Montag, November 25

Der deutsche Bundespräsident Steinmeier besucht in Griechenland Orte, an denen die deutschen Besetzer im Zweiten Weltkrieg mordeten. Dabei kommt erneut die Frage nach Reparationszahlungen auf.

Kandanos am letzten Oktobertag. Ein griechisches Bergdorf auf Kreta wie so viele. Die Webcam zeigt die Plateia, den Platz in der Mitte, man sieht eine kleine Taverne. Einige Menschen haben sich auf dem Dorfplatz versammelt, ein Polizeiauto fährt immer wieder die Strasse entlang.

Das Dorf mit seinen heute rund 1000 Einwohnern wartet auf den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Er ist das erste deutsche Staatsoberhaupt, das Kreta besucht. Kandanos ist ein sogenannter Märtyrerort. Am 3. Juni 1941 wurde es komplett von der Wehrmacht zerstört. Der deutsche General Kurt Student hatte die Zerstörung und die Ermordung der Zivilbevölkerung als sogenannte Vergeltungsmassnahme angeordnet für den Tod von 25 deutschen Soldaten, die in Gefechten mit Kretern getötet worden waren. Danach stellten die Soldaten zur Abschreckung eine Tafel auf. In Griechisch und Deutsch wurde die Zerstörung als «Vergeltung» bezeichnet. General Student musste sich für das Kriegsverbrechen in Kandanos nie verantworten.

Reparationen in Höhe von 300 Milliarden Euro

Kandanos steht stellvertretend für das Schicksal von Hunderten von griechischen Dörfern, die während des deutschen Terrorregimes 1941–1944 dem Erdboden gleichgemacht wurden und in denen die Besetzer die Zivilbevölkerung massakrierten.

Am Donnerstag bat der Bundespräsident in Kandanos um Entschuldigung: «Ich bitte Sie, die Überlebenden und Nachfahren, um Vergebung für die schweren Verbrechen, die Deutsche hier verübt haben.» Zudem bat er um Vergebung dafür, dass Deutschland über Jahrzehnte die Ahndung der Verbrechen verschleppt hat. «Dass es nach dem Krieg zunächst weggesehen und geschwiegen hat.»

Nicht alle sind mit guten Worten zufrieden. In Kandanos forderten Einwohner am Donnerstag lautstark «Gerechtigkeit und Entschädigung», vier Überlebende hielten entsprechende Schilder hoch.

Eftihis Papadopetrakis, Professor an der Universität von Patras und Einwohner von Kandanos, hatte bereits am Vortag des Besuchs an einer Pressekonferenz gesagt: «Kandanos war der erste Ort auf Kreta, der von den Deutschen dem Erdboden gleichgemacht wurde, und sie haben schriftliche Beweise für ihr Verbrechen hinterlassen – und das kann nicht durch eine heuchlerische Entschuldigung und PR-Zeremonien ausgelöscht werden.»

Denn wenn es um Reparationsforderungen geht, werden deutsche Politiker schnell schmallippig. Die Frage belastet das deutsch-griechische Verhältnis seit Jahrzehnten. Athen fordert Reparationen in der Grössenordnung von rund 300 Milliarden Euro.

Deutsche Regierungen vertreten den Standpunkt, dass 1990 mit dem Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrags zur Wiedervereinigung alle Ansprüche erloschen seien. Für die deutsche Seite sei die Frage abgeschlossen und völkerrechtlich abschliessend geregelt, betonte auch Steinmeier am Mittwoch, als ihn die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou unverblümt vor den versammelten Journalisten mit den Forderungen konfrontierte.

Das sehen bis jetzt nicht nur alle griechischen Regierungen, egal ob konservativ oder links, anders. Auch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kam 2019 zu der Einschätzung, dass die Haltung der Bundesregierung zwar völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend sei.

Unter die griechischen Forderungen fällt auch die Rückzahlung einer Zwangsanleihe, die das Deutsche Reich Athen 1942 auferlegte, um die Kosten der Besetzung zu finanzieren. Der deutsch-griechische Zeithistoriker Hagen Fleischer betonte mehrfach, Athen sollte sich auf die Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe beschränken. Diese stelle keinen Präzedenzfall dar, wie es bei Reparationsforderungen der Fall sei.

Wann immer griechische Politiker die Forderung nach Reparationen stellen, weist die deutsche Regierung darauf hin, dass sie einen Zukunftsfonds finanziere. Dieser fördert Projekte in der Versöhnungs- und Gedenkarbeit. In diesem Jahr unterstützt die Bundesregierung den Fonds mit einer Million Euro. Allerdings sind für das kommende Jahr drastische Einschnitte geplant, nur noch 300 000 Euro sollen zur Verfügung stehen.

Deutsche Diplomaten in Griechenland hatten dies laut «Spiegel» im Vorfeld von Steinmeiers Besuch kritisiert. Die Kürzungen spielten denjenigen in die Hände, die schon immer die Zuverlässigkeit deutscher Zusagen und Versprechen angezweifelt hätten, insbesondere wenn es um nichtjüdische Opfer gehe. Auch Steinmeier selber kritisierte die geplanten Kürzungen am Donnerstag auf Kreta als «falsches Signal».

Holocaust-Museum für Thessaloniki

Mit deutscher Unterstützung entsteht derzeit in Thessaloniki ein Holocaust-Museum. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebte in Thessaloniki eine der grössten jüdischen Gemeinden Europas. 50 000 der 80 000 Juden in Griechenland lebten hier. Steinmeier hatte am Dienstag die Baustelle besucht, die sich in der Nähe des Durchgangslagers befindet, in dem die jüdische Bevölkerung vor der Deportation zusammengepfercht war. Ab März 1943 wurden die Juden Thessalonikis nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager deportiert. 96 Prozent von ihnen wurden dort ermordet. Nicht einmal 2000 Juden aus Thessaloniki überlebten den Krieg.

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