Mittwoch, Januar 15

Die Auswechslung der Präsidentschaftskandidaten hat sich für die Demokraten ausgezahlt. Trumps Vorsprung schrumpft. Doch die nächsten Wochen werden härter werden für die Vizepräsidentin.

Der dramatische Rückzug Präsident Bidens vom Rennen um das Weisse Haus hat den Wahlkampf in den USA auf den Kopf gestellt. Vor zwei Wochen galt die Wahl als praktisch gelaufen. Die Republikaner glaubten den Sieg bereits in der Tasche zu haben und gerieten an ihrem Parteitag in Milwaukee in einen Siegestaumel. Bei den Demokraten herrschte tiefe Depression. Doch mit der blitzartigen Festlegung der Partei auf Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin ist nun alles anders.

Nicht nur durch die Partei, durch die ganze Wählerschaft ist ein Ruck gegangen. 64 Prozent der Wähler gaben laut einer diese Woche veröffentlichten Umfrage an, sie verfolgten den Wahlkampf intensiv, vor einem Monat war es nicht einmal die Hälfte. 81 Prozent der demokratischen Anhänger geben gemäss einer anderen Umfrage an, sie stünden begeistert hinter Harris; vor einem Monat hatte Biden nicht einmal halb so viele euphorische Anhänger.

Bidens Verzicht löste aufgestaute Energien

Mit Bidens Verzicht scheint ein Damm gebrochen zu sein, der die politischen Energien aufgestaut hatte. Harris vermag diesen Schwung beeindruckend schnell zu nutzen. Sie vermochte in den letzten zehn Tagen über 310 Millionen Dollar an Spenden zu sammeln, rund doppelt so viel wie Trump. Laut neuen nationalen Umfragen von dieser Woche ist der Vorsprung Trumps auf Biden von 6 Prozentpunkten Anfang Juli auf noch 1 Prozentpunkt gegenüber Harris geschrumpft. Hatte Trump zuvor in 6 Swing States deutlich geführt, ist das Spiel zwischen ihm und Harris nun fast ausgeglichen, mit nur noch geringem Vorteil für Trump.

Bereits ist Kamala Harris durch eine Online-Abstimmung offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gekürt worden. In zwei Wochen wird sich der Nationale Parteikongress in Chicago feierlich hinter sie stellen. Kaum jemand in der Partei hinterfragt heute mehr die Richtigkeit der Entscheidung für Harris; die jahrelangen Zweifel an ihren Fähigkeiten sind wie verflogen. Das ist angesichts der Euphorie verständlich. Doch gewonnen ist diese Wahl auch für die Demokraten noch lange nicht. Vier Gründe mahnen zur Vorsicht.

Erstens darf der beeindruckende Aufschwung von Harris nicht darüber hinwegtäuschen, dass Trump in fast allen Umfragen weiterhin führt. Die Stärkung der Position der Demokraten hat nicht gleichzeitig zu einer deutlichen Schwächung Trumps geführt. So vermag er etwa mit 85 Prozent noch etwas mehr Anhänger seiner Partei zu «begeistern» als Harris. Ein so enges Kopf-an-Kopf-Rennen kann sich jederzeit wieder ändern. Im Wahlkampf vor vier Jahren hatte Biden in den nationalen Umfragen mit bis zu 10 Prozentpunkten geführt und schliesslich nur relativ knapp gewonnen.

Harris wird es bald schwerer haben

Zweitens steht Harris noch sehr früh in ihrem Wahlkampf. Sie erntete richtigerweise zunächst die «tief hängenden Früchte», indem sie in ihren ersten Auftritten die für sie leicht mobilisierbaren Wählerschichten der Jungen und Nichtweissen ansprach. Hier hat sie grossen Erfolg. Doch für den Wahlsieg braucht Harris auch die Unterstützung der älteren Wähler und der weissen Unter- und Mittelschicht. Hier deuten Umfragewerte weiterhin auf eine starke Position Trumps. Harris wird es viel schwerer haben, auch diese Wähler von sich zu überzeugen. Generell wird erwartet, dass ihre unmittelbar bevorstehende Wahl des Vizepräsidenten von solchen taktischen Überlegungen geleitet sein wird, doch dieses Amt entscheidet in der Regel das Rennen um das Weisse Haus nicht.

Drittens wurde die Wahlkampfmaschine der Republikaner überrumpelt vom Kandidatenwechsel der Konkurrenz. In den ersten zwei Wochen haben die Republikaner wenig glücklich agiert. Statt sich auf die politischen Positionen und Leistungen von Harris und der Biden-Regierung zu fokussieren, verirrten sie sich in identitätspolitischen Grabenkämpfen.

Wenn Trump vor einer Vereinigung schwarzer Journalisten in Zweifel zieht, ob Harris überhaupt eine schwarze Kandidatin sei, stösst er genau diese Wählerschaft ab, die in den letzten Jahren stärker als zuvor den Republikanern zuneigte. Und wenn sein Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance auf plumpe Art gegen kinderlose Frauen schiesst, stärkt das die ohnehin schwächelnde Attraktivität der Partei bei der weiblichen Wählerschaft nicht.

In den nächsten Wochen dürfte sich die republikanische Wahlkampfmaschine aber zunehmend besser auf Harris einstellen. Es gibt noch viele Schwächen und Widersprüche in ihrer politischen Vita zu entdecken und anzugreifen. Einen Anfang machten die Republikaner bereits mit dem Versuch, Harris als woke Vertreterin der linken kalifornischen Elite zu brandmarken. Das stimmt wohl nicht für alle Themen gleichermassen, und Harris sucht bereits in heiklen Fragen wie etwa der Migrationspolitik Richtung politische Mitte zu rudern. Aber es gibt viele Aussagen und Positionierungen aus ihrer politischen Vergangenheit, die wichtige nationale Wählerschichten abstossen.

Das schwere Erbe der Administration Biden

Viertens kann Harris die Vergangenheit der letzten dreieinhalb Jahre nicht ungeschehen machen. Sie war als Vizepräsidentin ein wichtiger Teil der Administration Biden. Gelingt es den Republikanern, deren Schwächen und Fehlleistungen ins Zentrum des Wahlkampfs zu stellen, gibt es viele Argumente gegen eine weitere demokratische Präsidentschaft: die hohe Inflation der letzten Jahre, die unkontrollierte Einwanderung an der Südgrenze, die in der Wahrnehmung vieler Amerikaner unbefriedigende Wirtschaftsentwicklung, die Überregulierung, unpopuläre Klimaschutzmassnahmen, die zaudernde Aussenpolitik.

Die amerikanische Geschichte lehrt, dass ein kurzfristiger Kandidatenwechsel noch nie zu einem neuen Präsidenten geführt hat. Doch gerade die letzten Wochen mit dem Debattendebakel Bidens und dem Attentat auf Trump rufen in Erinnerung, dass in drei Monaten bis zur Wahl noch viel Unvorhergesehenes passieren kann. Zufälle können grossen Einfluss nehmen. Das Rennen ist offen.

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