Donnerstag, Oktober 10


Comeback

Karo ist zurück – das Muster der britischen Aristokraten und Punks, auf das sich heutzutage alle einigen können.

Grundschullehrer lieben es, Bibliothekarinnen lieben es, Vorstadt-Väter ebenso. Hipster tragen es, weil sie das Muster zusammen mit Vollbart und Hornbrille trotz neustem MacBook Air und 7-Franken-Kaffee to-go in der Hand so bodenständig und naturverbunden rüberkommen lässt. Karo ist der Golden Retriever unter den Mustern, den alle verstehen. Deshalb schlüpfen gelegentlich auch die Firmenchefs in Karo-Kleidung, um ihre Zugänglichkeit zu unterstreichen.

Karomuster kann aber auch ganz anders. Punks und Rockstars tragen es als Dagegen-Statement, ausgewaschen und heruntergekommen hat es Kurt Cobain damit in die Modegeschichte gebracht. Es ist genau dieses Doppelleben – zwischen Establishment und Anti-Establishment –, dem Karo seinen Reiz verdankt. Das erklärt, warum es auch so unwiderstehlich für Designerinnen und Designer bleibt, die es in einem verlässlich kurzen Rhythmus immer wieder auf die Laufstege bringen, stets neu interpretiert.

«Der lässige Look, den wir auch haben wollen»

Diese Saison wird es besonders wild. Bei Celine sieht man grosse Karomuster auf Siebziger-Jahre-Hemden, bei Givenchy und Louis Vuitton sieht es ähnlich aus. Bei Y/Project könnte man meinen, Cobain persönlich habe die Finger bei der Stoffauswahl im Spiel gehabt. Bei dem, was Louis Vuitton zeigt, wird es einem geradezu schwindelig, so viel Karo in Tartan, Glencheck oder Pepita auf dem Laufsteg. Während sich Dries van Noten im Schachbrettmuster verliert, zeigen Chanel, Bottega Veneta und Hermès eher Kleinkariertes.

Das Gütesiegel zum Comeback verlieh Kate Moss dem Karomuster bereits vor anderthalb Jahren: Da schlenderte sie in einem himmelblauen, karierten Hemd, lässig über einem Tanktop und zur tiefsitzenden Jeans getragen, über den Laufsteg der Bottega-Veneta-Schau für den Sommer 2023. Als ob die Modewelt nur so auf diesen (vermeintlich) unprätentiösen Look gewartet hätte, titelte die deutsche «Vogue» begeistert: «Kate Moss trägt schon jetzt den lässigen Look, den wir auch haben wollen.»

Ganz so lässig war der dann doch nicht, wer ganz genau hinschaute, konnte erkennen, dass das Bottega-Veneta-Hemd aus allerfeinstem Leder gefertigt und nur mit einem Flanell-Karomuster bedruckt worden war. Kostenpunkt: über 5000 Franken. Karo ist immer wieder gut für Überraschungen.

Mal vornehm, mal bodenständig, mal anti

Dabei begann alles so bodenständig. Das erste Karomuster stammt nämlich aus der Webkunst, als man die Wolle von helleren und die von dunkleren Schafen in den Webrahmen fädelte. Daraus entstand dann das rechteckige Muster. In den schottischen Highlands dienten die verschiedenen daraus entwickelten Dessins erst der regionalen Zugehörigkeit, ab dem 16. Jahrhundert haben sich verschiedene Clans damit voneinander abgegrenzt.

So richtig verbreitet hat es sich im 19. Jahrhundert, als es Königin Victoria im Vereinigten Königreich Grossbritannien und Irland zur Mode gemacht hat. Sie bedeckte die Räume, sich selbst, ihren Gatten und ihre zahlreichen Kinder mit dem Muster. Davon konnte sich der Kleiderschrank der Königsfamilie nie freikämpfen, und so ist da das Karomuster noch heute solide vertreten. Eine Abwandlung des Musters trägt sogar einen Namen der britischen Königsfamilie: Prince-of-Wales-Check, auch Glencheck genannt.

Kein Wunder, haben die Royals das Haus Burberry 1955 zum königlich-britischen Hoflieferanten erklärt: Die Modemarke setzt ihr ikonisches beige-schwarz-rot-weisses Karomuster seit 1920 ein, zunächst als Futter, später auch als Oberstoff. Heute ist das Karo so britisch wie die Briten selbst. Klar hat auch die Barbour-Jacke, die pure Verstofflichung des Landes, ein Innenfutter mit Karo, von Nacken bis Gesäss.

Ungewollt im Mainstream gelandet

Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die Uniform der britischen Aristokratie ironisch uminterpretiert wurde – wie dies etwa auch dem Polohemd widerfahren ist. Das übernahm dann Vivienne Westwood, die englische Modeschöpferin und Mitbegründerin der Punk-Bewegung, selbst – und hat das bis dahin brave Muster Ende der 1970er Jahre zum Emblem der Punks erhoben. Nur dass dieses farbiger bedruckt und wild auseinandergeschnippelt, -gerissen und anarchisch mit Sicherheitsnadeln wieder zusammengeflickt wurde.

Sein Anti-Potenzial schöpfte Karo dann nochmals im Grunge (wörtlich «Dreck») voll aus. Ironischerweise war es gerade diese Bewegung, die das Muster auf die High-Fashion-Laufstege brachte. Schuld daran: Der Nirvana-Frontmann Kurt Cobain, der zum Grunge nicht nur den Soundtrack lieferte, sondern auch gerade das Symbol dazu. Das Karohemd, ausgewaschen und so schäbig, als hätte er es eben in der Heilsarmee gefunden. Denn: So gerne der Grunge der neunziger Jahre eine bewusste Ablehnung des Mainstreams verkörperte, hat ihn Cobain genau dahin gebracht, schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Damit auch das Grunge-Karohemd – und noch weiter.

Marc Jacobs’ bahnbrechende Grunge-Show

Während Cobains Musik sowohl Radio als auch MTV dominierte, entwarf der damals 29-jährige Marc Jacobs 1993 eine Grunge-Kollektion für den amerikanischen Modedesigner Perry Ellis, mit vielen Karohemden. Einer der damals noch wenigen Designer, die einen Look von der Strasse auf die Laufstege der High-Fashion gebracht haben. «Grunge ist grässlich», erklärte daraufhin Suzy Menkes, und Cathy Horyn bezeichnete Grunge als «Fluch für die Mode». Jacobs war seinen Job als Chefdesigner los.

Doch die Modekritikerinnen und Ellis lagen falsch: Die «Grunge Collection» wurde zur legendärsten des Designers und gilt bis heute als Inspiration für viele Kreative. 25 Jahre später hat Jacobs 2018 die Kollektion neu aufgelegt. Besonders schnell ausverkauft war da das Karohemd. Weil das Muster scheinbar nicht nur dafür oder dagegen bedeutet, sondern auch Brücken schlagen kann zwischen Establishment und Anti-Establishment.

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