Trotz Ermahnungen aus Brüssel hat das slowakische Parlament die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft für hochrangige Kriminalität beschlossen. Dagegen vermeidet der neue Regierungschef Fico in der Aussenpolitik die Konfrontation mit der EU.
Erst gut drei Monate ist der Linkspopulist Robert Fico wieder Regierungschef der Slowakei. Doch er hat bereits die grösste Protestbewegung gegen sich aufgebracht seit derjenigen, die ihn vor sechs Jahren zum Rücktritt gezwungen hatte. Zehntausende gehen seit Wochen auf die Strasse, am Mittwoch sollen es allein in der Hauptstadt Bratislava wieder fast 20 000 gewesen sein. Unmittelbarer Anlass ist eine Strafrechtsreform, die am Donnerstagabend mit Verzögerung und in leicht angepasster Fassung vom Parlament verabschiedet wurde.
Die Vorlage sieht leichtere Strafen für Wirtschaftsdelikte, kürzere Verjährungsfristen und eine Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsfälle und organisierte Kriminalität vor. Die Regierung argumentiert, die Strafen an europäische Standards anpassen zu wollen. Die seit 2020 von einem ehemaligen Politiker und dezidierten Fico-Gegner geführte Sonderstaatsanwaltschaft sei zudem politisch missbraucht worden.
Die Opposition spricht von einem «Pro-Mafia-Paket»
Experten halten tatsächlich sowohl die harten Strafen als auch das Agieren der Sonderstaatsanwaltschaft für problematisch und äussern unter anderem Kritik an der einseitigen Auswahl der Delikte und am Eilverfahren. Letzteres monierte bereits im Dezember auch die EU-Kommission, die Bratislava ermahnte, in einen Dialog mit Brüssel zu treten. Es seien von den Plänen auch weite Bereiche des EU-Rechts betroffen. Wenn es zu einer Verletzung dieser Regeln oder finanzieller Interessen der Union komme, werde man Massnahmen ergreifen bis hin zum Einfrieren von Finanzmitteln.
Die Opposition sieht dagegen in der Reform einen Versuch, die Aufarbeitung von Korruptionsfällen aus der früheren Regierungszeit Ficos zu behindern und so Personen aus seinem nahen Umfeld zu schützen. Sie bezeichnet sie deshalb auch als «Pro-Mafia-Paket». Die Sonderstaatsanwaltschaft hatte Verfahren gegen mehrere Parteifreunde des Ministerpräsidenten angestrengt und auch gegen diesen selbst ermittelt. Insbesondere die juristische Aufarbeitung des Mordes am Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und an seiner Verlobten im Jahr 2018 zeigte Verbindungen von Ficos Linkspartei Smer zur organisierten Kriminalität auf.
Der Fall hatte die Slowakei erschüttert und den Regierungschef zum Rücktritt gezwungen. Fico hatte indes schon vor der Wahl Ende September angekündigt, gegen die Sonderstaatsanwaltschaft vorgehen zu wollen, und trotzdem gewonnen. Nun ist ausgerechnet der Smer-Abgeordnete Tibor Gaspar einer der Autoren der Justizreform. Er war Polizeipräsident zur Zeit des Mords an Kuciak und musste nach Ermittlungspannen ebenfalls zurücktreten. Später wurde er wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung und anderer Vorwürfe angeklagt – er könnte nun ganz direkt von der Reform profitieren.
In Kraft treten soll sie Mitte März. Allerdings kündigte die sozialliberale Staatspräsidentin Zuzana Caputova an, alle rechtlichen Mittel zu prüfen, um dies zu verhindern. Sie schrieb auf X, das Eilverfahren sei unrechtmässig angewandt worden und habe eine gründliche Prüfung auch durch Experten verhindert. Zudem stammen einige der in letzter Minute erfolgten Änderungen von Abgeordneten, die damit laufende Verfahren zu beeinflussen versuchten. Es wird erwartet, dass Caputova ihr Veto gegen das Gesetz einlegt, das Ficos Dreiparteienkoalition jedoch mit der absoluten Mehrheit aller Abgeordneten überstimmen kann.
Today’s adoption of the overhaul of Slovakia’s criminal policy is concerning news for #Slovakia and our citizens. I will consider all legal and constitutional options to prevent the legislation from entering into force.
Slovakia’s constitutional framework admits a fast-track…
— Zuzana Čaputová (@ZuzanaCaputova) February 8, 2024
Die scheidende Präsidentin, die bei der Wahl im Frühling nicht zur Wiederwahl antritt, formulierte ihr Posting auf Englisch – wohl in der Hoffnung auf Ermahnungen auch aus EU-Hauptstädten. Ob solche so laut erfolgen werden wie etwa bei den Justizreformen in Ungarn oder Polen, ist aber fraglich. Dass Fico als oberste Priorität nach der Rückkehr ins Amt das System zum Vorteil seines eigenen Umfelds umbaut, löst zwar Besorgnis aus. Dafür hat sich die Befürchtung bisher nicht bewahrheitet, dass Bratislava mit der neuen Regierung die Blockadepolitik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban etwa in Bezug auf die Ukraine mitträgt.
Hart im Ton, pragmatisch in der Sache
Im Wahlkampf hatte Fico sich als Gegner jeglicher Militärhilfe an Kiew profiliert und gegen die EU-Sanktionen gewettert. Auch jetzt fällt er immer wieder mit kremlfreundlicher Rhetorik auf. Vor dem Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Denis Schmihal Ende Januar sprach er der Ukraine die Souveränität ab, das Land stehe «unter absolutem Einfluss der USA». Beim Besuch in Uschhorod unmittelbar jenseits der slowakisch-ukrainischen Grenze bezeichnete er den Krieg dann als lokal eng begrenzt. In Kiew sei ein völlig normales Leben möglich.
Solche Worte scheinen vor allem an das Heimpublikum gerichtet. Denn in Brüssel tauche jeweils ein ganz anderer Fico auf, witzeln Beobachter in Bratislava. An den letzten EU-Gipfeln unterstützte der Ministerpräsident sowohl die Hilfe im Umfang von 50 Milliarden Euro für die Ukraine wie auch die Beitrittsverhandlungen mit dem Land. Auch die Rüstungsgeschäfte privater slowakischer Unternehmen behindert die Regierung entgegen Ficos Ankündigungen im Wahlkampf nicht. Sie sind inzwischen wichtiger als staatliche Lieferungen. Die Bestände der slowakischen Streitkräfte sind nach den grosszügigen Hilfen an Kiew fast erschöpft.
Wie schon in der Vergangenheit zeigt Fico damit, dass er zwar scharf im Ton, aber pragmatisch im Handeln ist. Es ist aber auch möglich, dass er mit der Vermeidung eines Konflikts in der Aussenpolitik die europäischen Partner so weit zufriedenstellen will, dass er weniger Aufmerksamkeit für innenpolitische Reformen erhält. Es ist eine Strategie, die etwa auch die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni recht erfolgreich vormacht.