Dienstag, April 29

Lange hatte es nach einem Machtwechsel ausgesehen. Doch nachdem Donald Trump die Kanadier gegen sich aufgebracht hat, gewinnen die Liberalen die Parlamentswahl. Ob Premierminister Mark Carney eine Mehrheitsregierung bilden kann, ist allerdings noch unklar.

Kanadas regierende Liberale Partei hat nach übereinstimmenden Berichten die Parlamentswahl am Montag gewonnen. Vor dem Ende der Auszählung sei aber noch unklar, ob die Partei mehr als die Hälfte der Sitze gewinne, berichten die Sender CTV News und CBC.

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Einige Stunden nach Schliessung der ersten Wahllokale an der Ostküste führte die Partei von Premierminister Mark Carney in den Auszählungen mit 168 Sitzen vor den oppositionellen Konservativen mit 144 Sitzen. Für eine absolute Mehrheit im Parlament in der Hauptstadt Ottawa sind 172 Sitze nötig.

Falls die Liberalen das absolute Mehr nicht erreichen, wäre Carney für die Bildung einer Minderheitsregierung auf die Duldung durch kleinere Parteien angewiesen – etwa die sozialdemokratische New Democratic Party (NDP), die Regionalpartei Bloc Québécois oder die Grünen. Minderheitsregierungen halten in Kanada meist nur wenige Jahre. Allerdings dürfte es den Liberalen in der gegenwärtigen Konstellation bedeutend leichter fallen, eine Zusammenarbeit mit einer kleineren Partei einzugehen, als den Konservativen.

Trump brachte die Wende

Dass es um eine Schicksalswahl ging, zeigte sich schon an der hohen Wählermobilisierung. 7,3 Millionen der insgesamt 29 Millionen Stimmberechtigten gaben bereits vor dem eigentlichen Wahltag ihre Stimme ab – ein Rekordwert.

Tatsächlich war es in dem flächenmässig zweitgrössten Land der Welt noch kaum je in so kurzer Zeit zu einem so radikalen Stimmungsumschwung gekommen. In Umfragen hatten Poilievres Konservative bis vor drei Monaten klar vorne gelegen, ohne Chance für die Liberalen, den Abstand aufzuholen. Doch dann wirbelten die aggressive Zollpolitik und die Annexions-Drohungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump die kanadische Politik durcheinander. Sie verschafften ausgerechnet Trumps Gegenspieler, dem liberalen Wirtschaftsexperten Carney, überraschenden Aufwind. Auf einmal war der Banker, der über keinerlei politische Erfahrung verfügte, der Mann der Stunde.

Noch am Wahltag hatte Trump auf seinem Netzwerk «Truth Social» gepostet, die Kanadier sollten für ihn stimmen. «Halte dich aus unseren Wahlen raus», entgegnete Poilievre auf X, und Carney entgegnete, ebenfalls auf X: «Das ist Kanada – wir entscheiden, was hier geschieht.»

Im Widerstand gegen Trump rückten die Kanadier zusammen. Eine Welle von Patriotismus ging durch das Land. Viele boykottieren nun amerikanische Waren, reisen nicht mehr in die USA, hissen kanadische Flaggen und tragen Kappen mit der Aufschrift «Kanada steht nicht zum Verkauf».

«Canada First»-Kandidat gegen erfahrenen Krisenmanager

Das machte den Wahlkampf schwierig für den konservativen Kandidaten Poilievre, dessen Rhetorik sich an Trump orientierte. Sein polarisierender Stil wirkte angesichts der neuen Einigkeit plötzlich wie aus der Zeit gefallen. So sprach der 45-Jährige, der für niedrige Steuern und Kürzungen bei Staatsausgaben kämpft, wie Trump immer wieder von Fake News, warnte in apokalyptischen Tönen vor der woken Ideologie linksradikaler Kräfte und versprach, Kanada immer an erste Stelle setzen zu wollen – «Canada First». Das kam lange gut an – bis Trump wieder Präsident wurde und Kanada, den langjährigen engen Verbündeten, in einer Art attackierte, die niemand für möglich gehalten hätte.

«Kanadas alte Beziehung zu den Vereinigten Staaten, basierend auf der Verschränkung unserer Ökonomien und einer engen sicherheitspolitischen wie auch militärischen Zusammenarbeit, ist vorbei», erklärte Carney letzten Monat.

Der liberale Wirtschaftsexperte bringt nationale und internationale Krisenerfahrung mit und gilt als belastbar. Während der Finanzkrise leitete er ab 2008 die kanadische Zentralbank. Dass Kanada die globalen Turbulenzen damals vergleichsweise gut überstand, wird auch ihm zugeschrieben.

Zwischen 2013 und 2020 war Carney während der chaotischen Brexit-Phase Zentralbankchef in Grossbritannien, anschliessend bis Januar dieses Jahres Uno-Sondergesandter für Klimaschutz. Er plädiert für eine engere Zusammenarbeit mit Europa und Asien, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA zu verringern. Auch sollen die Handelshemmnisse zwischen den kanadischen Provinzen beseitigt werden, um den Binnenmarkt zu fördern. Zwar versuchte Poilievre seinen Gegenspieler Carney im Wahlkampf als Klon Trudeaus darzustellen, aber ohne Erfolg. Die Wahlen bestätigen, was schon Umfragen klar gezeigt haben: Die meisten Kanadier trauen Carney eher als Poilievre zu, Trump die Stirn zu bieten.

Trudeaus Abgang

«Ich habe schon früher Krisen bewältigt», sagte Carney immer wieder im Wahlkampf. Und, mit einem deutlichen Seitenhieb auf den Rechtspopulisten Poilievre mit seiner provokativen Art: «Das ist eine Zeit, die Erfahrung braucht, nicht Experimente.»

Die Liberale Partei ist in dem G-7-Land Kanada mit seinen rund 40 Millionen Einwohnern seit etwa zehn Jahren an der Macht, anfangs mit absoluter Mehrheit, dann mit einer Minderheitsregierung und bis vor kurzem unter der Führung von Justin Trudeau. Der wurde lange als charismatischer Sonnyboy bewundert.

Angesichts einer schwächelnden Wirtschaft und steigender Preise nahm aber der Druck auf ihn zu, und seine Beliebtheit sank. Anfang des Jahres kündigte Trudeau seinen Rückzug an und übergab seine Posten als Premierminister und Parteivorsitzender nach einer parteiinternen Abstimmung an Carney. Damit begann das Revival der darniederliegenden Liberalen.

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