Sonntag, Oktober 6

Die Angst von Unternehmern vor der Steuerinitiative der Jungsozialisten ist spürbar gesunken. Ein Seminar für Betroffene zeigte aber auch die Kreativität bei Umgehungsmanövern.

Das nennt man einen Grosserfolg. Die Einreichung einer Volksinitiative hat bereits genügt, um Wirkungen auszulösen, die es sonst erst nach Annahme durch das Volk gäbe. Und dies, obwohl die meisten Beobachter die Chancen der Initiative an der Urne als klein einstufen. Dieses Kunststück schafften die Jungsozialisten mit ihrer Volksinitiative für eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent für Vermögensteile über 50 Millionen Franken.

Diese Steuer soll sofort nach der Annahme an der Urne greifen – und damit faktisch rückwirkend. Denn bis die Gesetzes- oder Verordnungstexte zur Umsetzung beschlossen wären, würde es bis zu drei Jahre dauern. Zudem verlangt die Initiative «die Verhinderung von Steuervermeidung, insbesondere in Bezug auf den Wegzug aus der Schweiz».

Starke Vorwirkung

Wegen dieser Forderungen hatte die Initiative potenziell Betroffene schon lange vor dem Urnengang ins Schwitzen gebracht. Eigentümer von mittleren und grösseren Familienbetrieben sahen sich unter besonderem Druck: Eine Steuer von gegen 50 Prozent des Gesamtvermögens könnte eine Weitergabe des Betriebs an die nächste Generation enorm erschweren oder gar verunmöglichen.

Berater hatten deshalb schon diesen Frühling öffentlich erklärt, dass die meisten Betroffenen über Ausweichmanöver nachdächten – einschliesslich eines Wegzugs noch vor dem Urnengang. Denn bei einem Wegzug nach dem Urnengang könnte eine Wegzugssteuer im Umfang der geschuldeten Erbschaftssteuer kommen und die Betroffenen so quasi im Land einsperren. Einzelne Betroffene wie der Informatik-Unternehmer Ruedi Noser und der Industrielle Peter Spuhler standen offen zu ihren Umgehungsabsichten. Spuhler sprach von einem Wegzug, zum Beispiel nach Österreich oder Italien. Viele schreckten aber vor dem Gang an die Öffentlichkeit zurück, denn Popularitätspreise lassen sich damit nicht gewinnen.

Damoklesschwert ist weg

Die ungewöhnlichen Vorwirkungen der Initiative schreckten den Bundesrat auf. Vergangene Woche nutzte er eine parlamentarische Anfrage für die Beruhigung der Gemüter. Kernbotschaft: Im Fall einer Umsetzung der Initiative würde er eine Wegzugssteuer ablehnen. Und die Umsetzung müsse in jedem Fall völkerrechtskonform erfolgen. So sei eine Einschränkung oder gar ein Verbot eines Wegzugs ausgeschlossen.

Einige Tage später sagte es Finanzministerin Karin Keller-Sutter in einem Interview im «Blick» noch deutlicher: Der Bundesrat habe klargemacht, «dass eine sogenannte Wegzugssteuer nicht infrage kommt. Also niemand besteuert werden soll, der bei der Annahme der Initiative ins Ausland ziehen würde».

Das ist keine volle Garantie, aber es hat die Stimmungslage bei Betroffenen und ihren Beratern deutlich entspannt – auch wenn es das Problem der Abschreckung von potenziellen Zuzügern nicht löst. Das zeigte sich am Mittwochabend an einem Seminar in Zürich, das vor allem für Berater von Betroffenen gedacht war. Geladen hatte das Fachmagazin «Steuer-Revue» und dessen Verlag. Präsent waren unter anderem Steuerberater, Anwälte und Unternehmer. Ein Haupttenor des Abends: Der Bundesrat hat die Lage entschärft – Betroffene müssen nicht schon vor dem Urnengang wegrennen.

Eine zweite Hauptbotschaft: Trotz den relativ geringen Erfolgsaussichten der Initiative an der Urne bereiten sich die meisten potenziell Betroffenen auf das Szenario eines Erfolgs der Initiative vor – denn die Auswirkungen seien so gravierend, dass man die Sache nicht ignorieren könne. Doch würden die Betroffenen im Fall eines Erfolgs der Initiative wirklich ins Ausland ziehen?

Vier befragte Berater vermittelten im Gespräch den Eindruck, dass die meisten tatsächlich gehen würden. Einer spricht von 80 Prozent, ein anderer gar von 90 Prozent. Ein Dritter erklärt, dass ein gewisser Typus von mittelständischen Unternehmern, die noch stark operativ im Betrieb seien und ein eher inlandorientiertes Geschäft hätten, unter Umständen in der Schweiz bleiben müsste. «Ich müsste meine Firma verkaufen», sagt ein betroffener Unternehmer.

Österreich lockt

Laut einem weiteren befragten Steuerexperten, der im Dienst eines Milliardärs steht, würde sein Arbeitgeber eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf jeden Fall zu vermeiden suchen. Eine diskutierte Option sei das Parkieren der Firma in einer Stiftung, doch die wahrscheinlichste Variante sei ein Wegzug.

