Mit der vorgeschlagenen Steuererhöhung für Kapitalbezüge wären Rentenbezüge bis zu Alterskapitalien von deutlich über 500 000 Franken im Vergleich oft günstiger.
Soll man bei der Pensionierung das Kapital von der Pensionskasse beziehen oder sich eine Rente zahlen lassen? Gemäss der Neurentenstatistik für 2023 bezogen 4o Prozent der Versicherten nur eine Rente, 41 Prozent bezogen nur eine Kapitalleistung, und der Rest setzte auf eine Mischung. Bei den Pensionskassen sei heute grossmehrheitlich ein Kapitalbezug von bis zu 100 Prozent der angesparten Vorsorgegelder möglich, sagt Stephan Wyss, Branchenexperte bei der Beratungsfirma Prevanto.
Welche Variante vorzuziehen ist, hängt von diversen Faktoren ab – wie etwa von der persönlichen Finanzlage, der Risikoscheu, den familiären Verhältnissen, dem Gesundheitszustand und den Rentenbedingungen der Pensionskasse. Auch die Steuern spielen eine Rolle. Laut Bundesangaben werden Kapitalbezüge vor allem bei grossen Beträgen oft steuerlich privilegiert.
Die vom Bundesrat am Mittwoch vorgeschlagenen Steuererhöhungen für grössere Kapitalbezüge sollen diese Privilegien reduzieren und einen Beitrag zur Entlastung des Bundeshaushalts leisten. Die Steuerverwaltung hat auf Anfrage ihre Rechnungen zum steuerlichen Vergleich zwischen Kapitalbezug und Rente gezeigt. Angenommen wird in diesem Vergleich ein realistischer Umwandlungssatz von 5 Prozent: Pro 100 000 Franken Alterskapital bei der Pensionierung fliesst eine Altersrente von 5000 Franken. Betrachtet wird die steuerliche Gesamtbelastung in den zwanzig Jahren nach der Pensionierung.
Für Reiche günstiger
Nach geltendem Recht besteuert der Bund Kapitalbezüge aus der Pensionskasse mit einem Fünftel jenes Steuersatzes, der beim gleichen Betrag bei der ordentlichen Einkommenssteuer gälte. Renten werden zusammen mit dem übrigen Einkommen zum ordentlichen Einkommenssteuersatz besteuert. Wegen der Steuerprogression führt dies zu folgender Tendenz: Je höher das angesparte Pensionskassenkapital ist und je mehr übriges Einkommen der Rentner hat, desto eher sind Kapitalbezüge steuerlich begünstigt.
Laut den Bundesrechnungen fahren zurzeit Betroffene bei Pensionskassenvermögen ab 500 000 Franken mit dem Kapitalbezug bei den Bundessteuern meist besser, sofern sie ein gewisses Vermögenseinkommen haben (zum Beispiel 10 000 Franken). Die Rechnungen beruhen auf vereinfachenden Annahmen. Berücksichtigt man zusätzlich, dass aus Kapitalbezügen steuerpflichtige Anlageerträge entstehen dürften, sind laut grober NZZ-Abschätzung die Bundessteuerbelastungen für Kapitalbezug und Rentenbezug mit Pensionskassenvermögen von 500 000 Franken und übrigen Vermögenserträgen von 10 000 Franken pro Jahr ähnlich gross.
Deutlich günstiger sind laut den Bundesrechnungen Kapitalbezüge bei einem Pensionskassenvermögen von einer Million Franken und einem übrigen Einkommen von 20 000 Franken pro Jahr. Bei einem Alleinstehenden mit Rentenbezug gäbe dies auf Bundesebene eine Gesamtsteuerbelastung über zwanzig Jahre von rund 54 000 Franken; mit Kapitalbezug wären es nur etwa 31 000 Franken. Bei einem Pensionskassenvermögen von 2 Millionen Franken und übrigen Erträgen von 50 000 Franken pro Jahr sind die Steuerunterschiede noch viel grösser: 74 000 Franken mit Kapitalbezug gegenüber 209 000 Franken mit Rentenbezug.
Hohe Beträge sind selten
Der Bundesrat schlägt nun die Einführung eines neuen Sondertarifs für die Besteuerung von Kapitalleistungen vor. Die Steuerbelastung bis zu Bezügen von 20 Millionen Franken würde von 0,1 Prozent bis 9,3 Prozent reichen. Vor allem für Bezüge ab 500 000 Franken nähme die Steuerbelastung deutlich zu. Bei einer Million wäre es fast eine Verdoppelung (von 23 000 auf 42 600 Franken), bei 5 Millionen gäbe es eine Verdreifachung (von 115 000 auf fast 343 000 Franken).
