La Rioja ist eines der klassischsten Weinanbaugebiete Spaniens und von Tempranillo geprägt. Doch wer glaubt, dass damit Langeweile einhergeht, liegt falsch. Denn junge Winzerinnen und Winzer experimentieren mit Garnacha und Viura, mit Finesse und uralten Reben.
Einmal im Jahr sieht man in Haro, einer berühmten Gemeinde in der Rioja, Hunderte und Aberhunderte Menschen mit Gläsern in der Hand von Bodega zu Bodega ziehen – anlässlich der Rioja Railway Wine Experience am Bahnhof der Stadt, wo sich mehr ehrwürdige Bodegas ballen als an irgendeinem anderen Platz dieser spanischen Weinbauregion. Nicht nur die üblichen Weinprobenangebote stehen auf dem Programm, sondern auch Kombinationen aus Speisen und feinsten Weinen, nicht zu vergessen Musik und gute Laune.
Wer glaubt, an diesem Tag spontan Zutritt zu erhalten zum Barrio de la Estación, dem Weindorf am Bahnhof von Haro, muss enttäuscht feststellen, dass die gar nicht einmal billigen Tickets lange im Voraus ausverkauft sind. Viel zu gut schmeckt halt, was die sechs teilnehmenden Weingüter ins Glas schenken – vielfach das Beste, was sie ausbauen. In erster Linie natürlich Rotes aus Tempranillo, der Prestigesorte der Rioja, mal etwas altmodischer vinifiziert, mal moderner. Eher elegant wie bei CVNE oder mineralisch wie bei Roda und Muga. In allen Fällen aber: mit viel Tradition.
Eine fast mystische Seltenheit
Aber muss es immer nur der übliche Rioja sein, dunkel, würzig, gut, aber so wie immer? Ganz oder weitgehend aus Tempranillo gewonnen, jahrelang in Fässern ausgebaut und anschliessend oft als Crianza, als Reserva oder als angeblich beste Version des Weines, als Gran Reserva, vermarktet? So etwas bestritten schon vor ein paar Jahrzehnten nachdenkliche Winzer und gaben zu bedenken, dass der ewig lange Fassausbau manchmal Nachteile schafft in jener Weinregion, die sich in drei Bereiche teilt und sich über rund hundert Kilometer in die Länge und gut vierzig Kilometer in die Breite erstreckt. Auf 66 797 Hektaren arbeiten 571 Weingüter – aufgeteilt in die Rioja Alta, die Rioja Alavesa und die Rioja Oriental. Die gesamte Weinbaufläche der Schweiz könnte man mehr als viermal in die Rioja packen.
Angesichts dieser Grösse wundert es nicht, dass viele unterschiedliche Wege beschritten werden. Auf die Zweifel am althergebrachten System des langen Ausbaus folgten schliesslich weitere Überlegungen, Experimente und Entdeckungen. Einige hatten mit den Reben zu tun. Schliesslich gab und gibt es ja noch andere Sorten als Tempranillo in der Rioja, und schon lange waren sie in kleinen Teilen drin in den Weinen, ohne dass man ihnen grosse Aufmerksamkeit zuteilwerden liess.
Honigwein und Sterneküche in der Provinz Rioja und deren nahen Umgebung
Restaurant Venta Moncalvillo
Gleich zwei Zweisternerestaurants existieren in der Rioja, neben allerlei nur mit einem Stern ausgezeichneten und vielen lediglich guten Lokalen. Das Restaurant Venta Moncalvillo befindet sich im Dorf Daroca de Rioja, hat ausser bei Events nur mittags geöffnet und zeigt nicht nur gern seinen grossen Garten, sondern demonstriert auch eine moderne, manchmal eigenwillige Küche. Natürlich stehen jede Menge Riojas im Keller, aber das Highlight unter den Getränken ist der hausgemachte, im Barrique gereifte Honigwein, der zwar nicht die Herkunftsbezeichnung DOCa Rioja auf dem Etikett trägt, aber dennoch ausgezeichnet schmeckt. Der Barriqueausbau bringt in diesem Fall die notwendige Würze, um die geringe Säure zu ersetzen.
Hotel Echaurren
Die Küche des zweiten Topbetriebes der Region wird von Francis Paniego geleitet. Das Restaurant El Portal ist längst zu einem der spannendsten Lokale südlich von Bilbao geworden. Hat die Gourmetabteilung des Hotels Echaurren geschlossen, lässt sich auch nebenan im (gehobenen!) Alltagsrestaurant einkehren.
Restaurant Rekondo
Wer freilich die grösste Rioja-Auswahl weit und breit erleben möchte, reserviert einen Tisch im Restaurant Rekondo in San Sebastián. Tausende von Riojas stehen hier auf der Karte, von anderen Weinbauregionen gar nicht zu reden. Uralter Viña Tondonia hat seinen lediglich auf Nachfrage erläuterten (hohen) Preis, aber einen weniger berühmten Rioja aus den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts bekommt man schon für deutlich unter 100 Euro.
