Die Berner Nationalrätin gilt als die treibende Kraft hinter dem neuen Krippengesetz. Sie lässt die Wirtschaftsverbände alt aussehen.
Sie weiss, wie man Politik macht. Und das liegt nicht nur daran, dass sie schon seit 14 Jahren im Parlament sitzt. Kathrin Bertschy, grünliberale Nationalrätin aus Bern, hat ein Gespür dafür, wie man Themen besetzt, mit Aktionen auf Anliegen aufmerksam macht, Allianzen schmiedet und Vorhaben durchbringt. So konnte sie diese Woche in der Sondersession sozusagen die Ernte einfahren für die jahrelange Vorarbeit, die sie für das Krippengesetz geleistet hatte, unter anderem mit Petitionen, Kinderstiefeln auf dem Bundesplatz und einer engen Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Arbeitgeberverband.
Die Vorlage muss nochmals in den Ständerat, ein paar kleinere Differenzen gibt es noch, die Sache an sich ist aber so gut wie gelaufen: Die Schweiz schafft eine neue Sozialleistung für Eltern, die ihre Kinder in die Krippe schicken. Und dieser Sozialausbau geht massgeblich auf das Engagement von Kathrin Bertschy zurück.
«Progressive» Politik
Immer, wenn im Parlament Gleichstellungspolitik gemacht wird, gilt Bertschy als die treibende Kraft. In frauenbewegten Kreisen geniesse die grünliberale Parlamentarierin fast schon Kultstatus, schrieb die NZZ vor ein paar Jahren, und daran hat sich seither nichts geändert. Wer wissen will, was als Nächstes kommt, braucht sich bloss auf der Website von Alliance F umzusehen, deren Co-Präsidentin Bertschy ist.
Alliance F war früher eine traditionell bürgerliche Frauenorganisation, heute stellt die Gruppe in erster Linie Forderungen an den Staat. Er soll die individuellen Lebensentwürfe finanzieren. Diese Politik wird als «progressiv» bezeichnet – wobei progressiv nichts anderes bedeutet als: mehr Staat, mehr Umverteilung, weniger Eigenverantwortung.
Das neuste Projekt ist eine Volksinitiative für eine Familienzeit, die Alliance F mitlanciert hat. Mutter und Vater sollen je 18 Wochen bezahlte Elternzeit erhalten, der Bund soll zu diesem Zweck eine neue Sozialversicherung schaffen. Ziel von Bertschy und ihren Mitstreiterinnen ist es, die Schweiz «zum Besseren» zu verändern, «weil Elternschaft so endlich zur gemeinsamen Verantwortung wird, wir alte Rollenbilder überwinden und einen grossen Faktor für Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt beheben».
Auch die neue Krippensubventionierung wurde von Bertschy mit dem Argument beworben, dass man die Beschäftigung von Müttern erhöhen wolle. So hatte die Bernerin dem «Nebelspalter» gegenüber einst versichert, dass sie die Gesetzesvorlage ablehnen würde, sollten auch nichtberufstätige Eltern in den Genuss von Fördergeldern kommen. Heute sieht sie das anders. Bertschy wie auch ihre grünliberale Fraktion wollten bei der Beratung des Krippengesetzes diese Woche nichts davon wissen, die neue Betreuungszulage an die Erwerbstätigkeit der Eltern zu knüpfen.
Salopp gesagt können nun alle Work-Life-Balance-Spezialisten ihre Kinder in die Krippe geben, sich während der freien Zeit den eigenen Bedürfnissen widmen und dafür Geld von der Allgemeinheit kassieren. Bertschy rechtfertigte ihren «Wortbruch» im Wesentlichen mit dem Argument, dass die Kontrolle der Erwerbstätigkeit zu überbordender Bürokratie führen würde.
Später Widerstand der Wirtschaft
Der Schweizerische Arbeitgeberverband findet die Vorlage inzwischen nicht mehr gut, da die millionenschweren Neuausgaben nicht – wie ursprünglich geplant – aus der Bundeskasse bezahlt werden sollen, sondern über höhere Lohnbeiträge. Auch der Schweizerische Gewerbeverband zeigt sich empört und kritisiert die «zentralistische, ineffiziente, wirtschaftlich fragwürdige und besonders für die KMU schädliche Vorlage». Doch der Widerstand der Wirtschaftsverbände gegen die neuen Lohnbeiträge hätte früher und vehementer kommen müssen. Jetzt ist es wohl zu spät. Kathrin Bertschy hat ihre Sache gut gemacht.