Freitag, Oktober 18

Eine Amtsübergabe ohne CS-Briefing von Ueli Maurer, die hektische Suche nach einer Lösung – und die Angst vor dem ganz grossen Kollaps: In «NZZ Standpunkte» zieht Bundesrätin Karin Keller-Sutter Bilanz zum Ende der Credit Suisse. Und warnt vor den Folgen für die ganze Schweiz.

Mit Ueli Maurer habe es kein persönliches Briefing zur Credit Suisse gegeben, als sie das Amt der Vorsteherin des Finanzdepartements von ihrem Vorgänger übernommen habe, sagt Karin Keller-Sutter in «NZZ Standpunkte». Immerhin: Gänzlich neu sei ihr das Thema nicht gewesen, da sich der Bundesrat bereits im Herbst 2022 damit habe beschäftigen müssen. «Danach hat sich die Lage aber beruhigt, und das war dann auch die Information meines Vorgängers.»

Ein ausgiebiges Briefing habe sie stattdessen von Staatssekretärin Stoffel erhalten. Allerdings nur mündlich, «denn es gab ja keine Unterlagen zu diesem Thema, die schriftlich zirkuliert wären. Weil das ja sehr heikel war», sagt die Bundesrätin weiter.

Wie dramatisch die Lage wirklich war, wurde ihr am 15. März 2023 bewusst, als die Saudi National Bank, der grösste Investor der CS, erklärte, keine weiteren Gelder zur Verfügung stellen zu wollen. «Das war das Todesurteil», sagt Keller-Sutter. Noch am selben Tag habe man das Gespräch mit der Credit Suisse und auch mit der UBS gesucht.

«Und von da an hatten wir jeden Tag eine Bundesratssitzung. Es war wie im Bienenhaus im ‹Bernerhof›.» Auch von der Nationalbank seien Vertreter gekommen, vom Staatssekretariat für Finanzen, von der Eidgenössischen Finanzverwaltung, vom Bundesamt für Justiz, von der Finma – «mehrere Dutzend Leute, Tag und Nacht».

«10 bis 17 Milliarden Franken pro Tag. Das war ultrakritisch»

Gegen Ende der Woche erreichte die Vertrauenskrise ihren Kulminationspunkt, wie Keller-Sutter es formuliert. «Wir sprechen von einem Abfluss von etwa 10 bis 17 Milliarden Franken pro Tag. Das war ultrakritisch.» Für die Behörden sei es nur noch darum gegangen, «dass man die Bank ins Wochenende bringt, dass sie nicht vor dem Wochenende ungeordnet in Konkurs geht».

Als man schliesslich zur finalen Sitzung zusammengekommen sei, sei dies mit dem Wissen geschehen, dass «diese Bank das Wochenende nicht überleben wird». Eine stabilisierende Lösung sollte her, weil alles andere «verheerende Folgen für die Schweiz, für den Finanzplatz, für die ganze Volkswirtschaft» bedeutet hätte und auch international eine Finanzkrise befürchtet worden sei. Entsprechende Pläne habe es schon vor der Pleite gegeben. Und so konnten am Sonntagabend die Einigung mit der UBS und das faktische Ende der Credit Suisse verkündet werden.

Trotzdem bleiben bis heute viele Fragen offen. Warum wurde nicht eher gehandelt? Hätte das Desaster verhindert werden können? «Man wusste, dass es der Credit Suisse nicht gut ging», räumt KKS ein. Die Finma und auch die Nationalbank hätten aber immer gesagt, dass die regulatorischen Puffer erfüllt seien. Und «der Bundesrat ist nicht Aufsicht über die Banken», betont KKS – sondern die Finma.

Stattdessen habe die CS am Sonntagabend fast 170 Milliarden Franken erhalten, um liquide zu bleiben. Letztlich aber lief alles auf eine Übernahme durch die UBS hinaus. Darauf hatte sich die UBS dem Vernehmen nach schon im Herbst 2022 vorbereitet. Und auch die Märkte gingen längst von einem baldigen Ende der CS aus. Weshalb also dauerte es so lange, bis der Deal stand, wenn die Pläne doch längst ausgearbeitet waren?

