Montag, Oktober 7

Der deutsche Künstler, dessen Werk zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit oszilliert, war eine moralisch zwielichtige Figur. In vielfacher Hinsicht war er eng mit der Schweiz verbunden. Eine Ausstellung in Ascona wirft einen nüchternen Blick auf Karl Hofer und sein Werk.

Heute würde man ihn als Workaholic bezeichnen: Im Zeitraum von 1898 bis zu seinem Todesjahr 1955 schuf Karl Hofer rund 2900 Gemälde. Dazu zählen auch die frühen, von ihm selber vernichteten Arbeiten und die im Zweiten Weltkrieg verbrannten Werke. Hofer war von der Malerei besessen, hoch ambitioniert, selbstbewusst. Auch die Bezeichnung Egomane würde auf ihn zutreffen. Und er war herausragend in der Kunst seiner Zeit.

Im Jahr 1927 entsprach der Marktwert seiner Bilder jenem der Werke eines Max Liebermann oder eines Paul Klee, lag vielleicht sogar darüber. Dennoch: Geht man durch die Ausstellung in Ascona, so stellt sich unweigerlich die Frage: Wie gelingt ein unverstellter und wertschätzender Blick auf ein Werk, wenn man um die Biografie des Künstlers weiss, die von tiefschwarzen Flecken durchzogen ist?

Zu Lebzeiten war Karl Hofer eine prominente Persönlichkeit. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand er sich stets an vorderster Front: Ihm wird 1945 die Leitung der Akademie der bildenden Künste in Berlin übertragen, im gleichen Jahr gründet er den Kulturbund, er wird Mitherausgeber einer Kunstzeitschrift, und 1950 übernimmt er den Vorsitz des neu ins Leben gerufenen Deutschen Künstlerbundes.

Sein intensives kulturpolitisches Engagement und sein Werk als Figurenmaler ersten Ranges in Deutschland wurden mit zahlreichen Ehrungen und Ausstellungen in Museen und Galerien im In- und Ausland gewürdigt.

Heute dagegen ist Hofer zwar kein Unbekannter, aber auch nicht wirklich im kollektiven Gedächtnis präsent. Seine Bilder ruhen in Depots oder werden in Themenausstellungen gezeigt, die sich mit der Kunst aus der Zeit von 1933 bis 1945 auseinandersetzen.

Ziel der Ausstellung im Museo Castello San Materno in Ascona dagegen ist es nun, mit einer repräsentativen Schau einen objektiven, explizit kunsthistorisch orientierten Blick auf das Werk des Künstlers zu werfen. Nicht nur die Figurenbilder, für die Hofer am ehesten bekannt ist, sondern auch die selten gezeigten Stillleben und die Landschaftsmalerei, die er in der Schweiz, im Tessin, für sich entdeckte, sind hier zum Vergleich nebeneinander zu sehen.

Schweizer Freund und Mentor

Das künstlerische Talent Karl Hofers wurde früh erkannt. 1878 in Karlsruhe geboren und als Halbwaise unter prekären Verhältnissen aufgewachsen, erhielt er ein Stipendium für die Kunstschule in Karlsruhe. Das Studium schloss er in Stuttgart ab. Durch glückliche Umstände wurde er ab 1902 von Theodor Reinhart, dem wohlhabenden Schweizer Kaufmann aus Winterthur und Vater des Museumsgründers Oskar Reinhart, unter die Fittiche genommen.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1919 unterstützte Theodor Reinhart den aufstrebenden Künstler nicht nur grosszügig, sondern war ihm auch ein väterlicher Freund und Mentor. Im Katalog ist nachzulesen, welche Tragweite das Verhältnis des Malers zu seinem Mäzen hatte. Nicht nur ermöglichte die finanzielle Sicherheit dem jungen Maler und seiner Frau – 1903 heiratete Karl Hofer die jüdische Konzertsängerin Mathilde Scheinberger (1874–1942) – einen mehrjährigen Studienaufenthalt in Rom und Paris. Auch zwei ausgedehnte, intensiv und als «paradiesisch» erlebte Aufenthalte in Indien konnten so realisiert werden.

Dank der Fürsprache Theodor Reinharts wurde Karl Hofer 1917 während des Ersten Weltkriegs aus der französischen Internierung entlassen. Wieder in Deutschland, im Berlin der zwanziger Jahre, setzte für Hofer eine rege Ausstellungstätigkeit ein, die seinen Ruf als herausragender Figurenmaler manifestierte. Er war auf dem Zenit seiner Kunst angekommen.

