Schon in jungen Jahren die Freiheiten der Pension geniessen? Besonders bei der Generation Z und den Millennials kommt die Idee an. Doch ein Miniruhestand sollte gut überlegt sein.

In einem Video schwärmt die Tiktokerin Anaïs Felt, dass sie sich noch nie so gut, gesund und ausgeruht gefühlt habe, wie jetzt nach ihrer bisher sechsmonatigen «Mikrorente». «Es ist toll, ich empfehle es sehr», sagt die junge Frau aus San Francisco.

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Felt spricht in ihrem Video einen Trend in der Arbeitswelt an: den Miniruhestand – im Englischen: «mini retirement» oder «micro retirement».

Ein Miniruhestand kann mehrere Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern. Das erinnert stark an ein Sabbatical. Ein Sabbatical wird aber oft nur einmalig und im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses genommen. Dagegen kündigen viele vor ihrem Miniruhestand den Job und suchen danach eine neue Stelle. Wer von dem Konzept des Miniruhestands spricht, möchte sich ausserdem meist regelmässige Auszeiten während des Berufslebens nehmen.

Der Gedanke dahinter: Man will Freizeit nicht erst für die letzten Lebensjahrzehnte aufsparen, sondern sie in kleinen Dosen vorziehen, solange man noch jung und fit ist.

Der Wunsch nach einer selbstbestimmten Karriere

Ganz neu ist die Idee zum Miniruhestand nicht. Schon 2007 benutzte der Autor Timothy Ferriss den Begriff in seinem Buch «The 4-Hour Work Week». Darin wirft er die Frage auf: «Warum nehmen wir nicht die üblichen 20 bis 30 Jahre Ruhestand und verteilen sie über das ganze Leben, anstatt alles fürs Ende zu sparen?»

Die Motivationen für einen Miniruhestand sind unterschiedlich. Manche suchen Erholung, wollen ein Burnout verhindern oder ihre Karriere neu ausrichten. Andere möchten sich dem Reisen oder privaten Leidenschaften widmen.

Das Konzept trifft besonders bei Millennials und der Generation Z einen Nerv. In den sozialen Netzwerken und in Zeitungen wird zurzeit über den Miniruhestand berichtet. Und der Trend ist nicht der erste dieser Art. Auch die «Fire»-Bewegung – kurz für «Financial Independence, Retire Early» – zeigt, dass junge Menschen die Idee vom Ruhestand neu denken wollen. Während «Fire»-Anhänger durch sparsames Leben möglichst früh aus dem Berufsalltag aussteigen wollen, geben «Rentner» im Miniruhestand ihre Ersparnisse laufend für kleinere Auszeiten aus.

Einen gemeinsamen Nenner haben die Trends: den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung.

Beweggründe hinterfragen

Die Psychologin Anita Glenck arbeitet als Beraterin und Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Sie sagt, heute wollten viele Menschen ihre Karriere flexibler, gesundheitsbewusster und sinnhafter gestalten. Das Konzept des Miniruhestands sei Ausdruck dieses Wandels.

Auch aufseiten der Arbeitgeber findet ein Umdenken statt. Angesichts des Fachkräftemangels herrsche heute zwangsläufig mehr Offenheit, sagt Glenck. Wie die Lücken im Lebenslauf bewertet würden, hänge jedoch von der Branche und dem Einzelfall ab. Wichtig findet sie, dass man sich Gedanken dazu macht, warum man eine Auszeit will. Möchte man seine Karriereziele überdenken, neue kulturelle Erfahrungen machen, eine Fremdsprache lernen? Wer das für sich benennen könne, könne es auch gegenüber einem Arbeitgeber besser verkaufen.

Oder ist man vielleicht überarbeitet und sehnt sich nach einer Pause? Viele Menschen, die zu Glenck in die Laufbahnberatung kommen, berichten vom Gefühl, in einem Hamsterrad festzustecken. «Dann kann es extrem hilfreich sein, einen Bruch zu machen und sich Zeit zu nehmen», sagt sie.

Eine langfristige Lösung gegen Burnouts sieht die Psychologin in einem Miniruhestand allerdings nicht. Wer sich dauerhaft gestresst fühle, solle vielmehr nach Wegen suchen, wie man die Belastung nachhaltig reduzieren könne. Beispielsweise indem man das Umfeld wechsle, Verantwortung abgebe oder über ein Teilzeitpensum nachdenke.

Lücke im Lebenslauf, Lücke in der Vorsorge?

Mit dem Wunsch nach einem Miniruhestand – sei das einmalig oder regelmässig – stellt sich für viele unweigerlich die Frage nach der finanziellen Machbarkeit. Die Tiktokerin Anaïs Felt schreibt, dass sie ihren Studienkredit abbezahlt habe und kinderlos sei. Ausserdem weist sie darauf hin, dass sie sich vor ihrem Miniruhestand ein ordentliches finanzielles Polster angelegt habe – allerdings ohne dies zu beziffern.

Kritiker mögen einwenden, dass der Miniruhestand ein Privileg von Gutverdienern ist. Martin Eling, Professor für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen, sagt: Berufliche Auszeiten seien grundsätzlich auch mit geringerem Einkommen möglich. «Aber das braucht eine sorgfältige, langfristige Planung und eine sehr klar definierte Lebensweise.»

Eine genaue Budgetplanung sei zentral: Man sollte festlegen, wie viel Geld man für die Auszeit ausgeben will und Fixkosten wie Miete, Krankenkasse, Versicherungen sowie länger laufende Verträge, zum Beispiel Autoleasing oder Handyabos, beachten.

Zusätzlich empfiehlt Eling, eine finanzielle Reserve zur Seite zu legen – für unvorhergesehene Ausgaben sowie für den Fall, dass man nach der Auszeit nicht sofort eine neue Stelle findet. Wie viel Geld man dafür einplanen sollte, hänge zum einen von der eigenen Risikopräferenz ab, andererseits aber auch von der wirtschaftlichen Lage in der Region und davon, wie gefragt die eigenen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt seien.

Und auch die Altersvorsorge sollte man nicht einfach auf später verschieben. Gerade regelmässige Auszeiten könnten dazu führen, dass sich Lücken in der beruflichen Vorsorge bilden, mahnt Eling. Umso wichtiger sei es, frühzeitig privat vorzusorgen und Geld für das Alter zurückzulegen.

So verlockend ein Miniruhestand klingt, man ist also gut beraten, nicht einfach blind den Lobliedern von manchen Influencern zu folgen. Die Auszeiten bieten nur zeitweilige Erholung und können finanzielle und berufliche Unsicherheiten mit sich bringen. Befürworter sehen darin trotzdem eine Chance, die Freiheiten des Ruhestands schon in jungen Jahren zu erleben.

Die Tiktokerin Anaïs Felt scheint übrigens keine Probleme beim beruflichen Wiedereinstieg gehabt zu haben. Als sie sich nach sechs Monaten bei den Top-Unternehmen in der Tech-Branche beworben habe, so sagt sie, habe sich niemand an ihrer Auszeit gestört.

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