Mittwoch, Januar 8

Auf Geheiss ihres schwerreichen Besitzers Jeff Bezos hat die «Washington Post» auf eine Wahlempfehlung für Kamala Harris verzichtet. Nun steht die Zeitung wegen einer nicht veröffentlichten Karikatur erneut in der Kritik.

Vier Männer knien vor einer mächtigen Statue, halten Säcke voller Dollars in die Höhe, neben ihnen liegt Mickey Mouse am Boden wie ein Diener, der seinem Herrn huldigt. Einer der Männer ist unschwer als der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zu erkennen, ein anderer als Jeff Bezos, der mit Amazon den Online-Handel revolutioniert hat. Das Gesicht der Statue ist nicht zu sehen, aber es ist klar, dass sie Donald Trump darstellen soll.

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Jeff Bezos buhlt um die Gunst von Donald Trump

Die Karikatur hätte in der «Washington Post» erscheinen sollen. Für diese kommentiert die Zeichnerin Ann Telnaes regelmässig das politische Geschehen, meist mit einer klaren Botschaft gegen die Republikaner und gegen Donald Trump. Diesen hat Telnaes auch schon als schreiendes Coronavirus oder als Schwein karikiert. Telnaes’ neuster Cartoon war der «Washington Post» offensichtlich zu viel. Sie lehnte eine Publikation ab – aus politischen Gründen, wie die Zeichnerin vermutet.

Als Karikaturistin, so schreibt sie auf ihrem Substack-Profil, sei es ihre Aufgabe, «mächtige Menschen und Institutionen» zur Rechenschaft zu ziehen. «Zum ersten Mal hat mich mein Redaktor daran gehindert, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen.» Illustriert ist der Beitrag mit der abgelehnten Karikatur, der Titel lautet: «Warum ich die ‹Washington Post› verlasse».

Die Affäre ist peinlich für die «Washington Post». Seit 2013 ist das Leibblatt der Demokraten im Besitz von Jeff Bezos, den Ann Telnaes in ihrer jüngsten Zeichnung als Lakaien von Donald Trump verhöhnt. Bezos und andere Milliardäre wie Mark Zuckerberg haben für die Feier zu Trumps Amtseinführung am 20. Januar eine Million Dollar gespendet. Der Amazon-Gründer bemüht sich seit längerem um ein besseres Verhältnis zu Trump.

Denn mit seinem Raumfahrtunternehmen Blue Origin ist Bezos auf gute Beziehungen zur amerikanischen Regierung angewiesen. Obwohl er stets versichert, er verfolge mit der «Washington Post» keine politischen Interessen und lasse den Journalisten alle Freiheiten, mischt er sich in redaktionelle Angelegenheiten ein. Offensichtlich wurde das, als er im Oktober eine Wahlempfehlung der Redaktion zugunsten von Kamala Harris verhinderte. Zeitungen, so erklärte Bezos, dürften nicht länger als parteiisch wahrgenommen werden, sofern sie überleben wollten.

«Politische Feigheit» nennt es der Karikaturistenverband

Der Entscheid führte zu Protesten in der Redaktion und zu zahlreichen Abo-Kündigungen. Mit dem Eklat um die Karikaturistin Ann Telnaes droht der Zeitung ein weiterer Reputationsschaden. Der Verband der amerikanischen Karikaturisten bezichtigt sie der «politischen Feigheit», Telnaes sieht in dem Vorfall einen Angriff auf die Pressefreiheit und die Demokratie.

Die Presseabteilung der «Washington Post» versucht dagegen, die Ablehnung von Telnaes’ Cartoon als normalen Vorgang darzustellen. Der zuständige Redaktor David Shipley erklärte, es sei bloss darum gegangen, inhaltliche Wiederholungen zu vermeiden: Zum selben Thema habe man bereits eine Kolumne veröffentlicht, eine weitere sei geplant gewesen. Nicht jedes redaktionelle Urteil sei auf das Wirken bösartiger Mächte zurückzuführen.

Shipley sagte gemäss einem Bericht der «New York Times», er wolle am Montag mit Ann Telnaes reden – und sie dazu bewegen, ihren Kündigungsentscheid zu überdenken. Telnaes arbeitet seit 2008 bei der «Washington Post», ihre Arbeiten sind mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Pulitzerpreis.

Ihre selbstauferlegte Aufgabe, die Mächtigen zu kontrollieren, hat sie zumindest in den letzten Monaten ziemlich einseitig wahrgenommen. Einige ihrer Zeichnungen von Kamala Harris wirken nicht wie Karikaturen, sondern wie Propagandaplakate. Die Tatsache, dass Kamala Harris bei Wählern nicht gut ankam, führte sie pauschal auf Sexismus zurück. Als Kronzeuge für diese These diente ihr Barack Obama.

Auf Substack hat Telnaes bereits angekündigt, sie werde nicht damit aufhören, «die Wahrheit durch meine Karikaturen ans Licht zu bringen».

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