Der 31-jährige Superstar hat ein neues Album veröffentlicht, auf dem er das Ehe- und Familienleben zum Thema macht. Musikalisch lebt das Repertoire von stilistischen Fingerübungen.

Was für eine Überraschung! Am Freitag hat Justin Bieber sein siebtes Studioalbum veröffentlicht: «Swag». In den Tagen zuvor haben grosse Plakate in amerikanischen Metropolen zwar auf den Release hingewiesen; die Kunde von «Swag» mag sich dann über Social Media auch rasch verbreitet haben. Dennoch ist das Erstaunen gross. Aus verschiedenen Gründen erwartete man vom 31-jährigen Superstar derzeit keine musikalischen Grosstaten.

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Auf dem letzten Album «Justice» hatte er 2021 einmal mehr sein Gespür für poppige Beats und packende Melodien bewiesen. Eine für 2022 geplante Welttournee aber musste gecancelt werden – aus gesundheitlichen Gründen. In der Öffentlichkeit wurde über psychische Leiden spekuliert.

Von einer Lebens- und Schaffenskrise zeugten dieses Jahr auch Instagram-Posts, in denen Justin Biener selbst seine «Wut», und seine «Traumata» ansprach: «Ich weiss, dass ich kaputt bin», schrieb er. Und all die Leute, die ihm helfen wollten, machten die Sache nur noch schlimmer. So stand zu befürchten, dass die Karriere, die vor knapp zwei Jahrzehnten dank Youtube-Clips rasant begonnen hatte, nun rasch an ein Ende kommen könnte.

Schulden und Sorgen

Der Abbruch der Tournee aber hatte auch drastische finanzielle Konsequenzen, der kanadische Musiker sah sich mit enormen Schulden konfrontiert, die sein Leben noch mehr belasteten. Vielleicht ist «Swag» tatsächlich ein Versuch, einerseits die Finanzen in Ordnung zu bringen – und andrerseits die seelischen Sorgen zu verarbeiten.

Schon im süffigen Opener «All I Can Take» spricht er seine «symptoms of sensitivity» an, die sich nicht ändern liessen, obwohl er es immer wieder versucht habe. Ein späteres Stück trägt explizit den Titel «Therapie Session»; es handelt sich dabei nicht um einen Song, sondern ein theatrales Gespräch Biebers mit dem afroamerikanischen Komiker Druski. Wiederum weist er darauf hin, dass ihn gerade das Mitgefühl anderer belaste: «People are always askin’ if I’m okay, and that starts to really weigh on me.»

Offenbar ist es besser, wenn man den Pop-Star alleine lässt mit seinem psychischen Schmerz, damit er diesen musikalisch verwerten und überhöhen kann. «Swag» dreht sich dabei immer wieder um Einsichten und Herausforderungen des Reifens und Älterwerdens. Familiäre Erfahrungen mit Frau Hailey und Sohn Jack Blues haben ihn zu den neuen Lyrics inspiriert.

In «The Way It Is» rühmt Bieber die Vorzüge fester Beziehungen: «No more drama, no reason to complicate it, we can settle down», trällert er mit fiebriger Stimme. Dass die bürgerliche Zweisamkeit allenfalls auch Herausforderungen schafft, macht er in «First Place» klar: «You can’t spread your wings in a bird case» – du kannst deine Flügel nicht ausbreiten in einem Vogelkäfig. Und prompt ist dann in «Walking Away» vom Konflikt in der Zweisamkeit die Rede. Man muss aufpassen beim Streiten: «Girl, we better stop, before we say some shit.»

WALKING AWAY

Obwohl sich Justin Bieber damit als gereifter Liebhaber in Szene setzt, klingt seine gepresste Stimme so knabenhaft schmachtend wie eh und je. In seinem Gesang, den er manchmal durch technische Effekte verfremdet, erscheint er noch immer als Teen-Star, der die Herzen von Teenager-Mädchen zu erobern sucht. Allein, die Fans, die ihn einst zu einem der erfolgreichsten Pop-Musiker gemacht hatten, sind heute selber gereifte Berufsleute, gestresste Eltern. Justin Bieber schafft es indes nicht, sich als erwachsener Künstler zu präsentieren.

So wirken die neuen Lieder oft nicht ganz überzeugend, es gibt Unstimmigkeiten zwischen Sound und Inhalt. Und etwas fahrig klingt das neue Repertoire dadurch, dass die Musik oft im Mid-Tempo gehalten und durch sphärische Akustik vernebelt werden. Biebers erstaunliche Musikalität schwächelt bisweilen wie eine E-Gitarre ohne Verstärker oder eine Orgel mit defekter Pneumatik. Es mangelt seinen Kreationen an Leidenschaft und Ehrgeiz. Und an einem künstlerischen Fokus.

Letzteres allerdings bietet Chancen für Experimente und Spielerei. Bei «Swag» nämlich handelt es sich nicht um ein durchdachtes Gesamtwerk, sondern um eine Sammlung von einzelnen Stücken, die Justin Bieber mit seinen Produzenten in unterschiedlichen Jam-Sessions in Los Angeles und Island entwickelt hat. Das sorgt für Abwechslung und für einzelne Highlights.

Interessant ist etwa, wie sich Justin Bieber immer wieder in den Sound der achtziger Jahre zurücklehnt. Allenthalben wird man an Michael Jackson und an den DX7 erinnert – jenen Synthesizer, der die Pop-Musik der Dekade klanglich prägte. In Songs wie dem Titelstücks kehrt der Sänger dann wiederum in die Gegenwart zurück, um auf Hip-Hop und Dance zu setzen.

Ein fiebriger Höhepunkt

Da und dort verlässt er sich aber auch auf akustische oder zumindest rohe Instrumentalklänge. Schon das zweite Stück «Daisies» ist eine raffinierte Verbindung von Funk und triolischer Rhythmik. In anderen Nummer gibt es charakteristische Blues-, Gospel- und Folk-Anklänge, aber es bleibt jeweils bei Session-artigen Versuchen. Das Folk-Stück «Zuma House» etwa und der Gospel-Tiel «Forgiveness» dauern lediglich eine Minute.

So richtig schwelgt Justin Bieber nur einmal in warmen, üppigen Klangfarben. In der Ballade «Devotion» lässt er sich vom Soul in ekstatische Leidenschaft versetzten. Und prompt setzt es den Höhepunkt des Albums, wenn Justin Bieber hier die Liebe beschwört: «And if you kiss me, I yell out hallelujah».

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