Da wäre Garnacha, jenseits der Grenze in Frankreich als Grenache bekannt und im Priorato geradezu vergöttert. Wie gut der Wein reinsortig ausfallen kann, wenn er von alten oder uralten Reben stammt und in Höhenlagen mit reichlich verbliebener Säure in den Beeren gewonnen wird, kristallisiert sich immer klarer heraus. Da wäre aber auch noch Graciano, eine Sorte, von der es einmal viel gab, bevor sie an Beliebtheit verlor. Mittlerweile weiss man ihre Frische wieder zu schätzen; auf hohe und höchste Erträge kommt es den modernen Winzerinnen und Winzern sowieso nicht an.
Maturana Tinta ist noch viel rarer; die rote Rebe gilt als autochthone, fast mystische Seltenheit, ist nur mit Mühe zu finden. Auch der Mazuelo kann etwas, was beispielsweise die Winzer aus dem Süden Frankreichs wissen; dort kennt man ihn als Carignan und weiss, dass er sehr eigenständige Rotweine zu geben versteht, wenn man weiss, wie man ihn anschneidet, und zudem den Reben Zeit lässt, in ein gewisses Alter zu kommen.
Neue Ideen für eine alte Region
Einer, der mehr nachgedacht hat als die meisten, ist Eduardo Eguren, der mit dem Familienweingut Viñedos y Bodegas Sierra Cantabria eigentlich ausgelastet gewesen wäre, der aber lieber für sein Projekt namens Cuentaviñas Weinberge suchte, die etwas zu erzählen haben und von denen er erzählen kann. Zusammen mit seiner Frau Carlota González fand er eine ganze Reihe von Geschichten. Jene Lage etwa, in der rote und weisse Sorten vor vielen Jahrzehnten als Mischsatz gepflanzt wurden, eine andere mit uralten Garnachareben oder die, in der sich vorwiegend Viura und Malvasia tummeln und einen Weisswein ergeben, den die wenigsten in der von roten Reben dominierten Region auf dem Schirm haben.
Weissweine aus der Rioja galten ja lange als wenig attraktiv, als blosse Ergänzung der Roten – und noch heute verweisen viele Weingüter auf die Nachbarregion Rueda, fragt jemand nach Blanco. Dabei ist Viura eine Sorte, die hier viel Substanz erbringen kann. Weiss Eguren natürlich. Er weiss auch, dass Terroir und geringe Erträge das ganze Geheimnis darstellen. Na ja, fast das ganze. Eguren verbrachte Zeit in Australien, Frankreich und Kalifornien, weiss gut, wie man Frucht und Eleganz bewahrt, ohne die Charakteristik der Rioja aufzugeben.
Wenn er über seine Cuvées redet, dann stehen nicht Fasssorte und Länge des Ausbaus im Vordergrund, sondern die Zusammensetzung des Gesteins der jeweiligen Parzelle, die Exposition, das Jahr der Bepflanzung. Fragt man Eduardo Eguren dann, wie die Rioja in ein paar Jahren aussehen könnte, bekommt man viel Optimismus zu hören. «Cuentaviñas wurde aus der Notwendigkeit geboren, eine reichere und diversere Rioja zu verteidigen», erläutert Egurens Partnerin Carlota González. «Und es gibt unzweifelhaft eine Bewegung der neuen Generation mit kleineren Projekten, welche diese Interessen verteidigen.»
Zu dieser neuen Gruppe von Winzern gehört zweifellos auch Sandra Bravo von Sierra de Toloño. Man mag glauben, dass sie sich ihren Ruf allein deswegen erarbeitet hat, weil ihr Geschlecht noch eine extreme Minderheit darstellt in verantwortlichen Positionen der Rioja-Weinszene. Doch weit gefehlt. Auch Bravo schaute sich erst jenseits der Rioja um, in Frankreich, in Italien, im Priorat, bevor sie den Rioja-Weinbau ab 2012 auf den Kopf zu stellen begann. Manches von dem, was früher undenkbar schien, probierte sie mal eben aus. Warum nicht einmal der Ausbau in Amphoren? Und warum nicht Rosé, aber einer, der kein Billigwein ist?
Ihrer wirkt unglaublich saftig, während der Viura dank den hoch gelegenen Parzellen und den kleinen Erträgen Würze bekommt und der reinsortige Garnacha-Wein Mineralität bis zum Abwinken besitzt. Dass man den bisweilen als langweilig eingestuften Tempranillo nicht abschreiben muss, dass der Klassiker auch neue Seiten aufweisen kann, zeigt Sandra Bravos sogenannter Nahikun in Rot. Ja, das ist Tempranillo, aber was für einer! Fein und duftig, unglaublich frisch mit Holzwürze, die nicht wie anderswo breitbeinig im Raum steht, sondern subtil integriert wurde. Etwas Vergleichbares wird man kaum finden, besucht man nur die grossen Prestigeweingüter der Rioja.
