Das kleine Land gewinnt, ohne nennenswerte Lobby. Das lag vor allem am Song und an Nemos Auftritt. Die Schweiz als nächster Austragungsort wird davon profitieren.

«Sieht die Welt beschissen aus, schmeiss ganz einfach Glitzer drauf», singt die deutsche Sängerin Lina in einem Lied von 2017. Diese Zeile beschreibt ziemlich treffend, wie die Show des Eurovision Song Contest (ESC) funktioniert. Scheinwerfer werden aufgefahren, Federboas ausgepackt, Stroboskope blitzen – die Welt wird für einen Augenblick mit irisierenden Sinnschichten verhüllt.

Auf der Bühne, abseits der kalten, krisengebeutelten Zeiten draussen vor der Malmö-Arena, tauchte an diesem Samstagabend, wie einst «das Wunder von Bern», das 24-jährige strahlende Wunder aus Biel auf. Kein brüllender Demonstrant, kein frustriert oder verbissen wirkender Vertreter der Generation Z.

Die kleine Schweiz, ohne Lobby

Bei der Punktevergabe am ESC geht es um persönliche Sympathien, aber auch um Politik. Länder stimmen für ihre favorisierten Nachbarn, oder für die Staaten, aus denen viele ihrer Bewohner eingewandert sind. Auch historische Abneigungen zwischen Ländern spielen eine Rolle. In diesem Jahr war der politische Druck auf die Veranstaltung – und damit die Länderjurys – zudem grösser als in der Vergangenheit.

Dass die kleine Schweiz gewonnen hat, und zwar ohne nennenswerte Lobby, heisst: Es liegt vor allem am Song und an Nemos Auftritt. Da ist Wucht, da ist Präzision, eine Dringlichkeit im Gesang: Nemos perfekter Sturm auf der Bühne. Musikalisch ist «The Code» das ideale Eurovision-Song-Contest-Werk. Ein euphorischer Ohrwurm, der klingt, als hätten die Band Queen, Eminem und Mozart gemeinsam Pate gestanden.

WINNER'S PERFORMANCE: Nemo - The Code ✨ | Switzerland 🇨🇭 | Eurovision 2024

Und Nemo ist die ideale Figur dazu. Optimismus versprühend, anscheinend nicht berührt von den rauen Seiten des Musikbusiness, der Unterhaltungsindustrie und des Kommerzes, singt der nonbinäre Star von seiner Identitätsfindung. Nemo ist anders, aber nicht aussenstehend. Nemo hat nichts Aufgesetztes, nichts Künstliches. Nemo freut sich beim Auftritt einfach nur. Insgesamt 22-mal gab es im Anschluss die maximale Punktezahl von den 37 Länderjurys.

Nemos Kostüm erinnerte an den weissen Blazer und den Tüllrock, in denen Céline Dion vor 36 Jahren den ESC für die Schweiz gewonnen hatte. Damit brachte die Kanadierin den Grand Prix de la Chanson (seit 1992: Eurovision Song Contest) nach Lausanne. Sie löste die andere ESC-Siegerin mit «Ne partez pas sans moi» ab. 1956 hatte die Schlagersängerin Lys Assia erstmals für die Schweiz gewonnen.

Nun hat die SRG die Ehre oder den Salat

Der ESC 2025 findet also in der Schweiz statt. Das ESC-Reglement sieht seit 1958 vor, dass der Wettbewerb im Land des Vorjahressiegers durchgeführt wird. Wo genau, ist noch offen. Schweizer Städte, die über eine entsprechende Halle verfügen, können sich für die Durchführung des ESC bewerben. Die SRG entscheidet dann gemeinsam mit dem SRF als Gastgeberin und dem Veranstalter, der European Broadcasting Union.

Nemo wünscht sich den ESC in der Heimatstadt Biel, wie es an der Pressekonferenz nach der Preisverleihung heisst. Biel wünscht sich das sicher auch. Die Krisenstadt (hohe Arbeitslosenquote, Abwanderung, Konkurse) hat es mit der Expo 02 schon einmal geschafft, sich von einer jahrelangen Depression (ausgelöst durch die Uhrenkrise) zu erholen. Sie hat es geschafft, aufzublühen und wieder aufzustehen.

Etwas wie der ESC könnte ihr beim Gehen helfen. Eine neue Studie der Universität Liverpool zeigt, dass die Austragung des ESC für eine Stadt wirtschaftlich vorteilhaft ist. Liverpool war der Austragungsort des letztjährigen Wettbewerbs. Rund 62 Millionen Franken Einnahmen flossen dabei in die Gastronomie, die Hotellerie, den Detailhandel und den öffentlichen Verkehr. Dabei betrugen die Kosten etwa 40 Millionen Franken für die Stadt, den Staat und die BBC.

Platz gibt es jedoch in Biel für eine solche Veranstaltung zu wenig. Wirklich infrage kommen nur die grösseren Städte, mit den grösseren Event-Hallen: Zürich, Basel, Bern, Lausanne, Genf. Wie verschiedene Medien berichten, hat die SRG im Vorfeld schon erste Gespräche geführt, mit den Geschäftsführern des Hallenstadions Zürich und der St.-Jakobs-Halle in Basel etwa.

Der Zeitpunkt ist für das SRF, das für die Veranstaltung im Jahr 2025 nun verantwortlich zeichnet, jedoch ungünstig, hinsichtlich der drohenden Initiative zur Halbierung der Einnahmen. Die Ausgaben für die Austragung des Events könnten als zusätzliche Argumente für die Befürworter der Halbierungsinitiative dienen. Diese könnten fragen, ob die SRG tatsächlich so viel Geld für solche Veranstaltungen ausgeben sollte und wie dies mit ihrem öffentlichen Auftrag vereinbar wäre.

Die SRG muss die Kosten für den ESC zwar nicht alleine tragen – die teilnehmenden Länder bezahlen einen Anteil, so auch der Durchführungsort. Es bleibt für die SRG aber noch immer ein wesentlicher Millionenbetrag. Die SRG mache sich am Montag mit einer Task-Force an die Planung und wolle schrittweise informieren, wie es weitergehe, teilte das SRF am Sonntag mit.

In der Dankesrede wünschte Nemo in der Nacht auf Sonntag derweil allen Menschen auf der Welt Frieden. Versöhnlicher hätte die Show Eurovision Song Contest 2024 nicht enden können. Nach dem ESC ist aber, vor allem nun auch für die Schweiz, vor dem ESC.

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