Samstag, September 28

Die ökologische Wende ist in der EU umstrittener denn je. Die Bauern haben sich bereits erfolgreich gewehrt. Die nächste grosse Auseinandersetzung wird der Benzin- und Dieselmotor sein.

Der Green Deal kostet viel Geld, und um die Klimaziele zu erreichen, müssten sich die Konsumenten von liebgewonnenen Gewohnheiten verabschieden: etwa vom hohen Fleischkonsum. Nach den Wahlen für das EU-Parlament vom vergangenen Wochenende ist aber ungewisser denn je, ob eine Mehrheit der Politiker den Bürgern die ökologische Wende zumuten will.

Die Zusammensetzung des Parlaments ist zwar nur moderat rechter geworden. Aber selbst die grösste Partei, die bürgerliche Europäische Volkspartei (EVP), der auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angehört, hat bereits vor den Wahlen gemerkt, wie schlecht einige Elemente des Green Deal bei gewissen Wählern ankommen. Verwässert wurde das Vorhaben bereits, und es würde überraschen, wenn es nicht weitere Änderungen gäbe.

Ursula von der Leyen laviert

Ursula von der Leyen hat den Green Deal 2019 lanciert. Er besteht aus 50 Einzelmassnahmen und zahlreichen Gesetzen, die ein grosses Fernziel haben: die Klimaneutralität bis 2050. Industrie und Haushalte dürfen dann nur noch so viel Kohlendioxid und andere Treibhausgase ausstossen, wie mit technischen und natürlichen Mitteln aus der Atmosphäre absorbiert werden können.

Die im EU-Parlament sitzenden Parteien und Politiker sind sich nun am Beschnuppern: Wer könnte mit wem ein Bündnis eingehen, und mit welchen Personen werden die 27 Posten in der Kommission besetzt? Die wahre Haltung zum Green Deal ist in diesem Pokerspiel ein gewichtiges Argument.

In einer besonders komplizierten Lage befinden sich von der Leyen und die EVP. Von der Leyen ist einerseits die Promotorin des teilweise wenig populären Green Deal. Anderseits ist sie für die Wahl zur Kommissionspräsidentin möglicherweise auf die Stimmen der Grünen und der italienischen Regierungspartei Fratelli d’Italia angewiesen. «In Italien wird der Green Deal aber als Problem wahrgenommen», sagt ein Politiker in Brüssel.

Deshalb laviert von der Leyen. Die Klimaneutralität habe man zu verwirklichen, die Frage aber sei, wie man sie pragmatisch und technologieoffen erreiche, sagte sie nach den Wahlen.

Die Kommissionspräsidentin blieb also vage, auch weil in ihrer Parteifamilie um ein symbolträchtiges Element des Green Deal eine Kontroverse entstanden ist: das «Verbrenner-Aus». Ab 2035 sollen in der EU nur noch Fahrzeuge in Betrieb genommen werden dürfen, die mit CO2-neutralen Kraftstoffen fahren.

Diese Vorschrift ist umstrittener denn je und könnte auf der Kippe stehen. «Das Verbrennerverbot ist ein industriepolitischer Fehler», sagt Manfred Weber, der Chef der EVP. Man vertreibe damit eine funktionierende Technologie nach China oder Südamerika. «Die EVP wird darauf drängen, diesen Fehler bei der anstehenden Überprüfung des Gesetzes zu korrigieren.» Diese wird 2026 stattfinden.

Bauernproteste als Vorgeplänkel

Beim Klimaschutz hat Europa im Vergleich mit anderen Regionen viel erreicht, das geht angesichts der Kontroversen um den Green Deal manchmal vergessen. Vor allem die Grossindustrie hat ihre Emissionen teilweise stark reduziert.

Ökonomen halten der EU dabei zugute, dass sie die Dekarbonisierung mithilfe eines marktwirtschaftlichen Instruments bewerkstelligen will: des Emissionsrechtehandels. Unternehmen, die CO2 und andere Treibhausgase ausstossen, müssen dafür Zertifikate kaufen. Das soll sie dazu bewegen, möglichst umweltschonend zu produzieren.

Doch diese Fortschritte bringen die EU auch in eine paradoxe Lage. «Je erfolgreicher ihre Klimapolitik ist, desto anspruchsvoller wird es, eine weitere Treibhausgasreduktion zu erzielen», sagt Felix Schenuit, Forscher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Jene Emissionsreduktionen, die schwierig zu erzielen seien, stünden der EU noch bevor.

Die Konflikte dürften sich deshalb noch verschärfen, und die Gefahr von politischen Blockaden ist gross. Ein Vorgeschmack darauf waren die Proteste der Landwirte im vergangenen Winter. Sie haben das Fenster vor den EU-Wahlen geschickt genutzt, um gegen den bürokratischen Aufwand zu protestieren, der ihnen mit dem Green Deal aufgebürdet wird. Mehrmals fuhr in Brüssel eine Armada von Hunderten von Traktoren auf.

Der Druck von der Strasse hat gewirkt. Anders als vorgesehen muss die Landwirtschaft den Einsatz von Pestiziden nicht halbieren. Damit hatte die EU die Qualität der Böden und des Grundwassers verbessern wollen. «Unsere Bauern verdienen es, gehört zu werden», sagte von der Leyen.

Die Kommissionspräsidentin gab sich also politisch wendig, obwohl die Landwirtschaft in Sachen Ökologie bisher nichts erreicht hat. Der Sektor «produziert» etwa gleich viel Treibhausgase wie 2005.

Das Leben wird teurer

Konflikte sind auch wegen der CO2-Bepreisung programmiert. Die EU plant, diese stufenweise auszuweiten. Brisant ist der Entscheid, dass ab 2027 auch die Händler von Benzin, Heizöl und Diesel für die ausgestossenen Treibhausgase bezahlen müssen.

Wohnen und Autofahren dürfte dann in der EU teurer werden. Zudem spielt die Kommission mit dem Gedanken, die Landwirtschaft ebenfalls dem Emissionshandel zu unterstellen. Ein Sozialfonds für Haushalte mit einer geringen Kaufkraft soll zwar allfällige Preisschocks abfedern. Noch ist aber offen, wie er ausgestaltet wird.

Die Klagen, dass der Green Deal das Alltagsleben der «normalen Bürger» verteure, dürften noch lauter werden. Und das ist Stoff, aus dem sich leicht politische Kampagnen stricken lassen, vor allem in den Mitgliedsstaaten. Diese bestimmen die Gesetzgebung in Brüssel gleichsam zur Hälfte mit dem Parlament. Jedem neuen Gesetz müssen nämlich auch die Regierungschefs der Mitgliedsländer zustimmen. Und sie werden sich kaum für mehr Ökologie einsetzen, wenn sich zu Hause Proteste wegen steigender Preise regen.

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