Donnerstag, Dezember 26

Die Türkei entwickelt einen eigenen Kampfjet der fünften Generation. Mit seiner ambitionierten Rüstungspolitik verfolgt Präsident Erdogan ein strategisches Ziel.

Der erfolgreiche Jungfernflug des ersten Tarnkappen-Kampfjets aus türkischer Produktion hat in der Türkei hohe Wellen geschlagen. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem weiteren stolzen Tag für die türkische Rüstungsindustrie.

Kaan heisst das neueste Flugzeug der staatlichen Turkish Aerospace Industries (TAI). Der Verbandschef der Branche verbreitete einen mit dramatischer Musik und viel patriotischer Symbolik angereicherten Zusammenschnitt des 13-minütigen Fluges. Auch die Opposition spendete Beifall. Und in den sozialen Netzwerken gab es Hunderttausende von Beiträgen zum Thema.

Erdogan strebt rüstungspolitische Autonomie an

Heimische Rüstungsprojekte sind in der Türkei ein Gegenstand nationalen Stolzes. Die Entwicklung eines eigenen Kampfflugzeugs der fünften Generation ist in dieser Hinsicht das bisher ambitionierteste Vorhaben überhaupt. Diese Flugzeugtypen können von herkömmlichen Radargeräten kaum erfasst werden. Bisher haben nur Russland, China und die USA Jets der fünften Generation zur Serienreife gebracht.

Eine grösstmögliche rüstungspolitische Unabhängigkeit ist ein erklärtes strategisches Ziel Erdogans. Er versteht die Türkei als eigenständigen und autonom handelnden Machtpol. Hierfür sollen auch die notwendigen militärischen Mittel zur Verfügung stehen. Das angespannte Verhältnis zu den westlichen Partnern während der letzten Jahre war ein zusätzlicher Ansporn, um die Entwicklung der heimischen Rüstungsprojekte voranzutreiben.

Die wichtigste Zäsur war im Jahr 2019 der Rauswurf der Türkei aus dem amerikanischen Programm zur Produktion des F-35. Grund dafür war der Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400. Der F-35 ist ebenfalls ein Jet der fünften Generation und im Moment das modernste Kampfflugzeug der Welt. TAI, der Hersteller von Kaan, war als Zulieferer für den F-35 eingeplant, verlor aber wie andere türkische Unternehmen den Auftrag wegen des Streits um die S-400.

Die Spannungen mit Washington verzögerten auch die Modernisierung der F-16-Flotte, auf die sich die Türkei seit dem Aus des F-35 stützt. Erst durch die Zustimmung Ankaras zu Schwedens Nato-Beitritt Ende Januar wurde dieser Streit gelöst. Die Türkei soll nun 40 neue F-16 erhalten und 79 weitere modernisieren können. Dies ist aber nur eine Übergangslösung. Langfristig sollen Kaan-Kampfjets die F-16 ersetzen und zum neuen Rückgrat der türkischen Luftwaffe werden.

Auf ausländische Triebwerke angewiesen

Bis dahin dauert es freilich noch eine Weile, auch wenn die erste Präsentation von Kaan durchaus einen Meilenstein darstellt. TAI plant laut eigenen Angaben in den nächsten zwei Jahren zwei weitere Prototypen, um 2028 dann die ersten 20 Flugzeuge an die türkische Luftwaffe übergeben zu können. Über alle Eigenschaften eines Jets der fünften Generation dürfte aber erst eine Weiterentwicklung verfügen, die laut dem aktuellen Planungsstand ab 2034 in Produktion gehen wird.

Bis dahin will die Türkei auch ihre Abhängigkeit von ausländischer Technologie weiter reduzieren. Denn eine rein türkische Entwicklung ist Kaan nicht. Für das Projekt ist TAI eine Zusammenarbeit mit dem britischen Konzern BAE Systems eingegangen. Für den Antrieb hat man auf Motoren von General Electric zurückgegriffen. Mittelfristig soll das Flugzeug aber ein türkisches Triebwerk erhalten.

In der Antriebstechnologie ist die Türkei bisher stark auf ausländisches Know-how angewiesen. Die meisten Drohnen etwa, das bekannteste Exportprodukt der hiesigen Rüstungsindustrie, sind mit ukrainischen Motoren ausgestattet. Der ukrainische Botschafter in Ankara, Wasil Bodnar, sagte in einem Interview vergangene Woche, dass ukrainische Unternehmen auch an der Entwicklung eines Triebwerks für das Flugzeug Kaan arbeiteten.

Die Ukraine ist ein wichtiger Partner

Die rüstungspolitische Partnerschaft zwischen Ankara und Kiew geht über reine Exportgeschäfte hinaus. Bereits die ukrainischen Aufträge zur Produktion neuer Kriegsschiffe, die nach Russlands Annexion der Krim an türkische Unternehmen vergeben wurden, enthielten Bestimmungen zur gemeinsamen Fertigung. Die Türkei hat kein Interesse an einer sicherheitspolitischen Dominanz Russlands im Schwarzen Meer und leistet nur schon deshalb der Ukraine Unterstützung.

Der türkische Konzern Baykar baut nun sogar ein Werk in der Nähe von Kiew, in dem künftig Drohnen des Typs Bayraktar produziert werden sollen. Inwiefern dort – oder bei der Entwicklung eines Antriebssystems für das Flugzeug Kaan – ein Technologietransfer stattfindet, ist öffentlich nicht bekannt. Unbestritten ist aber, dass sich Ankara und Kiew der Komplementarität ihrer rüstungspolitischen Fähigkeiten und des gegenseitigen Nutzens der Zusammenarbeit bewusst sind.

Auffällig viele Glückwünsche zum Jungfernflug von Kaan kamen denn auch aus der Ukraine. Bereits vor einer Woche hatte der ukrainische Botschafter Bodnar gesagt, sein Land werde den neue Kampfjet nicht nur kaufen. Es wisse auch bereits, wie es ihn einsetzen wolle.

Exit mobile version