«Ich weiss nichts darüber, was vor meinem Amtsantritt (mit der UBS) vereinbart, besprochen oder nicht besprochen wurde. Ich war nicht dabei, nicht informiert», sagt Keller-Sutter. Gleichzeitig räumt sie ein, dass es für die UBS «sicher eine Gelegenheit» gewesen sei. «Sie haben aber auch Risiken übernommen. Und sie haben dazu beigetragen, dass wir eine Lösung finden konnten, die die Stabilität auf dem Finanzmarkt garantiert», so die Bundesrätin weiter. Die UBS habe grossen Respekt vor dem Ansteckungsrisiko auf dem Schweizer Finanzmarkt gehabt. «Es ist ja sehr irrational, was da passiert.» Es gehe um Emotionen, Ängste und um «Vertrauen, das dann gefehlt hat».

«Natürlich hätten alle lieber noch zwei Grossbanken»

Die Politik jedenfalls habe nur «die Suppe ausgelöffelt für unternehmerisches Versagen einer Grossbank». Deren Leitung, also der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung der CS, hätten früher sehen müssen, dass es so nicht weitergehen könne. Und dann von sich aus eine Lösung finden, mit anderen Banken sprechen müssen, um überlebensfähig zu bleiben.

Dass es nunmehr eine statt zwei Schweizer Grossbanken gibt, ist per se für KKS kein Problem. «Natürlich hätten alle lieber noch zwei Grossbanken, aber es sind auch andere grosse Banken in der Vergangenheit in anderen aufgegangen» – und dies in weniger turbulenten Zeiten.

Ihr Job sei in erster Linie gewesen, eine Krise in der gesamten Volkswirtschaft zu verhindern. Und das sei eine undankbare Aufgabe gewesen, genauso wie anschliessend beweisen zu müssen, dass der Schaden nicht eingetreten sei. «Das können Sie fast nicht beweisen. Aber wir haben den Schaden abgewendet. Das Ergebnis zählt.»

Das Endergebnis dürfte allerdings noch gar nicht feststehen. Vor dem Bundesgericht und vor ausländischen Gerichten sind zahlreiche Klagen anhängig, die die Schweiz im schlimmsten Fall 16 Milliarden Franken kosten könnten. Zu den entsprechenden Verfahren will sich Keller-Sutter nicht äussern. «Es gibt Prozessrisiken, und der Bundesrat kommentiert diese Verfahren nicht.»

Aus demselben Grund könne sie auch keine konkreten Aussagen zu den berüchtigten AT1-Anleihen machen, deren Inhaber leer ausgingen, während die Aktionäre der CS zumindest einen Teil ihres Geldes retten konnten. In einem solchen Fall gebe es aber immer gewisse Rechtsrisiken. Im Prospekt zu den AT1-Anleihen sei sogar transparent dargelegt worden, dass die Bankenaufsicht diese Anleihen unter Umständen abschreiben könne, erklärt Keller-Sutter.

Alle Optionen waren mit Risiken behaftet

Doch selbst wenn weitere Kosten auf die Schweiz zukommen sollten, wäre das für sie nicht automatisch ein Argument dafür, dass man einen anderen Weg hätte gehen sollen. «Was war denn die Alternative? Wenn man zum Beispiel eine Sanierung gemacht hätte, hätte man einen Bail-in machen müssen.» Das habe es noch nie gegeben und wäre mit enormen Risiken verbunden gewesen.

Die grössten Rechtsrisiken hätte eine Verstaatlichung bedeutet, denn man hätte «total enteignet». 3 Milliarden Franken hätten den Aktionären zugestanden, dazu hätte es jahrelange Gerichtsverfahren gegeben: für Keller-Sutter keine Option, genauso wenig wie ein ungeordneter Konkurs.

