Donnerstag, November 21

Eine französische Verlagsgruppe muss einen Schweizer Buchhändler 10 bis 20 Prozent günstiger beliefern als bisher. Das hat die Wettbewerbskommission entschieden.

Schweizer Löhne, EU-Preise. Dieser Traumkombination wollte die von Gewerblern und Konsumentenschützern lancierte Volksinitiative für «faire Preise» näherkommen. Die Initiative war politisch ein Grosserfolg: Das Parlament setzte den Kern des Begehrens ohne Volksabstimmung um – vor allem durch eine Revision des Kartellgesetzes.

Der Hauptpunkt der Revision: Seit 2022 gelten die bis dahin für marktbeherrschende Unternehmen relevanten Verbote wie missbräuchliche Lieferverweigerung und Preisdiskriminierung auch für «relativ marktmächtige» Unternehmen. Als relativ marktmächtig gilt laut Gesetz ein Unternehmen als Lieferant oder auch als Kunde, wenn der Geschäftspartner von ihm «abhängig» ist – wenn dieser keine zumutbare Ausweichmöglichkeit hat.

Mit diesem neuen Konzept wird nicht wie sonst üblich der Wettbewerb geschützt, sondern einzelne Unternehmen – die schwächere Partei gegenüber der stärkeren. Das politische Hauptziel war die Bekämpfung der «Abzockerei» (Preisaufschlag Schweiz) von ausländischen Lieferanten auf dem Schweizer Markt.

Direktimport ohne Aufpreis

Nun hat die Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) erstmals eine Preissenkung aufgrund der neuen «Anti-Abzocker-Klausel» verordnet. Gemäss Weko-Mitteilung vom Donnerstag verweigert die französische Verlagsgruppe Madrigall der Westschweizer Buchhändlerin Payot «den Bezug ihrer Bücher zu den in Frankreich üblichen Konditionen». Madrigall muss künftig laut der Weko der Schweizer Kundin den Direktimport «zu französischen Bedingungen» ermöglichen. Madrigall ist laut Weko-Angaben eine der führenden Verlagsgruppen in Frankreich – je nach Kriterium die Nummer 2 bis Nummer 4.

Bis das neue wettbewerbsrechtliche Konzept der relativen Marktmacht konkreter fassbar ist, braucht es einige Leitentscheide. Die Weko prüft dabei unter anderem die Ausweichmöglichkeiten des Vertragspartners und die allfälligen Folgen des Ausweichens.

Im Bücherfall urteilte die Weko, dass Payot keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten habe. Weder Grossisten noch andere Buchhändler seien in der Lage, die Westschweizer Buchhändlerin mit der benötigten Menge von Madrigall-Büchern zu ähnlichen Konditionen zu beliefern. Und ein Verzicht auf den Verkauf von Madrigall-Büchern würde für Payot «substanzielle Umsatzeinbussen» bedeuten. Payot würde zudem für die Kunden angesichts der Bedeutung von Madrigall stark an Attraktivität verlieren.

Madrigall-Bücher machen prozentual einen zweistelligen Anteil am Gesamtumsatz von Payot aus. Genauere Angaben machte die Wettbewerbsbehörde am Donnerstag nicht. Die detaillierte Verfügung mit möglicherweise zusätzlichen Zahlenangaben dürfte die Behörde in einigen Monaten publizieren – nach Bereinigung von Angaben, die als Geschäftsgeheimnisse gelten.

Auf die Frage, ab welchem Schwellenwert bezüglich Umsatzanteil ein Kunde von einem Lieferant «abhängig» ist, gab die Weko keine eindeutige Antwort: Je nach Branche und sonstigen Umständen könne dies unterschiedlich sein.

Klar ist, dass französische Bücher für Westschweizer Händler enorme Bedeutung haben. Laut einem Bericht der Westschweizer Zeitung «Le Temps» entfallen fast 90 Prozent der in der Romandie verkauften Bücher auf französische Verlage.

Preisdifferenz 10 bis 20 Prozent

Mit der Bejahung der relativen Marktmacht stellte sich die Frage, ob Madrigall seine Marktmarkt mittels Preisdiskriminierung missbraucht hat. Payot hatte 2022 bei der Weko eine Anzeige eingereicht, weil Madrigall den direkten Bezug aus Frankreich zu den dort üblichen Bedingungen verunmögliche.

Ein Preisaufschlag in der Schweiz ist zulässig, insofern dieser mit höheren Kosten in der Schweiz zum Beispiel für Marketing und Vertrieb begründbar ist. Laut der Weko konnte Madrigall indes nur einen geringen Teil der behaupteten Mehrkosten nachweisen. Die unbegründete Preisdifferenz zulasten von Payot betrug dem Vernehmen nach 10 bis 20 Prozent. Aufgrund der Weko-Verfügung muss Madrigall nun den Aufpreis für Payot auf die nachgewiesenen Mehrkosten beschränken – oder bei einem Direktbezug von Payot in Frankreich die gleichen Konditionen bieten, wie die französischen Buchhändler bekommen.

Die Verfügung gilt im Prinzip nur für die Geschäftsbeziehung Madrigall-Payot. Doch sie dient als Signal für die gesamte Branche und kann auch Hinweise für andere Sektoren liefern.

Die Madrigall-Gruppe kann innert 30 Tagen Beschwerde gegen die Weko-Verfügung beim Bundesverwaltungsgericht einreichen. Verzichtet sie auf eine Beschwerde, stellt sich die Frage, ob die Weko ihre Verfügung bei ausländischen Unternehmen auch durchsetzen kann. Immerhin ist die Madrigall-Gruppe mit einer Lausanner Tochtergesellschaft für die Vermarktung in der Schweiz physisch präsent und hat in der Schweiz auch einen Anwalt und damit eine Adresse für den Schriftverkehr. Eine französische Gruppe dürfte zudem ein generelles Interesse haben, im Nachbarland nicht als Rechtsbrecherin zu gelten.

Schwieriger kann es für die Weko werden, wenn im Visier stehende Firmen weit entfernt sind und keine physische Präsenz in der Schweiz haben. So ist es dem Vernehmen nach schon vorgekommen, dass Firmen aus Ländern wie USA oder Indien auf Anfragen der Schweizer Weko nicht reagiert haben.

Erst drei Untersuchungen

Insgesamt hat die neue Missbrauchsregel für Firmen mit relativer Marktmacht bisher keine hohen Wellen geworfen. Die Zahl der Anzeigen zu diesem Thema seit 2022 ist laut Weko-Angaben bescheiden (rund 30). Offizielle Untersuchungen gab und gibt es bisher nur in drei Fällen.

Der erste Fall betraf die Geschäftsbeziehung der zum Pharmagrosshändler Galenica gehörenden Galexis AG zu einer deutschen Lieferantin von Trink- und Sondenahrung (Fresenius Kabi). Diesen Juli befand die Weko, dass die Schweizer Kundin nicht von der deutschen Lieferantin abhängig sei – und dass die Lieferantin ohnehin keine überhöhten Preise verlangt habe. Der Anteil der Produkte der deutschen Lieferantin am gesamten Einkaufsvolumen der Galexis lag laut der Weko-Verfügung unter 0,4 Prozent. Diese Verfügung ist rechtskräftig; der Fall wurde nicht weitergezogen.

Im Bücherfall Payot/Madrigall hat die Weko nun erstmals eine relative Marktmacht bejaht. Der dritte Fall betrifft das Verhältnis zwischen einer Schweizer Garage und dem deutschen Autobauer BMW. Dieser Fall ist noch hängig und dürfte nächstes Jahr entscheidungsreif sein.

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