Die Initiative der Piratenpartei fordert Grundrechte für den digitalen Raum – das geht dem Zürcher Parlament zu weit. Doch die Kantonsräte stimmen einem Kompromiss zu.

Schnell per App eine Überweisung erledigen, online den Arzttermin verschieben, eine Jeans bestellen und per Whatsapp ein Ferienfoto an die ganze Familie verschicken: Dinge per Handy zu erledigen, geht oft schneller, als dasselbe offline zu tun.

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Doch was, wenn alles nur noch digital geht? Wenn nicht mehr nur der Familien-Chat online ist, sondern auch der Antrag für die Sozialhilfe einzig per Laptop eingereicht werden kann?

Dann werden Grundrechte verletzt. Das fordert die Piratenpartei, eine Kleinstpartei, die sich für Digitalthemen und Datenschutz einsetzt. Sie hat die nötigen Unterschriften zusammengebracht, um die Initiative für digitale Integrität einzureichen. Damit fordert sie, dass im Kanton Zürich ein Recht auf ein Offline-Leben eingeführt wird. Dazu gehören mehrere Grundrechte, die die Piratenpartei in der Kantonsverfassung verankern möchte:

  • Das Recht auf Vergessenwerden
  • Das Recht darauf, dass Daten sicher aufbewahrt werden
  • Das Recht darauf, nicht von einer Maschine beurteilt zu werden
  • das Recht darauf, nicht überwacht zu werden
  • Das Recht auf einen Schutz davor, dass Daten ohne Zustimmung verwendet werden

Die Grundidee der Initiative unterstützt das Zürcher Kantonsparlament, das zeigte sich am Montagmorgen im Kantonsrat. Michèle Dünki-Bättig (SP, Glattfelden), Präsidentin der zuständigen Kommission, sagte: «Die Digitalisierung bringt Gefahren und Risiken, das muss anerkannt werden.» Doch die Initiative, befand die Mehrheit im Rat, sei das falsche Mittel, um diesen Problemen zu begegnen.

Fast alle im Rat waren sich einig, dass die Initiative auf der falschen Staatsebene eingereicht worden war. Grundrechte zu verankern sei Sache des Bundes, sagte etwa die FDP-Kantonsrätin Isabel Garcia (Zürich). Schon rein technisch ergebe es keinen Sinn, diese Rechte kantonal zu verankern. Kantonale Grundrechte könnten nur gegenüber kantonalen Behörden geltend gemacht werden, aber nicht gegenüber Privaten. Wenn also ein grosses Tech-Unternehmen die neuen Grundrechte verletzen würde, könnte das weiterhin nicht eingeklagt werden. Garcia sagte: «Die Initiative weckt falsche Erwartungen.»

Grundrechte sind Bundessache, kritisieren die Gegner

Ausserdem wurde kritisiert, dass die Initiative einen zu absoluten Anspruch habe. Die Regierungsrätin und Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) gab zu bedenken, dass ein Teil der neuen Rechte im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen stünde. Das Recht auf Vergessenwerden widerspreche zum Beispiel der Archivpflicht. Diese bestimmt, dass staatliches Handeln auch im Nachhinein noch nachvollziehbar sein muss. Fürsorgerische Zwangsmassnahmen hätten beispielsweise mit einem Recht auf Vergessenwerden nicht aufgearbeitet werden können.

Die Gegner der Initiative kritisierten ausserdem, dass die Grundrechte im digitalen Raum bereits durch die Grundrechte gesichert seien, die in der Verfassung stehen. «Die aktuellen Grundrechte lassen sich auch auf den digitalen Raum anwenden», sagte die FDP-Kantonsrätin Isabel Garcia.

Trotzdem anerkannte das Parlament, dass ein Recht auf digitale Integrität in der Bevölkerung auf grossen Zuspruch stossen könnte. Tina Deplazes (Mitte, Hinwil) verwies auf Abstimmungen in den Kantonen Neuenburg und Genf, wo ähnliche Initiativen jeweils mit über 90 Prozent der Stimmen angenommen wurden. «Die Bevölkerung ist verunsichert», sagte der GLP-Kantonsrat Gabriel Mäder (Adliswil). Kaum eine Woche vergehe ohne Schreckensmeldung aus der digitalen Welt. «Der Staat spielt im Umgang damit eine zentrale Rolle.»

Gegenvorschlag soll Zugang auf nichtdigitalem Weg garantieren

Um die Anliegen der Initiative trotzdem umzusetzen, schlug die zuständige Kommission einen Gegenvorschlag vor. Darin ist festgehalten, dass der Kanton Zürich die Grundrechte auch im digitalen Raum wahren muss. Ausserdem sollen staatliche Leistungen in der Regel auch offline bezogen werden können. Und Entscheide, die die Grundrechte eines Menschen beschneiden könnten, müssen immer von einem anderen Menschen gefällt werden – also niemals von einer KI.

Der Gegenvorschlag, sagte Jacqueline Fehr, nehme die Forderungen der Initiative so auf, dass sie praktisch umsetzbar seien. «Der Gegenvorschlag schliesst Lücken in der Gesetzgebung, die entstehen, weil die Digitalisierung so rasch voranschreitet.» Ausserdem erlaube der Gegenvorschlag, zwischen mehreren Zielen abzuwägen – beispielsweise zwischen dem Recht auf Vergessenwerden und der Archivpflicht.

Eine Minderheit aus SVP und FDP lehnte sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ab. Unter anderem wegen der Forderung, alle staatlichen Dienstleistungen auch offline anzubieten. Das würde die Umsetzung des Gegenvorschlags teuer machen, kritisierte Roman Schmid (SVP, Opfikon).

Die FDP wollte den Gegenvorschlag ergänzen: Dieser hätte dem Anliegen hinzugefügt, dass trotzdem staatliche Dienstleistungen grundsätzlich online bereitgestellt werden, nach dem Prinzip «digital first». Weil aber die anderen Fraktionen das Anliegen der FDP ablehnten, stimmte diese gegen Initiative und Gegenvorschlag.

Schliesslich nahm der Rat den Gegenvorschlag mit 100 zu 75 Stimmen an, die Initiative wurde mit 170 zu 5 Stimmen abgelehnt. Die einzigen Ja-Stimmen zur Initiative kamen aus der Fraktions der Alternativen Liste (AL). Das Thema sei zu wichtig, um die Initiative abzulehnen. Manuel Sahli, AL-Kantonsrat (Winterthur), fragte: «Wer will schon, dass seine eigene Krankengeschichte für alle online zugänglich ist, nur weil der Datenschutz nicht genug ernst genommen wurde?»

Die Initiative kommt voraussichtlich trotz Gegenvorschlag vors Volk, sagt Renato Sigg von der Piratenpartei. Aus seiner Sicht erfülle der Gegenvorschlag das Anliegen der Initiative nicht. «Der Gegenvorschlag sieht zu viele Ausnahmen vor. Die Rechte, die wir in der Initiative fordern, sind im Gegenvorschlag ausgehöhlt.» Der Gegenvorschlag garantiere nicht, dass man ein digital selbstbestimmtes Leben führen könne. Wann die Initiative an die Urne kommt, ist noch unklar.

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