Donnerstag, Oktober 3

Fermentation mit Proteinen aus dem Labor soll Käse klimafreundlich machen. Rein technisch funktioniert die neue Herstellungsmethode, aber schmeckt das Ergebnis tatsächlich nach Käse?

Runde Weichkäse mit einer weissen Schimmelschicht liegen in der Reifekammer. «Bis zu zwei Wochen reift der Käse hier», sagt die Lebensmitteltechnologin Maria Scharfe. Vorsichtig zieht Scharfe eines der Gitter mit dem Käse hervor. Er erinnert vom Aussehen stark an Camembert, und er riecht auch so. Doch eine entscheidende Zutat fehlt dem Käse: die Kuhmilch.

Hier, im Labor des Berliner Food-Tech-Startups Formo, wird an dem Käse der Zukunft geforscht – auf Basis des Milchproteins Casein, das normalerweise von Kühen produziert wird. Bei Formo übernehmen das nicht Kühe, sondern Mikroorganismen wie Hefen und Bakterien.

Auch ein anderes Protein wird hier im Labor zur Käseherstellung produziert, das sogenannte Koji-Protein. Das Ziel des Startups: Der Käse aus dem Labor soll genauso schmecken wie echter Käse, dabei aber klima- und umweltfreundlicher sein.

Kühe belasten die Umwelt

Hinter Formo steckt der Schweizer Gründer Raffael Wohlgensinger. Schon früh setzte er sich mit der Umweltproblematik von Milch auseinander. Denn Kuhmilch hat eine extrem schlechte Ökobilanz: Die tierische Landwirtschaft verbraucht viel Land – für Tiere, aber auch für den Anbau des Tierfutters. Hinzu kommt der hohe Wasserverbrauch. Ausserdem setzen Kühe in grossen Mengen das Treibhausgas Methan frei.

Immer mehr Menschen meiden inzwischen Milchprodukte und setzen auf pflanzliche Alternativen. Doch gerade der Verzicht auf Käse stellt für viele Menschen ein grosses Hindernis dar. «Die meisten pflanzlichen Käsealternativen kommen weder geschmacklich noch von der Konsistenz her an echten Käse heran. Es geht darum, den Menschen ein überzeugendes Produkt anzubieten, das nicht nur umweltfreundlich, sondern auch geschmacklich überzeugend ist», sagt Wohlgensinger.

2019 gründete der Betriebswirt gemeinsam mit der Mikrobiologin Britta Winterberg das Startup Formo. Bereits in der ersten Finanzierungsrunde erhielt das Unternehmen 50 Millionen Dollar. Mittlerweile arbeiten knapp hundert Mitarbeiter bei Formo an dem Käse der Zukunft.

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Das Geheimnis hinter dem Käse aus dem Labor ist die sogenannte Präzisionsfermentation. Im ersten Schritt wird die DNA von Mikroorganismen wie Hefen oder Bakterien so verändert, dass diese das Milchprotein Casein in einem Fermentationsprozess herstellen können – ganz ohne Kuh. Sie erhalten also zunächst eine Art Bauplan.

Im zweiten Schritt findet dann die Fermentation statt – ähnlich wie beim Bierbrauen. In einem Edelstahltank, dem Bioreaktor, werden die Hefen oder Bakterien mit einer pflanzlichen Nährlösung gefüttert, hauptsächlich mit Glucose, also Zucker. Die Mikroorganismen produzieren dann Casein-Proteine, die von den natürlichen Proteinen nicht zu unterscheiden sind. Sie sind gewissermassen der heilige Gral der Käseherstellung. Denn Casein ist nicht nur für den Geschmack des Käses enorm wichtig, sondern sorgt auch dafür, dass der Käse bei Hitze schmelzen kann und besonders cremig ist.

Im Berliner Labor laufen im Wesentlichen die gleichen Schritte ab, die man auch aus traditionellen Käsereien kennt: von der Homogenisierung über die Gerinnung bis zum Pressen und zur Reifung der verschiedenen Käsesorten. Formo arbeitet bereits mit mehreren Käseherstellern zusammen.

Die EU muss die Produkte erst noch zulassen

Bevor Formos Casein-basierte Käsesorten in Supermärkten erhältlich sind, wird noch etwas Zeit vergehen. Denn noch ist der Käse aus dem Labor nicht für den menschlichen Verzehr zugelassen. Käse auf Basis von Milchproteinen aus der Präzisionsfermentation zählt in der EU zur Kategorie der «neuartigen Lebensmittel» (Novel Food). Formo braucht daher erst eine Zulassung der Europäischen Kommission und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Nach der Einreichung des Antrags bei der EFSA kann es bis zu zwei Jahre bis zur Zulassung dauern.

