In sieben Volksabstimmungen haben sich die Amerikaner für lockerere Abtreibungsgesetze ausgesprochen, in drei dagegen. Die Regeln sind teilweise deutlich grosszügiger als das, was in der Schweiz und Deutschland erlaubt ist.
In gleich zehn Gliedstaaten haben die Amerikaner am Dienstag darüber abgestimmt, ob sie das Recht auf Abtreibungen ausweiten beziehungsweise es in ihrer Verfassung verankern wollen. Bei den Ergebnissen zeigte sich ein gemischtes Bild: Sieben Mal haben die Wähler die Referenden angenommen, drei Mal abgelehnt.
Für Befürworter eines Rechts auf Abtreibung sind das gute Nachrichten: Millionen mehr Frauen haben nun Zugang zu der medizinischen Prozedur, weil sie selbst in einem dieser Gliedstaaten leben oder in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Die Referenden könnten auch den Ausgang der Präsidentenwahl beeinflusst haben. Dank den Vorlagen dürfte das Thema bei dem Entscheid zwischen Trump und Harris weniger eine Rolle gespielt haben: Wähler und speziell auch Wählerinnen konnten sich sowohl für ein liberales Abtreibungsrecht aussprechen als auch den Republikaner unterstützen.
Bei den Kongresswahlen 2022, bei denen die Demokraten bekanntlich verblüffende Erfolge landesweit verbucht hatten, war das noch nicht der Fall gewesen. Experten gehen davon aus, dass die Abtreibungsfrage damals eine grosse Rolle bei den Siegen demokratischer Kongresskandidaten gespielt hatte.
Missouri vollzieht eine verblüffende Wende
Interessanterweise nahmen nicht nur die Bürger in politisch linken Staaten die Vorlagen an, sondern auch jene in eher konservativen wie Missouri, Nevada und Arizona. Der Abtreibungsschutz geht nun vielerorts über das hinaus, was in der Schweiz und in Deutschland gilt: In Arizona und Montana etwa sind Schwangerschaftsabbrüche neuerdings so lange erlaubt, bis der Fötus ausserhalb des Mutterleibs überleben könnte; in der Regel ist das frühestens in der 24. Schwangerschaftswoche der Fall.
Maryland und New York hatten diese Regelung bereits, nun ist sie in der gliedstaatlichen Verfassung verankert. In Colorado gibt es künftig überhaupt keine zeitliche Beschränkung für Schwangerschaftsabbrüche mehr.
Allerdings sind späte Aborte extrem selten: Gerade einmal 1 Prozent aller Abtreibungen geschehe in oder nach der 21. Schwangerschaftswoche, schreibt das Pew Research Center unter Berufung auf Daten der Gesundheitsbehörde CDC.
Am meisten ändert sich für Frauen in Missouri. Dort galt bisher eines der strengsten Abtreibungsverbote, die Prozedur war praktisch komplett verboten, selbst nach einer Vergewaltigung. Nun garantiert die Verfassung ein Recht auf Abtreibung sowie Souveränität bei allen Fragen der Fortpflanzung. Schwangerschaftsabbrüche sind auch hier so lange erlaubt, bis der Fötus lebensfähig wäre. Es ist eine verblüffende Kehrtwende für einen konservativen Staat.
Die Gesetzesänderung in Missouri ist auch deswegen bedeutsam, weil sie Frauen im gesamten Südosten der USA eine weitere Möglichkeit für Abtreibungen bietet. Im Südosten sind Schwangerschaftsabbrüche inzwischen grossflächig verboten, weshalb Kliniken im progressiveren Kansas und Illinois – in der Mitte des Landes gelegen – regelrecht von Patientinnen aus anderen Gliedstaaten überrannt werden. Die neue Regelung in Missouri bietet Frauen eine zusätzliche Reisemöglichkeit.
Floridas Gouverneur half den Abtreibungsgegnern
In Florida, South Dakota und Nebraska sprachen sich die Bürger am Dienstag gegen Lockerungen der Verbote aus.
Besonders bemerkenswert ist der Ausgang in Florida, mit 22 Millionen Einwohnern einer der bevölkerungsreichsten Gliedstaaten. Dort sollten die Wähler entscheiden, ob Abtreibungen künftig bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt sind und nicht nur bis zur 6. Schwangerschaftswoche, wie es seit dem Supreme-Court-Urteil vom Mai der Fall ist. Es war die gleiche Ausgangslage wie in Missouri.
Doch im Sunshine State war um die Vorlage ein regelrechter Kulturkampf ausgebrochen: Die Befürworter hatten stolze 100 Millionen Dollar in den Wahlkampf gesteckt; die Gegner hatten jedoch in Gouverneur Ron DeSantis einen mächtigen Unterstützer. Der Republikaner hatte sogar Steuergelder für Werbespots gegen die Vorlage ausgegeben.
In Florida müssen Referenden allerdings von 60 Prozent der Bevölkerung angenommen werden. Das ist im landesweiten Vergleich eine sehr hohe Hürde, an der schon viele Volksabstimmungen gescheitert sind. Auch die jetzige Abtreibungsvorlage passierte sie nicht: 57 Prozent der Wähler und damit zu wenige sprachen sich für lockerere Abtreibungsrechte aus. Es waren jedoch mehr als in Missouri (52 Prozent).
Ebenso scheiterten die Referenden in Nebraska und South Dakota. In South Dakota überwarfen sich progressive Gruppen über der Frage, ob die Vorlage weit genug ginge; sie hätte Abtreibungen bis zur 15. Woche geschützt. Davon profitierten letztlich die Gegner. In Nebraska mussten die Wähler über zwei Vorlagen abstimmen, die einander widersprachen und viele verwirrt haben dürften.
Damit haben seit der Revision des Grundsatzurteils Roe v. Wade insgesamt vierzehn Gliedstaaten die Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche gestärkt. Nach wie vor gleichen die Abtreibungsregeln in den USA jedoch einem Flickenteppich: Im gesamten Südosten ist die Prozedur praktisch immer verboten, im Nordosten und Westen nahezu immer erlaubt.