Dienstag, Oktober 1

Emilie Madi / Reuters

Seit einem Jahr beschiessen sich die israelischen Streitkräfte und der libanesische Hizbullah. Die Angriffe trafen zunächst vor allem das Grenzgebiet, haben sich zuletzt aber stark ausgeweitet. Noch haben beide Seiten ihr Waffenarsenal nicht ausgeschöpft.

Kurz vor dem ersten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober liegt das Hauptaugenmerk im Nahen Osten nicht mehr auf dem Gazastreifen, sondern auf Libanon. Denn Israel hat in der Nacht auf Dienstag laut eigenen Angaben mit «begrenzten und gezielten Bodenangriffen in Südlibanon» begonnen.

Schon seit der letzten Woche führt die israelische Luftwaffe nahezu ununterbrochen Angriffe auf Ziele in Libanon durch, um den Hizbullah, einen zentralen Akteur in der von Iran geführten Anti-Israel-Front, zu schwächen. Seit letzter Woche wurden mehr als 2000 Ziele angegriffen, wobei Tausende Menschen verletzt und mindestens 700 getötet wurden, darunter auch der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah. Er kam bei einem Angriff auf Dahiye ums Leben, ein von der Hizbullah kontrolliertes Viertel im Süden von Beirut.

Es sind die blutigsten Tage, die Libanon seit 2006 erlebt hat, als die Schiitenmiliz und Israel zuletzt einen grossen Krieg gegeneinander führten. Das Damoklesschwert eines erneuten umfassenden Kriegs mit Israel schwebt aber bereits seit fast einem Jahr bedrohlich über dem Land.

Einen Tag nach dem Terrorangriff auf Israel hatte der Hizbullah am 8. Oktober zur Unterstützung der Hamas den Beschuss auf Israel eröffnet. Seither vergeht keine Woche ohne gegenseitigen Beschuss. Besonders intensiv war der Schlagabtausch Ende letzten Jahres, im vergangenen Februar und Juli.

Israel demonstriert mit Luftangriffen seine militärische Überlegenheit. Während es rund 10 000 Angriffe durchführte, stehen diesen nur etwa 2 000 Attacken des Hizbullah gegenüber. Das zeigen Daten des Konfliktforschungsinstituts Acled, das die Gewalt in Nahost systematisch erfasst.

In der Vergangenheit klangen die Spannungen nach Ereignissen mit Eskalationspotenzial stets wieder etwas ab – bis jetzt. Doch nicht alle Regionen in Libanon sind gleich stark von den israelischen Bombardements betroffen.

Israel konzentriert seine Angriffe auf den Süden, die Hochburgen im Osten und Beirut

Das Arsenal des Hizbullah gibt mehr her

Das Arsenal der Miliz ist allerdings längst noch nicht ausgeschöpft. Der Hizbullah gilt als die am stärksten bewaffnete nichtstaatliche Gruppe der Welt. Mittlerweile sollen bis zu 50 000 Mann für den Hizbullah kämpfen. Experten schätzen ausserdem, dass die Terrorgruppe über ein Arsenal von 120 000 bis 200 000 Raketen und Marschflugkörpern verfügt. Hinzu kommen von Iran gelieferte Überwachungs- und Angriffsdrohnen sowie Panzerabwehrsysteme. Es ist unklar, wie viele Raketen in den vergangenen Tagen durch israelische Luftangriffe zerstört wurden.

Ein Grossteil der Geschosse kann von mobilen Abschussrampen, wie etwa Lastwagen, abgefeuert werden. Die Versorgung des Hizbullah mit Waffen läuft effizienter, seit die Miliz gemeinsam mit Teheran während des syrischen Bürgerkriegs ihre Präsenz in Syrien ausgebaut hat. Dort hat der Hizbullah nicht nur Kampferfahrung gesammelt, sondern konnte Nachschubwege von Iran direkt über den Irak und Syrien nach Libanon erschliessen.

Nach dem Krieg 2006 konnte die Miliz insbesondere ihr Arsenal an ungelenkten Langstreckenraketen wieder aufbauen. Der Hizbullah soll inzwischen über bis zu 80 000 dieser Raketen verfügen. Doch selbst wenn diese aus Südlibanon abgefeuert werden, können sie Tel Aviv kaum erreichen; dafür müsste die Miliz auf ballistische Raketen zurückgreifen, von denen sie weniger besitzt. Die ballistischen Raketen sind jedoch umso wertvoller, da sie deutlich präziser sind als die ungelenkten Raketen, von denen die Hizbullah eine grössere Anzahl hat.

Noch hält sich die Schiitenmiliz beim Gebrauch der Präzisionswaffen, die aus iranischer Fertigung stammen, zurück. Am letzten Mittwoch lancierte der Hizbullah erstmals seit dem 7. Oktober eine ballistische Rakete, die laut Angaben der Miliz das Hauptquartier des Auslandsgeheimdienstes Mossad in Tel Aviv treffen sollte. Laut israelischen Angaben konnte diese abgefangen werden.

Ein Schlüsselfaktor ist die Menge an Geschossen

Israel hat angesichts der Bedrohungen aus dem Norden, Osten und Süden in den letzten Jahrzehnten massiv in den Abwehrschild investiert, der das Land gegen feindliche Flugkörper schützen soll. Dieser besteht aus mehreren Stufen.

Der sogenannte Aerial Defense Array besteht in einer ersten Stufe aus den Arrow-2- und Arrow-3-Systemen, die ballistische Raketen ausserhalb der Erdatmosphäre abfangen können. Als Absicherung gegen ballistische Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper fungiert das System David’s Sling, bevor schliesslich das bekannteste der israelischen Systeme zum Zug kommt, der Iron Dome. Die verschiedenen Systeme sind an unterschiedlichen Orten im ganzen Land verteilt.

Iron-Dome-Systeme kamen bisher gegen Geschosse des Hizbullah am häufigsten zum Einsatz. Wiederholt versuchte die Miliz diese zu überlasten, indem sie Barragen von Hunderten Raketen und Drohnen auf Israel abfeuerte, ähnlich, wie dies die Hamas am 7. Oktober bereits getan hatte.

Zwar überwinden immer wieder Hizbullah-Raketen das israelische Abwehrsystem, so dass insbesondere in den nördlichen Grenzregionen Raketen in Israel einschlagen. Ein Grossteil der Geschosse wird jedoch laut den israelischen Streitkräften abgefangen. Angaben zur aktuellen Abfangquote der eingesetzten Systeme macht die Armee allerdings derzeit nicht.

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