Seit Anfang des Jahres arbeitet Formo für die Forschung an dem Casein-Protein mit einem anderen Startup zusammen, Those Vegan Cowboys aus Belgien. «Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr unsere ersten Käseprodukte aus Casein bereits auf dem US-Markt verkaufen können», sagt Hille van der Kaa, Gründerin von Those Vegan Cowboys. Denn sowohl in den USA als auch in Ländern wie Singapur gehe die Zulassung schneller vonstatten.

Mehrere Startups konkurrieren um Laborkäse

Neben Formo und Those Vegan Cowboys beschäftigen sich auch andere Startups mit der Herstellung der Milchproteine mithilfe der Präzisionsfermentation. Zum Beispiel Remilk aus Israel, das bereits eine Zulassung in Kanada erhalten hat. In Kalundborg, Dänemark, baut Remilk derzeit die weltgrösste Präzisionsfermentationsanlage.

Die Biotechnologin Sandra Torkler ist Gruppenleiterin der Bioprozess-Skalierung am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna, Sachsen-Anhalt. Wie bei Formo entsteht auch im Fraunhofer-Institut am Ende ein reines Milchproteinpulver, das an Unternehmen aus der Milchindustrie geliefert wird. Diese experimentieren mit dem Milchpulver und testen, wie sie es zu Käse, Milch oder Joghurt weiterverarbeiten können. Remilk sei vor einigen Jahren auf ihre Forschungsgruppe zugekommen, erzählt Torkler. Gemeinsam wurde der Fermentationsprozess von Remilk skaliert und optimiert.

Kann der Käse aus dem Labor wirklich den echten Käse ersetzen? Die Biotechnologin ist davon überzeugt. «Man kann mit den Milchproteinen alles herstellen, was man sonst aus normaler Milch herstellen kann, also Käse, Milch, Joghurt», sagt sie. Die Vorteile liegen auf der Hand. «Wir haben bei der Herstellung einen geringeren Wasserverbrauch und eine viel geringere Nutzfläche als in der traditionellen Milchherstellung. Und wir haben weniger Emissionen, weil es keinen Methanausstoss durch die Kühe gibt», sagt Torkler.

Der Energieaufwand der Präzisionsfermentation sei geringer als bei der traditionellen Milchherstellung. Die Produktion kann das ganze Jahr über gleichbleibende Qualität liefern, unabhängig von saisonalen Schwankungen. Ein weiterer Vorteil: Die Milchprodukte aus dem Labor enthalten keine Laktose und auch keine Hormone oder Antibiotika, die oft im Tierfutter stecken. Auch der Cholesteringehalt und die gesättigten Fettsäuren sind geringer – solange man sie nicht selbst dazugibt. Torkler ist überzeugt: Die Milchproteine und der Käse aus dem Labor werden sich in den kommenden Jahren auf dem Markt durchsetzen.

Fermentation geht auch mit dem Koji-Protein

Zurück zu Formo in Berlin. Maria Scharfe geht aus dem Labor hinaus und in einen grossen offenen Raum mit einer Küchentheke. Darauf hat Scharfe einen Teller mit verschiedenen Käsestücken angerichtet: Feta, Blauschimmelkäse, Frischkäse und Weichkäse. Um die Zeit bis zur Zulassung der ersten Käsesorten aus bioidentischem Casein zu überbrücken, bringt Formo in diesem Spätsommer bereits erste Käsealternativen auf den Markt und greift dabei auf ein Protein zurück, das wir Menschen aus Jahrzehnten menschlichen Konsums kennen: das Koji-Protein, bekannt aus Miso oder Sake. Die DNA im Protein muss also nicht verändert werden. Deswegen nennt man das Verfahren auch nicht Präzisionsfermentation, sondern Mikrofermentation.

Auf das Koji-Protein sind die Biotechnologen von Formo bei ihrer Forschung auf der Suche nach Alternativen zum Casein-Protein gestossen. «Wir haben schnell gemerkt, dass hier Potenzial drinsteckt, aber eben nur für bestimmte Käsesorten», sagt Christian Poppe, Director of Public Affairs von Formo. Käse, der Fäden zieht und bei Hitze schmilzt – das schafft am Ende das Casein-Protein am besten. Auf Mozzarella müsse man noch etwas warten.

Aber schmeckt der Käse aus dem Koji-Protein denn auch? Beim Selbstversuch schmeckt und riecht der camembertartige Weichkäse tatsächlich wie Camembert und ist genauso cremig. Auch der Frischkäse ist quasi identisch mit dem Frischkäse aus Kuhmilch. Der Blauschimmelkäse ist hingegen nicht so cremig wie gedacht, und auch der typische kräftige Blauschimmelkäsegeschmack könnte noch deutlicher ausgeprägt sein.

Wie die Käsesorten aus dem Labor dann tatsächlich bei den Verbrauchern ankommen, wird sich bald zeigen. Die Produkte von Formo sind im September deutschlandweit im Handel.

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