Der ehemalige ukrainische Parlamentarier und Oligarch Mykola Martynenko wird mit 250 000 Franken entschädigt. Zudem wird die Sperre von rund 3,6 Millionen Franken aufgehoben. Die Affäre hatte auch einen medienpolitischen Aspekt.

Der 63-jährige Mykola Martynenko geriet vor über zehn Jahren ins Visier der Bundesanwaltschaft (BA). Der Parlamentarier und einflussreiche Vertraute des damaligen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk wurde zusammen mit einem Untergebenen verdächtigt, als Vertreter der ukrainischen Atomenergiebehörde Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe kassiert zu haben – von der in der Atomenergie tätigen tschechischen Firma Skoda JS.

Es ging um einen Auftrag zur Modernisierung der ukrainischen Atomkraftwerke. Nach Erkenntnis der Bundesanwaltschaft wurden rund 2,8 Millionen Euro über Konten von Briefkastenfirmen auf Panama und Belize in der Schweiz gewaschen. Martynenko soll der wirtschaftlich Berechtigte an diesen Firmen sein. Nach umfangreichen Ermittlungen und Rechtshilfeleistungen der Ukraine und Tschechiens kam es am 2. Juni 2020 in Bellinzona zur Hauptverhandlung gegen die beiden Ukrainer. Die Angeklagten liessen sich unter Hinweis auf gesundheitliche Probleme und das Covid-Risiko dispensieren.

Zuvor war es schon zu Verzögerungen gekommen. Martynenko warf dem Staatsanwalt des Bundes vor, einem ukrainischen Journalisten und Parlamentarier Informationen über die Strafuntersuchung in der Schweiz erteilt zu haben. Ein ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes stellte das Verfahren gegen den Verfahrensleiter der Bundesanwaltschaft ein. Vergeblich focht Martynenko diesen Entscheid in Bellinzona an. Erfolglos blieb auch das Ausstandsgesuch gegen sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers am Bundesstrafgericht.

Gezielte Verzögerungstaktik vermutet

Das Bundesstrafgericht verurteilte Martynenko in erster Instanz wegen qualifizierter Geldwäscherei zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 28 Monaten sowie einer bedingten Geldstrafe von 250 000 Franken. Der Mitangeklagte erhielt 24 Monate und eine Geldstrafe von 36 000 Franken, beides bedingt auf zwei Jahre. Vergeblich ersuchten die beiden Verurteilten zunächst um Wiederholung der Hauptverhandlung.

Vieles deute auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten hin, mit dem Ziel den Prozess enorm zu verzögern, beziehungsweise die Verjährung herbeizuführen, hielt das Bundesgericht im Mai 2022 fest. Die ursprünglich für den 6. und 7. Juli 2023 angesetzte Berufungsverhandlung verzögerte sich weiter, unter anderem wegen einer Ausreisesperre gegen Martynenko wegen des in der Ukraine laufenden Verfahren. Die Verhandlung in Bellinzona fand schliesslich im April dieses Jahres statt.

Zum jetzt veröffentlichten Urteilsdispositiv der Berufungskammer – inzwischen wurden noch drei Auskunftspersonen einvernommen – hält das Gericht fest, die verbrecherische Herkunft der über die Schweizer Konten transferierten Gelder habe nicht nachgewiesen werden können. Man habe auch nicht beweisen können, dass Martynenko seine amtliche Funktion als Parlamentarier und Mitglied des Atomausschusses missbraucht habe. Unter dem Druck der Ermittlungen in der Ukraine und in der Schweiz war Martynenko 2015 als Parlamentarier zurückgetreten. Das Urteil kann noch ans Bundesgericht weitergezogen werden. Die Bundesanwaltschaft erklärte am Freitag auf Anfrage, sie warte vor einem Entscheid die schriftliche Urteilsbegründung ab.

Ex-Stasi-Agentin Christina Wilkening engagiert

Die Affäre Martynenko hatte ausserdem einen medienpolitischen Aspekt. Denn der Verteidiger des Beschuldigten erwirkte, dass die Anfragen der Journalisten und die Antworten der BA in die Verfahrensakten aufgenommen und damit der Akteneinsicht zugänglich gemacht werden. Unter anderem stelle sich die Frage, ob die Korrespondenz der BA mit einem ukrainischen Journalisten nicht zum Zweck gehabt habe, über die Medien Druck auf die ukrainischen Behörden zu erzeugen.

Immerhin konnte bei der Umsetzung dieser Massnahme eine teilweise Anonymisierung der Journalisten erreicht werden. Journalistenorganisationen hatten die besondere Gefährdung der Medienschaffenden in der Ukraine unterstrichen und auf getötete Journalisten verwiesen. Einen Hinweis auf das wenig zimperliche Vorgehen Martynenkos liefert ferner ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 2. Dezember 2020: Der Ukrainer spannte die Detektivin und ehemalige Stasi-Agentin Christina Wilkening ein, um von einem Zürcher Polizisten unter anderem die Privatadresse des Staatsanwalts des Bundes zu erhalten.

Urteilsdispositiv CA.2020.14 der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts vom 27.6.24

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