Freitag, Oktober 4

Südkorea hat den demografischen Notstand ausgerufen. Nur Arbeiter aus dem Ausland bremsen noch den Bevölkerungsrückgang. Doch ausgerechnet die Linken sind gegen Migranten.

Die Einwanderung von Billiglohnarbeitern hat in Südkorea für eine kleine statistische Sensation gesorgt. 2023 wuchs die Bevölkerung des rasant alternden Industrielandes erstmals seit drei Jahren – um 0,2 Prozent auf 51,8 Millionen Menschen. Denn der Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland sprang laut einer jüngst veröffentlichten Statistik um zehn Prozent in die Höhe.

Mit einem Ausländeranteil von derzeit 3,7 Prozent ist Südkorea das einwanderungsfreudigste Land in Ostasien. Das ist wenig im Vergleich zu Europa, aber mehr als in anderen asiatischen Ländern, deren Bevölkerungen ebenfalls schrumpfen. Beim Alterungspionier Japan liegt der Ausländeranteil bei 2,4 Prozent, in China sogar weit unter einem Prozent.

Dass Südkorea auf dem ersten Rang steht, ist nicht weiser Bevölkerungspolitik geschuldet, sondern demografischer Not. Die Geburtenrate der ostasiatischen Exportgrossmacht ist 2023 auf nur noch 0,72 Kinder gefallen, niedriger als in jedem anderen Industrieland und weit unterhalb der 2,1 Kinder, die für eine stabile Bevölkerung notwendig wären.

Südkorea droht damit der schnellste Bevölkerungsschwund eines Landes in Friedenszeiten. Bleibt die Geburtenrate auf dem jetzigen Stand, würde Südkorea in nur 50 Jahren etwa 40 Prozent seiner Einwohner verlieren. Der Staatspräsident Yoon Suk Yeol hat daher im Juni den «nationalen demografischen Notstand» ausgerufen.

Yoon will nun mit einer nationalen Kraftanstrengung versuchen, die bisher gescheiterte Geburtenpolitik verschiedener Regierungen zu wenden. Dafür verspricht er: «Wir werden ein umfassendes System über alle Regierungsebenen aktivieren, um die Geburtenrate anzukurbeln.»

Ein eigenes Ministerium für Bevölkerungsstrategie soll die Initiativen koordinieren. Neben kürzeren Arbeitszeiten, besserer Kinderbetreuung und mehr Wohnungen bleibe Zuwanderung dabei für die konservative Regierung ein Teil der Lösung, sagt Frederic Spohr, der Standortleiter der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul: «Die aktuelle Regierung ist recht zuwanderungsfreundlich.»

Warum Südkoreas Konservative Einwanderung fördern

Weshalb fördert Südkorea Zuwanderung stärker als die Nachbarstaaten? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen suchen ledige südkoreanische Bauern in Südostasien nach Ehefrauen. Auch für hochqualifiziertes Fachpersonal gibt sich das Land offen. Am grössten ist der Bedarf an Billiglohnkräften. Diese befinden sich allerdings oft in rechtlichen Grauzonen.

Die Nachfrage ist dabei breit gestreut. Nicht nur kleine und mittlere Unternehmen suchen gering qualifizierte ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern auch Unternehmen in der südkoreanischen Hightech-Industrie. Dies machte im Juni ein Grossbrand in einer Batteriefabrik des Zulieferers Aricell deutlich.

23 Personen starben, als Lithium-Ionen-Akkus sich selbst entzündeten und ein Grossfeuer auslösten. Illegale Einwanderer stellten dabei das Gros der Opfer. Später kam heraus, dass das Unternehmen sogar an Sicherheitsschulungen gespart hatte.

Warum Südkoreas Linke Einwanderung bremst

Das Problem der illegalen Arbeitskräfte ist bekannt. Die Regierung erlässt daher alle paar Jahre eine Amnestie, die es illegalen Einwanderern erlaubt, legal auszureisen. Die Regierung versucht nun, durch Reformen des Einwanderungsrechts mehr legale Zuwanderung zu ermöglichen und auch attraktiver für Einwanderer zu werden.