Österreich war eine oft genannte Destination für Wegzugswillige: Das Land hat keine Erbschaftssteuer, keine Vermögenssteuer und zudem ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz, das die Besteuerung von Erbschaften grösstenteils auf den letzten Wohnsitz des Erblassers beschränkt. Doch bei einem Wegzug aus Österreich unterliegen aufgelaufene Kapitalgewinne auch ohne Verkauf einer Einkommenssteuer von 27,5 Prozent.

Letztlich kann man nicht in die Köpfe hineinschauen. Äusserungen über mögliche Wegzüge können auch taktisch bedingt sein. Angesichts der drastischen Folgen der Initiative wären indes Ausweichmanöver im grossen Stil wahrscheinlich – auch wenn es nicht in allen Fällen Wegzüge sein müssten.

Tipp für den Abstimmungstag

Der Umweg über eine Stiftung ist eine problematische Alternative. Laut mehreren Spezialisten wird dies in der Schweiz in der Regel steuerlich nur dann akzeptiert, wenn der ursprüngliche Eigentümer der betroffenen Vermögenswerte die Kontrolle an diesen Vermögen abgibt. Wer der Beruhigungspille des Bundesrats nicht traut und sich deshalb schon vor dem Urnengang absichern will, könnte aber möglicherweise via Stiftung einen «unnötigen» Wegzug vermeiden.

Eine Lösung präsentierte Stefan Kuhn, Steuerchef der Beratungsfirma KPMG Schweiz. Dabei bringt der Betroffene vor dem Urnengang seine Vermögenswerte in eine selbst kontrollierte Stiftung oder einen Trust ein. Steuerlich habe dies keine Folgen; die entsprechenden Vermögen würden nach wie vor dem Betroffenen angerechnet.

Wenn sich aber am Abstimmungssonntag eine Annahme der Initiative abzeichne, könne der Betroffene noch vor dem offiziellen Urnenverdikt die Kontrolle der Stiftung seinen Kindern übergeben. Die Vermögen würden damit steuerlich den Kindern zugerechnet. Damit wäre noch vor Inkrafttreten der Initiative eine Erbschaftssteuer abgewendet. Werde die Initiative hingegen abgelehnt, könne der Betroffene die Stiftung ohne Steuerfolgen wieder liquidieren.

Eine andere diskutierte Variante ist die Schenkung des eigenen Unternehmens an die Kinder, bei gleichzeitiger Beibehaltung des Nutzniessungsrechts des Schenkers (hier: der Firmenführung). Ob ein solches Konstrukt gut funktionieren würde, wäre die Frage. Es fehlt jedenfalls den Steuerspezialisten wie gewohnt nicht an Kreativität.

Unterschätzte Betroffenheit?

Es geht nicht um Kleinkram. Laut grober Abschätzung könnten etwa 2000 Pflichtige ein Vermögen über 50 Millionen Franken haben; zusammen halten diese Steuerpflichtigen vielleicht etwa einen Fünftel der gesamten versteuerten Vermögen in der Schweiz. Im Kanton Nidwalden, der besonders stark exponiert wäre, tragen die Betroffenen laut dem Steuerverwalter Raphael Hemmerle total etwa 20 Prozent zu den gesamten Einkommens- und Vermögenssteuern der natürlichen Personen bei.

Zudem könnten auch Personen mit ausländischem Wohnsitz betroffen sein, sagt der Steueranwalt Stefan Oesterhelt. Hat zum Beispiel eine solche Person mit einem globalen Gesamtvermögen von 200 Millionen Franken eine Liegenschaft in der Schweiz im Wert von 20 Millionen Franken, könnte unter Umständen bereits eine Schweizer Erbschaftssteuer anfallen.

Laut dem Anwalt wäre dies der Fall bei einer proportionalen Aufteilung des Freibetrags der Volksinitiative von 50 Millionen Franken auf die einzelnen Vermögensteile. Das entspräche einer gängigen Schweizer Praxis. Damit würden nur 10 Prozent des gesamten Freibetrags (also 5 Millionen) auf die Schweizer Immobilie angerechnet – 10 Prozent darum, weil die Schweizer Liegenschaft nur 10 Prozent des Gesamtvermögens ausmacht. Von der Schweizer Liegenschaft unterläge in diesem Szenario somit ein Wert von 15 Millionen Franken der Erbschaftssteuer.

Mit einer solchen Umsetzung der Initiative würden gemäss Oesterhelt alle betroffenen ausländischen Steuerpflichtigen ihre Schweizer Immobilie verkaufen. Beim Bund war diese Frage dem Vernehmen nach bisher noch kein Thema.

Trotz aller Kritik hat die Juso-Initiative etwas Ehrliches, wenn man vom Deckmäntelchen mit der Zweckbindung der Steuererträge für die Klimapolitik absieht. Man weiss, worum es geht: Die Initianten wollen keine Reichen im Land – auch wenn das die übrigen Bewohner einiges kosten kann. Das Volk wird wohl etwa 2026 sagen können, ob es das auch so sieht.

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