Mittwoch, März 19

Keystone

Ab den 1970er Jahren sperrte die Luftwaffe mehrfach Teile des Schweizer Autobahnnetzes und übte dort für den Krieg. Bis vor kurzem bezeichnete der Bund diese Übungen als überholtes Konzept, doch am Mittwoch probt die Luftwaffe bei Payerne erneut den Ernstfall.

Es wird ein bisschen so sein wie im Kalten Krieg. Am Mittwoch will die Schweizer Luftwaffe mit acht FA-18-Jets auf der A 1 starten und wieder landen. Die Luftwaffe sperrt dafür auf Anordnung des Bundesrates die Autobahn zwischen Avenches und Payerne im Kanton Waadt für 36 Stunden. Die Fahrbahn wird zur Flugpiste. Das Schweizer Fernsehen überträgt live. Es ist die aufwendigste Übung der Luftwaffe seit mehr als dreissig Jahren.

Laut der Militärhistorikerin Lea Moliterni ist diese Übung eine kleine Zeitenwende. Sie zeige, dass das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung gestiegen und das Ansehen der Armee gewachsen sei. So wie es schon einmal war.

Zwischen 1970 und 1991 hat die Luftwaffe zehn Mal Teile einer Schweizer Autobahn oder Nationalstrasse gesperrt und dort den Start, die Wartung und die Landung mit Kampfjets unterschiedlicher Typen durchexerziert.

Eine Idee aus dem Zweiten Weltkrieg

Weil die Flugpisten der Nazis am Ende des Zweiten Weltkrieges längst zerstört waren, funktionierten sie die Autobahn zum Flugfeld um. Nach dem Krieg übernahmen Staaten wie Polen, Ungarn, Schweden und auch die Schweiz diese Idee.

In den 1960er Jahren liess der Bund quer durch die Schweiz Autobahnen bauen. Die Schweizer Luftwaffe hatte im Vorfeld Einfluss auf die Planungen genommen. Für Militärhistorikerin Moliterni gibt es dafür eine einfache Erklärung: «Das war möglich, weil die Kommunikationswege in Bundesbern damals kürzer und die Vorsteher des Militärdepartements einflussreicher waren.»

Auf mehreren Abschnitten des Nationalstrassennetzes planten Ingenieure im Auftrag des Bundes und auf Wunsch der Luftwaffe schnurgerade Strecken von rund zwei Kilometern Länge ein. Sie verzichteten auf eine Begrünung zwischen den Fahrbahnen. Stattdessen befestigten die Bauarbeiter die gesamte Breite der Autobahn und verbauten einen besonders tragfähigen Belag. Statt der üblichen Leitplanken trennte zudem eine flexible Konstruktion die Fahrbahnen. Forscher der ETH tüftelten jahrelang an Lösungen mit Stahlseilen. Das Militärdepartement trug die Hälfte der Baukosten auf diesen Abschnitten.

Das Ziel der Militärstrategen von damals war simpel: Sie hatten einen wunden Punkt in der Landesverteidigung ausfindig gemacht. Die Schweiz verfügte zu jener Zeit über 350 Kampfflugzeuge, aber nur über wenige Flugplätze. Hätte ein Aggressor diese Standorte zerstört, wären die Flugzeuge in den Bunkern nutzlos gewesen.

So entstanden im Verlauf der Jahre bei Alpnach, Aigle, Oensingen, Münsingen, Flums, Lodrino und Sitten sogenannte «Behelfsflugplätze» der Luftwaffe. Im Kriegsfall sollten auf diesen Abschnitten innerhalb weniger Stunden alle Verkehrssignale und Hindernisse abgeräumt werden und Dutzende Kampfflugzeuge starten und landen können.

Am 16. September 1970 sperrte die Luftwaffe die damalige Nationalstrasse 1 zwischen Oensingen und Härkingen. Ein Dutzend Kampfflugzeuge des Typs Venom starteten und landeten zwischen den Autobahnbrücken auf diesem Abschnitt. Bodentruppen betankten die Maschinen und rüsteten sie mit Munition aus.

Für die Luftwaffe war die Übung mit dem Codenamen «U Strada» ein Erfolg. Bis 1991 organisierte sie neun weitere Übungen auf anderen Abschnitten des Strassennetzes. Die Öffentlichkeit habe vor allem in den 1970er Jahren weitgehend positiv auf diese Übungen reagiert, sagt Moliterni.

Es war die Zeit des Kalten Krieges, die Schweiz fühlte sich bedroht von russischen Atomwaffen, und die Armee genoss ein hohes Ansehen. Moliterni sagt: «Starts und Landungen zwischen Brücken auf einer Autobahn waren ein anspruchsvolles Manöver und wurden als patriotische Erfolge bewertet.»

Die «Bedrohungslage» veränderte sich

Auch in den 1980er Jahren führte die Luftwaffe Übungen auf dem Nationalstrassennetz durch. Doch die geopolitische Lage und auch die Stimmung im Land hatten sich verändert. Zwei Jahre vor der bisher letzten Übung 1991 in Lodrino brachte die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) eine Initiative zur Abschaffung der Armee vors Volk. Mehr als ein Drittel der Schweizer Stimmbevölkerung stimmte zu. Die Militärhistorikerin Moliterni sagt, in den 1990er Jahren, nach dem Erfolg der GSoA, dem Ende des Kalten Krieges und der Verkleinerung der Armee durch die Armeereform 95, wäre eine solche Übung nicht mehr durchführbar gewesen.

Dieses Paradigma galt nun mehr als dreissig Jahre lang. Noch Anfang 2022 schrieb das Bundesamt für Strassen (Astra), Übungen der Luftwaffe auf Schweizer Autobahnen seien Konzepte aus der «Mottenkiste». Zwei Jahre später begründet der Bundesrat die Übung vom Mittwoch mit der Sicherheitslage in Europa, die sich nach dem russischen Angriffskrieg weiter verschlechtert habe. Und weiter, dass es um die «Verteidigungsfähigkeit» gehe und die Schweiz «verwundbar» sei.

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