Sonntag, Oktober 27

Nur in den Niederlanden kostet der Strom für Grossverbraucher mehr als in der Schweiz, wie eine Analyse von Avenir Suisse zeigt. Und dies, obwohl Grossverbraucher vom Bund die Abgaben für die Ökostromförderung zurückverlangen können.

Das Stahlwerk Gerlafingen steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Ein Problem seien die im Vergleich zu anderen Ländern hohen Strompreise in der Schweiz, liess das Unternehmen vor zwei Wochen in der «NZZ am Sonntag» verlauten. Eine Analyse der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse zeigt nun: Die Strompreise für Schweizer Industrieunternehmen sind tatsächlich hoch.

Gemäss der Auswertung liegt die Schweiz hinter den Niederlanden auf dem «unrühmlichen zweiten Platz», wie Avenir Suisse schreibt. Auf den nächsten Plätzen folgen Polen und Deutschland, wo die Industrie gut 15 Prozent weniger berappen muss – und wo die Strompreise dennoch ein Dauerthema sind. Diese Woche musste der deutsche Stahlkonzern Salzgitter eine Gewinnwarnung veröffentlichen. Der Grund ist eine ungesunde Mischung aus schwacher Nachfrage und hohen Energiepreisen.

Höhere Tarife für das Stromnetz

Die Strompreise für Schweizer Grossverbraucher waren laut Avenir Suisse zwar bereits vor zehn Jahren hoch. Doch 2015 lag unser Land noch nicht auf dem zweiten Platz: Unternehmen in Deutschland und Italien mussten mehr bezahlen. Inzwischen hat die Schweiz diese Länder überholt.

Der Strompreis setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Ein bedeutendes sind die Kosten für die Nutzung des Stromnetzes. Gemäss der Analyse von Avenir Suisse haben sich diese für Grossverbraucher innert eines Jahrzehnts um 50 Prozent erhöht.

Ein weiterer wichtiger Teil des Strompreises sind die Förderabgaben für erneuerbare Energien. In der Schweiz gilt: Verbraucher bezahlen auf jede Kilowattstunde einen sogenannten Netzzuschlag von 2,3 Rappen, der in einen Fördertopf fliesst. Grossverbraucher können sich diesen Netzzuschlag allerdings rückvergüten lassen, wenn sie sich dazu verpflichten, Massnahmen zur Effizienzsteigerung zu ergreifen. Die Analyse von Avenir Suisse belegt nun: Selbst wenn man diesen Betrag abzieht, liegen die Schweizer Industriestrompreise noch immer deutlich höher als fast überall sonst.

Am günstigsten waren die Preise für Grossverbraucher sowohl 2015 als auch 2024 in Frankreich. In der Schweiz bezahlten Unternehmen vor zehn Jahren eineinhalbmal so viel wie in Frankreich. Heute müssen sie 2,3-mal mehr berappen als in unserem Nachbarland. Ein Grund dafür sind politische Vorgaben der französischen Regierung. Diese zwingen den staatlichen Stromproduzenten EDF dazu, einen Teil seines Stroms stark verbilligt zu verkaufen. Davon profitieren auch Industrieunternehmen.

Immerhin eine gute Nachricht gibt es in der Analyse. 2025 dürften die Strompreise für Grossverbraucher sinken. Ein Grund dafür ist die sogenannte Winterstromreserve, mit welcher der Bund im heiklen Winterhalbjahr sicherstellt, dass es nicht zu einem Strommangel kommt. Die Reserve wird deutlich weniger kosten als im Krisenwinter 2022/23. Avenir Suisse hat berechnet, wie diese Senkung dem Stahlwerk Gerlafingen zugutekommt: Es kann rund 3,5 Millionen Franken einsparen.

Unterstützung wäre falsch

Ausserdem hat sich die Situation am Strommarkt verbessert. Dort können Unternehmen bereits heute Strom einkaufen , der ihnen in zwei oder drei Jahren geliefert werden wird. Die entsprechenden Tarife sind im Vergleich zum Krisenwinter stark gesunken.

Avenir Suisse rechnet zwar damit, dass sich die Situation für den Standort Schweiz weiter entspannen wird, weil in unseren Nachbarländern demnächst verschiedene Fördermassnahmen auslaufen. Dennoch fordert die Denkfabrik Gegenmassnahmen. Die Politik müsse insbesondere dafür sorgen, dass die Kosten für das Stromnetz nicht wieder stiegen. Das lasse sich durch eine Begrenzung der Einspeisekapazität von Solaranlagen erreichen. Zudem brauche es eine Verkürzung der Planungs- und Realisierungsphasen von grossen Netzausbauten.

Andererseits hält Avenir Suisse den Entscheid des Bundesrates für richtig, grosse Strombezüger nicht zu subventionieren. Denn die Kosten für Unterstützungsmassnahmen «verschwinden nicht einfach, sondern werden dem Steuerzahler aufgebürdet», wie es im Papier heisst. Die Folgen zeigen sich etwa in Frankreich, wo der staatliche Stromriese EDF auf einem stetig wachsenden Schuldenberg sitzt. Dazu kommt: Hohe Stromkosten motivieren Unternehmen laut Avenir Suisse dazu, noch energieeffizienter zu werden.

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