Cocoa Sirsak wurden 2023 für den Design-Preis Schweiz nominiert. Die Limonaden und das Merchandise seien grafisch durchdacht gestaltet und in eine zeitgenössische Bildwelt eingebettet, so das Urteil der Jury. Gegründet wurde Urban Lemonade – es überrascht nicht – unter anderem von zwei Grafikdesignern: Jalscha Römer und Kevin Högger.

Keine Dreckschleuder mehr

Gestartet hat Urban Lemonade mit Glasflaschen, seit einem Jahr bietet die Marke zwei seiner Limo-Sorten auch in Dosen an. Das leichte Metall sei stapelbar und bruchsicherer als die Glasflasche, sagt Jalscha Römer. Was Kaisu, Urban Lemonade und andere junge Labels aber vor allem zur Dose brachte, ist deren Umweltbilanz. Obwohl die Gewinnung von Aluminium zwar noch immer sehr viel Energie braucht – als Umweltschreck gilt die Dose heute nicht mehr.

Die Alu-Industrie sei verantwortungsvoller geworden, schreibt Fredy Dinkel, Physiker und Umweltfachmann, der im Auftrag des Bundes die Aludose mit anderen Getränkeverpackungen verglichen hat. Aus ökologischer Sicht gehöre sie zu den Besten, sei mit Mehrweg-Glasflaschen und PET zu vergleichen – und habe die Einweg-Glasflasche schon überholt.

Die wohl wichtigste Eigenschaft des silbrig glänzenden Metalls aber ist: einmal gewonnen, kann es ohne Qualitätseinbusse unendlich oft rezykliert werden. Und da Schweizerinnen und Schweizer mittlerweile Weltmeister im Alu-Sammeln geworden sind, steht der Blechbüchse in hohen Dosen nichts im Weg. Für das Zischen braucht sich niemand mehr zu schämen.

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