Noch vor kurzem gaben sich die Banken einen grünen Anstrich. Doch nun sträuben sie sich gegen die verbindliche Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Politiker werfen ihnen Wortbruch vor.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich UBS-Chef Sergio Ermotti für die Ärmsten der Welt in die Bresche wirft, doch am WEF dieses Jahr war es so weit. «In vielen Ländern geht es nicht um den CO2-Ausstoss, sondern darum, genügend Nahrung zu haben und der Armut zu entkommen», sagte Ermotti in einer Runde von Bankern und Aufsehern. Eine allzu forsche Klimapolitik schränke nicht nur die Banken ein, sondern die ganze Gesellschaft: «Viele Menschen verlieren den Zugang zu Energie und die Chance, Wohlstand zu erarbeiten.»
Ermotti richtete seine Worte an die neben ihm sitzende Spitzenökonomin Gita Gopinath. Als Vize-Chefin des Internationalen Währungsfonds hat sie eine Schlüsselrolle bei der Aufsicht über das Finanzsystem. «Ohne Regulierung und Überwachung geht es nicht», entgegnete Gopinath. Wenn die Banken weiter Geld in fossile Energieträger steckten, drohten Abschreiber und eine Zerrüttung des Finanzsystems: «Es könnte sehr teuer werden für die Banken.»
Banken sehen sich in Rolle des Klimapolizisten gedrängt
Der Schlagabtausch in den Alpen zeigt: Klimapolitik ist die neue Kampfzone der Bankenregulierung. Es geht nicht mehr um Kapitalpolster und Liquiditätsreserven – nach jahrelangem Kleinkrieg haben die Banken die verschärften Auflagen akzeptiert. Hoch umstritten ist hingegen die Klimaregulierung: Welche Rolle spielen die Banken bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens? Soll ihnen die Aufsicht nur gut zureden oder die Daumenschrauben anlegen?
Nicht nur in Davos, auch im Flachland tobt ein Glaubenskrieg um die Klimaregulierung. «Die Banken werden in die Rolle des Klimapolizisten gedrängt», sagt August Benz, stellvertretender CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung. Die Politik sei daran gescheitert, eine effiziente Klimapolitik umzusetzen. «Der richtige Weg wäre eine Lenkungsabgabe auf klimaschädlichen Emissionen.» Wenn die Verschmutzung ein Preisschild bekäme, würden die Investitionen automatisch in die richtigen Bahnen gelenkt.
Doch politisch ist dies nur schwer durchsetzbar. Das Schweizer Stimmvolk schickte 2021 eine Ausweitung der CO2-Abgabe an der Urne bachab. Die USA versuchen es gar nicht erst und setzen stattdessen auf billionenschwere Subventionen für klimafreundliche Firmen. Damit ist eine globale CO2-Abgabe vom Tisch. Umso wichtiger wird die Finanzbranche. Mit ihr hat die Politik einen Hebel, um ihre klimapolitischen Ziele durchzusetzen. «Wir werden zum Instrument, um den Werkplatz zu steuern», konstatiert Benz.
Bundesrat stützt grüne Klima-Motion
Dass der Streit gerade jetzt hochkocht, hat mit einer Motion zu tun, die der Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey im letzten Sommer einreichte. Er fordert, dass der Staat eingreifen soll, wenn es die Finanzbranche bis in fünf Jahren nicht schafft, 80 Prozent der Geldflüsse auf einen Pfad zu bringen, der kompatibel mit Paris ist. Ähnliche Forderungen gab es zwar auch in der Vergangenheit schon, doch alle verschwanden in der Schublade. Nicht so der Vorstoss von Andrey: Der Bundesrat begrüsst das Vorhaben. Nun steht die Finanzbranche unter Zugzwang.
Auch die Finanzmarktaufsicht (Finma) erhöht den Druck. Letzte Woche publizierte sie ein neues Rundschreiben. Banken und Versicherungen müssen künftig naturbezogene Risiken in ihr Risikomanagement einbauen.
Die Finma verwahrt sich gegen den Verdacht, die Branche damit auf einen Öko-Kurs zwingen zu wollen. Das Papier ziele nicht darauf ab, die Kreditvergabe oder die Investitionen zu beeinflussen, schreibt die Behörde. Relevant seien einzig die damit verbundenen Risiken. Damit liegt die Finma auf der Linie der Bankiervereinigung. Diese kritisiert aber, das Papier sei «sehr umfangreich ausgefallen» und erhöhe den administrativen Aufwand der Banken.