Kalt und seelenlos

In der Ausstellung in Ascona hängt ein grossformatiges Ölgemälde aus dem Jahr 1923: «Mädchen mit blauer Vase» nähert sich dem Stil der Neuen Sachlichkeit an. Es zeigt eine an einem runden Tisch sitzende, junge Frau in entspannter Haltung, gehüllt in einen voluminösen Mantel. Auffallend ist ihr ernster Blick, der auf den Betrachter gerichtet ist. Das ist ungewöhnlich. Hofer malte auf seinen Bildern gemeinhin die Augen seiner Figuren wie schwarze Hohlräume. Diese Gesichter waren stets bar jeden Ausdrucks, unergründlich, maskenhaft leer.

Für Hofer seien seinem Gefühl nach geöffnete, den Beschauer anblickende Augen in einem Kunstwerk «geradezu eine Schweinerei», würden ein Bild gar «ruinieren», liess er Theodor Reinhart in einem Brief wissen. «Sinn und Berechtigung haben sie nur im Porträt oder [in] porträtartigen Darstellungen. [. . .] Meine Figuren dagegen verharren völlig in Ruhe, für sie existiert kein Beschauer, also schauen sie ihn auch nicht an.»

«Der Künstler hat Ausdruck seiner Zeit zu sein in überzeitlicher Gestaltung», war Hofer der Überzeugung. Im überzeitlichen Sinn ist auch das im selben Raum hängende Bild «Liegender Mädchenakt vor Fenster mit Berglandschaft» von 1939/40 zu verstehen. Das Bild hat seine Qualitäten, keine Frage. Unübersehbar – im Katalog wird darauf verwiesen – sind die Anleihen an Manets «Olympia» (1863) und an Tizians «Venus mit dem Orgelspieler» (ca. 1550). Die Komposition ist ausgewogen, die Farbpalette superb, die Auffassung des Körpers überzeugend.

Und doch: Der Blick der nackten, auf dem Bett liegenden Frau ist ohne Tiefe und kalt, seelenlos. Als das Bild entstand, hatte Hofer kurz vorher die Scheidung von seiner jüdischen Frau erwirkt – seine Karriere stand auf dem Spiel. Richtig ist zwar, dass die Ehe zu Mathilde längst vorher in die Brüche gegangen war. Spätestens seit den zwanziger Jahren stand Karl Hofer in fester Beziehung zu einer anderen Frau. Richtig ist aber auch, dass er ganz gezielt auf die Scheidung von seiner jüdischen Frau hinarbeitete, um seine reine Gesinnung vor hochrangigen Entscheidungsträgern des Naziregimes zu manifestieren.

Die Haltung des Malers gegenüber dem sich anbahnenden Nationalsozialismus gestaltet sich widersprüchlich. Einerseits gehörte er zu den Ersten, die sich öffentlich scharf gegen den Faschismus aussprachen, was ihn 1934 seinen Lehrauftrag an der Kunsthochschule in Berlin-Charlottenburg kostete. Andererseits war er gleichzeitig ein Verehrer Hitlers. Dass seine Bilder von den Museen abgehängt und in der Ausstellung «Entartete Kunst» in München 1937 gezeigt wurden, empfand er als grosses Missverständnis.

Mathilde Scheinberger gab ihre Karriere als Konzertsängerin zugunsten der Ehe und der Erziehung ihrer beiden Söhne auf. Als Jüdin musste sie den Nationalsozialismus mit all seinen repressiven Schikanen, seinem Terror erleiden. Von ihrem Mann erhielt Mathilde abgesehen von der finanziellen Unterstützung keinen Schutz. Im Gegenteil. Karl Hofer forderte wieder und wieder die Scheidung mit Vehemenz und Kalkül.

1937 wurde die Ehe offiziell getrennt. Für Mathilde bedeutete dies in der Folge Gefangenschaft und die Deportation ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, wo sie 1942 ermordet wurde. Karl Hofer bescherte die Scheidung hingegen die Möglichkeit zur Heirat seiner zweiten Frau und seine Wiederaufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste. Nach dem Krieg wurde Karl Hofer geehrt und gefeiert.

Karl Hofer. Figuren, Stillleben, Landschaften, Museo Castello San Materno, Ascona, bis 29. September. Katalog mit Textbeiträgen von Doris Hansmann und Harald Fiebig (Italienisch/Deutsch), im Museumsshop Fr. 32.–.

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