Der wachsende Wettbewerb um ausländische Arbeiter in Asien verstärkt den Handlungsdruck. Besonders der Nachbar Japan lockert gerade seine Regeln, um mit mehr Einwanderung den grassierenden Arbeitskräftemangel zu lindern. Umso höher werden künftig Südkoreas Hürden für Reformen erscheinen.

Ein Problem ist für den Korea-Experten Spohr das noch sehr restriktive Regelwerk. So gibt es Ausländerquoten für verschiedene Industrien, zeitlich befristete Visa ohne Familiennachzug und kaum eine Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu wechseln. Besonders die Grundregel, dass die Ausländer nur für ein paar Jahre im Land sein dürfen, erschwert die Integration von Ausländern.

Gleichzeitig bremst politischer Widerstand grundlegende Reformen. In der Umsetzung scheitern mögliche Erleichterungen, weil die Regierung keine Mehrheit im Parlament hat. Der Grund dafür ist Südkoreas präsidiales Regierungssystem. Wie in den USA und Frankreich wählt das Volk den Präsidenten direkt und getrennt davon das Parlament. Und das wird derzeit von der linken Demokratischen Partei kontrolliert, die Einwanderung kritischer als Yoons konservative People Power Party gegenübersteht.

Südkoreas Konservative sind wirtschaftsnah und hören daher eher auf die Klagen von Unternehmern. Die Demokratische Partei sieht sich hingegen als Vertreter der Arbeitnehmer. Sie setzt sich daher für mehr Arbeitnehmerrechte und eine Verkürzung der in Südkorea oft noch sehr langen Arbeitszeiten ein.

Ausserdem fürchten viele linke Politiker, dass mehr Zuwanderung die Konkurrenz um Arbeitsplätze, den Lohndruck und die Wohnungsknappheit erhöht. Nicht ohne Grund, denn die konservative Regierung will tendenziell den ohnehin schwachen Arbeitsschutz abbauen – besonders bei Arbeitsmigranten.

Südkoreas Konservative stehen sich selbst im Weg

Ein Beispiel ist der jüngste amtliche Vorstoss, mehr Haushälterinnen aus Südostasien anzulocken. Sie sollen Familien helfen, dass auch Frauen Vollzeit arbeiten können. Die Regierung will allerdings für diese Arbeitskräfte den Mindestlohn und bestehende Arbeitsschutzregeln aushebeln, damit sich mehr Familien Hauspersonal leisten können.

Dieses Vorhaben hat mehrere Haken. Hauspersonal würde ohnehin nur reicheren Koreanern helfen, nicht der Masse. Ausserdem stärkt Yoons Ansatz die Vorwürfe, dass viele ausländische Arbeitskräfte in Südkorea extrem ausgebeutet würden. Die Philippinen schränkten Anfang des Jahres sogar aus Protest die Entsendung von saisonalen Arbeitskräften ein.

Die linke Tageszeitung «Hankyoreh» kritisierte, dass Yoons Konzentration auf billige Arbeitskräfte kurzsichtig sei und nur noch grössere Probleme schaffe. Ein Blick zur ebenfalls konservativen Regierung in Japan könnte Yoon Anregungen für eine Reform des Einwanderungsrechts geben. Japans Gastarbeiterprogramme laden ebenfalls zu Missbrauch ein. Nun will die Regierung den Arbeitsschutz verbessern. Sie richtet auch Wege dafür ein, durch Ausbildungs- und Sprachtests befristete in dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen umzuwandeln.

Yoons Regierung hat dieses Umdenken allerdings noch nicht vollzogen. Zuwanderung wird daher wahrscheinlich weiter zunehmen, allerdings nicht im grossen Stil. Das Bevölkerungswachstum aus dem vorigen Jahr dürfte daher nicht von Dauer sein – und Südkoreas «demografischer Notstand» sich weiter verschlimmern.

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