Banken als Klimasünder – NGO haben vorgespurt
Dass Finanzinstitute ein zentraler Transmissionsriemen in der Klimapolitik sind, steht ausser Frage. Ob Kredite, Anleihen oder Anlagen – mit ihren Geldflüssen steuern die Banken die Realwirtschaft. Fossile Energie soll verschwinden? Wenn Banken keine Hypotheken für ölbeheizte Häuser, Leasingkredite für benzinbetriebene Autos oder Anleihen für die Schwerindustrie mehr vergeben dürfen, könnte das sehr schnell geschehen.
Genau solche Zwangsmassnahmen befürchtet die Branche. «Mit der Umsetzung der Motion Andrey müssen die Banken ihre Kunden zu Klimaneutralität zwingen oder sich von ihnen trennen», sagt Benz. Auf Mitleid können sie nicht hoffen. Ihre Sympathiewerte in der Öffentlichkeit sind bescheiden. Die NGO haben vorgespurt: Greenpeace und andere Organisationen haben die Banken längst als Klimasünder ausgemacht. Nun sind die Forderungen der Aktivisten zur offiziellen Politik geworden. So zumindest sehen es die Banken.
Grünen-Politiker Andrey kann diesem Wehklagen nicht viel abgewinnen. Die Finanzbranche habe sich selber das Netto-Null-Ziel auf die Fahne geschrieben, nun werde sie beim Wort genommen. «Dieses Versprechen ist nur dann etwas wert, wenn man bereit ist, es auch verbindlich anzugehen», sagt er. Der in seiner Motion vorgeschlagene Weg sei typisch schweizerisch und liberal. Die Finanzbranche könne selbst entscheiden, wie sie das Ziel umsetzen wolle. «Als Gesetzgeber verlangen wir aber eine Garantie, dass sie es auch wirklich erreicht.»
Eigener Artikel im neuen Klimagesetz
Von einer Regulierung durch die Hintertür könne keine Rede sein. Demokratisch sei sein Vorstoss gut abgestützt, betont Andrey. Das Klima- und Innovationsgesetz, das im letzten Sommer mit knapp 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde, enthält einen eigenen Artikel, der den Finanzsektor in die Pflicht nimmt – nicht nur national, sondern international. «Meine Motion konkretisiert diesen Auftrag», sagt Andrey.
Tatsächlich lieferten sich die Banken noch bis vor kurzem einen Schönheitswettbewerb, wer grüner und klimafreundlicher ist. Nach dem Ende des Bankgeheimnisses sollte Nachhaltigkeit zur neuen Kernkompetenz werden. Die Branche stellte sich geschlossen hinter die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes. Einzelinstitute strichen ihre Anstrengungen hervor.
Die UBS rühmt sich etwa, zu den Gründungsmitgliedern der Net-Zero Banking Alliance zu gehören, eines Zusammenschlusses von Banken, die sich die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens auf die Fahne geschrieben haben. Auf ihrer Website verteidigt sie sich gegen Vorwürfe, die Sorge ums Klima sei nur Greenwashing: «Ganz im Gegenteil. Wir sind uns unserer Verantwortung voll und ganz bewusst und wollen beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen.»
Die Realwirtschaft ist weiter
Doch nun machen die Banken einen Rückzieher. «Ich bin nicht überzeugt, dass die Regulatoren immer richtig liegen», sagte Ermotti in Davos. «Warum sollten sie die Macht bekommen, zu diktieren, wie wir Klimaneutralität erreichen?» Andere Exponenten verweisen darauf, dass der Wind global gedreht habe. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost hätten den Kampf gegen die Erderwärmung zurückgedrängt. Sicherheit und Energieversorgung seien nun die Top-Themen.
Warum sollten die Banken vorangehen, wenn doch die Realwirtschaft längst den Rückwärtsgang eingelegt hat? Warum den Musterschüler spielen, wenn die anderen sich ums Klima foutieren?
Solche Fragen zielten in die falsche Richtung, sagt WWF-CEO Thomas Vellacott. Politik und Realwirtschaft legten keinesfalls die Hände in den Schoss. Er verweist auf die «Science Based Targets Initiative». Das ist der Goldstandard, wenn es darum geht, Firmen auf einen Netto-Null-Pfad zu bringen. 173 Schweizer Unternehmen haben sich der Initiative angeschlossen, darunter drei Viertel der Grosskonzerne, die im Swiss-Market-Index vertreten sind. Vom Finanzsektor sind nur acht dabei – die UBS fehlt. «Der Finanzsektor ist keineswegs in der Vorreiterrolle», sagt Vellacott. «Die Realwirtschaft ist schon weiter.»
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»