Mit der Reform wären laut den Bundesrechnungen Kapitalbezüge bis zu einer Million Franken steuerlich oft stärker belastet als Rentenbezüge, und zum Teil ist die Belastung ähnlich. Bei höheren Beträgen wären Kapitalbezüge indes häufig noch privilegiert. Die Unterschiede würden aber kleiner werden, und zum Teil gäbe eine Mischform mit je hälftigem Kapital- und Rentenbezug ähnliche Steuern wie der volle Kapitalbezug.
2021 gab es laut Angaben des Bundes gut 1900 Kapitalbezüge von über einer Million Franken – wohl grösstenteils Bezüge aus Pensionskassen. In rund 500 Fällen lagen die Kapitalbezüge über 2 Millionen, und 74 Bezüge überstiegen 5 Millionen. Laut Daten der Beratungsfirma VZ Vermögenszentrum von rund 2200 Kunden aus dem «Mittelstand» mit Jahrgang 1956 bis 1964 betrug das mittlere erwartete Pensionskassenkapital bei der Pensionierung rund 600 000 Franken (Median). Bei einem Viertel waren es über 830 000 Franken.
Das VZ Vermögenszentrum führte einen eigenen Steuervergleich zwischen Kapitalbezug und Rente durch. Dies im Unterschied zu den Bundesrechnungen einschliesslich der Kantons- und Gemeindesteuern für die Städte Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich. Beim untersuchten Falltyp mit 800 000 Franken Pensionskassenvermögen übersteigt die Steuerbelastung der Rentenbezüger jene der Kapitalbezüger nach etwa 16 bis 17 Jahren, wie der VZ-Berater Karl Flubacher sagt. Mit dem Vorschlag des Bundesrats würden sich die Linien laut Flubacher nach etwa 18 bis 19 Jahren kreuzen.
Auch dies lässt mutmassen, dass bei hohen Pensionskassenvermögen Kapitalbezüger steuerlich mit dem Reformvorschlag im Vergleich zu Rentenbezügern immer noch eher besser fahren würden. Denn die durchschnittliche Restlebenserwartung im Alter 65 ist höher als 18 bis 19 Jahre. Laut einer Datenreihe der Bundesstatistiker dürften Personen, die heuer 65-jährig sind, im Mittel beider Geschlechter noch 23 bis 24 Jahre leben. Dies beruht auf Kohortentafeln, die berücksichtigen, dass es während der Restlebenszeit der Betroffenen weitere Fortschritte geben dürfte.
Begrenzung der Steuerabzüge?
Der Vorschlag des Bundesrats dürfte noch viel zu reden geben. Der Pensionskassenexperte Reto Leibundgut von der Beratungsfirma C-alm hat jüngst zusammen mit einem Kollegen einen anderen Ansatz empfohlen: Man passe die Besteuerung der Renten an jene der Kapitalbezüge an. Die Grundidee: Bei der Pensionierung werde das Pensionskassenvermögen der Versicherten zu einem Kapitalbezugssatz besteuert, und die Pensionskasse bezahle die Steuer vorab mit dem Vorsorgevermögen des Versicherten. Dessen Bruttorente verkleinert sich dadurch, dafür ist die Rente steuerfrei.
Damit liesse sich im Prinzip eine Gleichbehandlung von Kapital- und Rentenbezug realisieren. Wie jedes Modell hat auch dieses Nachteile. Es wäre zum Beispiel eher schwierig zu erklären, weshalb ein Rentner, der nur ein Jahr nach der Pensionierung stirbt, trotzdem faktisch eine Steuer für zwanzig oder mehr Jahre Rente bezahlen müsste. Ein Bundesvertreter sagt es wie folgt: Rentner mit unterdurchschnittlicher Lebenszeit wären überbesteuert, und solche mit überdurchschnittlicher Lebenszeit wären unterbesteuert.
Ein weiterer Ansatz wäre denkbar: Man ändert die Steuerregeln bei den Einzahlungen statt bei den Kapitalbezügen. «Es ist überraschend, dass über die Einzahlungsseite gar nicht diskutiert wird», sagt Felix Walter, Ökonom beim Forschungsbüro Ecoplan in Bern. Er ortet fiskalisches Potenzial und ein «fragwürdiges Privileg» bei den «enorm grossen Abzugsmöglichkeiten für clevere Grossverdiener durch Einkäufe in die Pensionskasse». Eine denkbare Antwort wäre laut Walter die Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der jährlichen Einkäufe in die Pensionskasse, zum Beispiel auf maximal 20 000 oder 50 000 Franken oder 20 Prozent des Einkommens. Der Gedanke stösst im Grundsatz auch bei zwei anderen Befragten auf gewisse Resonanz. Eine solche Reform würde aber dem Vernehmen nach den Rahmen des Regierungspakets zur mittelfristigen Stabilisierung des Bundeshaushalts sprengen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.