Aber man wird sie finden, bestellt man in den Traditionsrestaurants eine alte, eine sechzig oder siebzig Jahre gereifte Flasche. Ja, die gibt es noch, und wenn man Glück hat, kann man sie auch noch bezahlen. Drin ist dann oft ein eher schlanker, duftiger, feiner und frischer Wein. Möglicherweise nicht ganz so präzise wie das, was die besten Winzer heute erzeugen, aber man erkennt: Ganz neu ist der neue Wein der Rioja offenbar auch wieder nicht!
Next Generation zum Schnäppchenpreis
Dass Bravos Weine noch verblüffend günstig sind, überrascht. Auch die Abfüllungen von David Sampedro Gil und Melanie Hickman, dem spanisch-amerikanischen, die Bodegas Bhilar betreibenden Paar, kosten nicht die Welt. Dabei sind sie spannend und tiefgründig, vom Amphorenwein bis zu den lange gereiften Single-Vineyard-Selektionen. Man muss dazu sagen, dass hier seit Ewigkeiten nach biodynamischen Prinzipien und mit entsprechendem Aufwand verfahren wird.
Auch von Oxer Wines gibt es noch Erschwingliches. Was der junge Baske Oxer Bastegieta in die Flasche bringt, was manchmal einfach als Natural Wine vereinnahmt wird, ist auch vielen spanischen Weinkennern unbekannt. Aber es kann nicht schaden, wenn da einer kommt, der sich nebenbei noch mit der Erzeugung von Wein aus der typisch baskischen Sorte Hondarribi Zuri auskennt. Das ist zwar nicht mehr Rioja, aber auch richtig gut.
Rioja auf die zukunftsträchtige Art
2022 Arriscado Rioja DOCa, Cuentaviñas,
Ein Weisswein, in den man sich erst einmal hineinfinden muss. Fein, klar, duftig, mit cremigen Noten und Zitrusanklängen, dann aber dicht und würzig, lang und finessenreich. Fr. 69.50, bei Vinumworld; vinumworld.ch.
2018 La Dula Rioja DOCa, Sierra de Toloño
Wein aus dem Ertrag der 1944 gepflanzten Garnacha-Reben, unglaublich duftig, fein und strukturiert. Den erheblichen Alkohol merkt man kaum. Fr. 35.40, bei Vinothek Brancaia; vinothek-brancaia.ch.
2014 Phinca La Revilla Rioja DOCa, Bodegas Bhilar
Terroir-Rioja aus 100 Prozent Tempranillo. Ein offener, feiner Rotwein mit komplexer Würznote und einer vom langen Ausbau herrührenden Samtigkeit. 79 Franken, bei Zweifel; zweifel1898.ch.
2022 Ahari Rioja DOCa, Oxer Wines
Viel Tempranillo und jeweils ein bisschen Graciano und Viura bringen einen wunderbar duftigen, würzigen Wein hervor. Fr. 35.50, bei Gerstl; gerstl.ch.
Ob Viña Ijalba wirklich noch der Next Generation zuzuordnen ist, darüber kann man diskutieren, aber das seit mehr als dreissig Jahren biologisch arbeitende Weingut gehört zu denen, die auch einmal Wein aus einer der neuen Trendrebsorten keltern. Der weisse (!) Tempranillo hat in den letzten Jahren drastisch zugelegt und dürfte dazu beitragen, das Bild der Rioja als Rotweinregion zu verändern. Maischevergorener Weisser aus der ultrararen Sorte Calagraño dürfte dagegen auch weiterhin eine Nischensorte bleiben: Die Bodega Ojuel baut ihn aus, man muss ihn nur finden.
Das etwas andere Weingut der Rioja sollte man natürlich auch nennen. Neu ist es nicht, ging aber schon immer seinen eigenen Weg. Beim Weinfest im Barrio de la Estación fällt es schon dadurch auf, dass es geschlossen hat, während rundum die Menge tobt. Viña Tondonia gilt als Kultwein, bringt seine Weine viel später auf den Markt als andere; vor allem bei Weisswein, bei der roten Gran Reserva und dem ultrararen Rosé übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem. Immerhin ist die Reserva zu akzeptablen Preisen erhältlich, ewig im Fass ausgebaut, eigenwillig, aber umso spannender, je mehr man sich in sie hineintrinkt. Vielleicht sollte man bei der nächsten Railway Wine Experience im Barrio de la Estación nicht nur rechtzeitig das Ticket bestellen, sondern auch einen Tag früher kommen, um kurz bei Tondonia vorbeizuschauen. Ach was: besser zwei Tage, um noch einigen Vertretern der neuen Generation der Rioja einen Besuch abzustatten!
Dieser Artikel ist im Rahmen der «NZZaS»-Beilage «Wein & Genuss», erschienen, die von NZZ Content Creation erstellt wird.