Beim gewählten Weg seien die Risiken einfach am geringsten gewesen. Dies trotz den enorm hohen Summen, die für den Staat auf dem Spiel gestanden hätten. Die UBS als robuste, gut kapitalisierte Bank und auf der anderen Seite staatliche Liquiditätsgarantien: Das sei das einzige Konstrukt gewesen, das Vertrauen in dieser Situation habe herstellen können.

«Mit diesem Partner im Rücken war es wahrscheinlicher, dass es gelingt, die Garantien zurückzubekommen», sagt sie. Ausserdem habe die UBS die finanziellen Mängel und die Rechtsrisiken übernommen. «Das war die beste aller schlechten Lösungen», auch wenn sie es lieber hätte, die Credit Suisse hätte aus eigener Kraft überleben können.

Sie habe ohnehin keine Zeit für persönliche Befindlichkeiten gehabt, so die Bundesrätin. «Es ging auch nicht darum, die Credit Suisse zu retten – nein! Wir haben versucht, den Schaden, der dem Land gedroht hätte, abzuwenden.» Und das sei gelungen.

Angst vor dem Dominoeffekt

Auch von den positiven Reaktionen an den internationalen Börsen sieht sich Keller-Sutter bestätigt. Sie verweist ausserdem auf drei Regionalbanken in den USA, die zuvor ins Trudeln geraten seien. Es sei befürchtet worden, dass eine Dominokette in Gang gesetzt würde. Man sei der Schweiz deshalb «sehr dankbar», dass eine stabilisierende Lösung gefunden worden sei.

Bei einem ungeordneten Konkurs hingegen wären möglicherweise nicht nur andere Banken in Mitleidenschaft gezogen worden. «Die Menschen hätten keinen Zugang mehr gehabt zu ihren Konten, die Löhne wären nicht mehr ausbezahlt worden, KMU hätten ihre Kreditlinien nicht beziehen können», so Keller-Sutter.

Die Schuldigen für den Untergang der Bank stehen für die Bundesrätin fest: «Verlieren wir nicht aus dem Auge, wer diese Bank in den Abgrund getrieben hat. Die Verantwortlichen im Verwaltungsrat, in der Geschäftsleitung haben Alarmzeichen nicht registrieren wollen und sind bis zum Schluss gegangen.» Das Justizdepartement werde prüfen, ob und wie Manager künftig besser zur Verantwortung gezogen werden könnten, so dass sie die direkte Verantwortung für ihre Entscheide trügen.

Gleichzeitig erinnert sie daran, dass die CS-Führung mit dem Segen der Eigentümer ins Verderben lief. Wenn, wie kolportiert werde, die CS in den letzten fünfzehn Jahren vor ihrem Ende einen Nettogewinn von 800 Millionen Franken gemacht haben sollte, während im gleichen Zeitraum mehr als 40 Milliarden Franken an Boni ausgeschüttet worden seien, so sei dies Teil des Problems. Schliesslich hätten die Aktionäre und der Verwaltungsrat das bewilligt.

«Es hat sich etwas verändert in diesem Land»

Keller-Sutter hält das Ende der Credit Suisse für einen «singulären Fall». Dennoch mahnt sie: «Es hat sich etwas verändert in diesem Land.» Schon die staatlichen Corona-Hilfen hätten ein Denken entstehen lassen, das sich einem bekannten Spruch annähere: «Gewinne privat, die Kosten dem Staat – wir müssen viel daran arbeiten, dass er nicht zu einer Regel, dass er nicht Realität wird.»

Wie geht es also weiter? Der Bundesrat arbeite an einem Bericht über die Too-big-to-fail-Regulierung. Darin werde aufgezeigt, welche Massnahmen getroffen werden müssten, um die Risiken für den Staat, die Steuerzahlenden sowie den Finanzplatz und die Wirtschaft in Zukunft zu minimieren und Stabilität zu gewährleisten. «Der Faktor Mensch bleibt immer», schränkt KKS ein. «Aber es muss auch eine grosse Bank abgewickelt werden können.»

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