Sonntag, Dezember 22

Trotz starkem Preisanstieg dürfte sich die Hausse der US-Indizes fortsetzen. Dafür spricht die Rotation in kleine und mittelgrosse Wachstumswerte und andere Industrien.

Es sind über fünfzig Jahre vergangen, seit der damalige US-Finanzminister John Connally Ende 1971 an einem G-10-Treffen in Rom die berühmte Bemerkung äusserte: «Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem».

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Der designierte US-Finanzminister Scott Bessent könnte auf die Idee kommen, besorgten europäischen Kollegen in Abwandlung des Satzes von John Connally zu sagen: «Donald Trump ist unser Präsident, aber euer Problem».

Das scheint im Moment auch die Börse so zu sehen. Man kann dies aus der relativen Schwäche Europas gegenüber den USA in allen Sektoren und den meisten Industrien ableiten. Wobei die widersprüchlichen Aussagen des gewählten Präsidenten insbesondere zur Fiskal-, Wirtschafts- und Handelspolitik oder zur Unabhängigkeit der amerikanischen Zentralbank die Frage offen lassen, ob er bereits während seiner Präsidentschaft zum Problem auch für die USA wird, oder ob die Scherben, die er hinterlassen mag, von einer nachfolgenden Regierung beseitigt werden müssen.

Denkbar ist immer auch das Undenkbare, und das könnte darin bestehen, dass ein paar besonnene Köpfe seiner Regierung sich durchsetzen, so dass es gar nicht zu einem Scherbenhaufen kommt.

Die Rückschau, die zu kurz greift

Wir können es nicht wissen. Ebenso wenig können wir wissen, wohin die Reise an den Aktienmärkten geht. Aber wir können die Börsen navigieren.

Der S&P 500 hat seit Jahresanfang 27% zugelegt, der Nasdaq 100 31%. Dem MSCI Welt ist ein Anstieg von 20% gelungen. Ich höre oft, so könne es nächstes Jahr nicht weitergehen.

Mag sein. Ich weiss nicht, wie es bis Ende 2025 weitergehen wird.

Doch aus meiner Sicht greift die Rückschau auf die Performance der breiten Indizes zu kurz. Sie ist das Resultat eines Denkens, das darauf verzichtet, unter die Oberfläche zu graben.

Vom Schönheitswettbewerb zum kalkulierenden Marktplatz

Unter der Oberfläche fällt auf, dass der grösste Markt der Welt, dessen Verlauf andere Aktienmärkte vor allem im Abwärtstrend übermässig stark beeinflusst, sich in einer Verfassung präsentiert, die ich nur als vielversprechend bezeichnen kann.

Die Rede ist, wie Sie bereits bemerkt haben werden, vom Aktienmarkt der USA.

Was dort auffällt, ist der Wandel von einem Markt, in dem der «Schönheitswettbewerb» von John Maynard Keynes eine grosse Rolle spielte, in einen kritisch kalkulierenden Marktplatz.

Bekanntlich verglich Keynes den Aktienmarkt mit einem Schönheitswettbewerb, bei dem vor allem überlegt wird, wen andere als Schönste auszeichnen werden. Diese Flause, wenn ich so sagen darf, wurde durch die Korrektur des DJ US Semiconductors ausgetrieben.

Lassen Sie mich an wenigen Beispielen zeigen, welche Entwicklungen diese Schlussfolgerungen zulassen.

Bedeutende Verschiebungen im Wachstumsbereich

Da ist beispielsweise der DJ US Growth, der sich seit 2007 relativ stark zum S&P 500 entwickelt hat. An vorderster Front stand, wenn man ihn zerlegte, der DJ US Large Cap Growth.

Das hat sich im Sog der Reorientierung im Markt geändert. DJ US Large Cap Growth, DJ US Mid Cap Growth sowie DJ US Small Cap Growth sind nunmehr alle neutral zum DJ US Growth. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung, nachdem DJ US Mid Cap Growth und DJ US Small Cap Growth achtzehn Monate lang schwach zum DJ US Growth waren.

Aussenseiter schliessen sich an

Ein zweites Beispiel ist die Zusammensetzung der «Familie» der relativ starken US-Indizes. Es handelt sich hierbei um eine bunte «Patchwork»-Familie.

Nebst klassischen Mitgliedern aus dem Bereich Wachstum wie den eben genannten sind nunmehr Aussenseiter hinzugekommen, wie zum Beispiel der DJ US Consumer Cyclical und der DJ US Consumer Non-Cyclical. Letzterer hat nach acht Jahren relativer Schwäche erst im Oktober die Wende nach oben vollzogen.

Weitere Mitglieder sind Household Durables und Retailers und da ganz besonders Specialty Retailers.

Aufstand gegen die alte Elite

Einen «Aufstand» gegen die alte Elite erleben wir in Information Technology. Ausgerechnet die Semiconductors-Industrie, die den Sektor lange Zeit durch enorme Stärke geprägt hat, ist die schwächste im MSCI Information Technology geworden.

Die neue Rangordnung lautet Communications Equipment auf dem ersten Platz, gefolgt von IT Services auf Platz zwei. Software, lange die schwächste Industrie, befindet sich auf Platz drei und Technology Hardware auf Platz vier. Semiconductors folgt nach Electronic Equipment auf dem letzten Platz. Dies, obwohl der Kurs nur 4,5% unter dem im Juni notierten Rekord notiert. Dafür hat der DJ US Software mit einem Gewinn von 6% seit Juni ein neues Allzeithöchst erreicht.

Rotation ist das Gütesiegel des Marktes

Das nennt man Rotation der Präferenzen. Sie kommt vor, wenn heute nicht gekauft wird, weil gestern die Kurse gestiegen sind. Sie kommt dort vor, wo neue Chancen gesehen werden, nachdem die relativen Preise über längere Zeit zurückgeblieben waren. Das ist das Wesen der Rotation.

Ich könnte noch mit vielen Beispielen aufwarten, die in dieses Muster passen. Solange es sich fortsetzt, sind Rückschläge durchaus möglich – aber die Geschichte lehrt, dass sie in solchen Strukturen nur vorübergehender Natur sind. Die Geschichte lehrt auch, dass der Versuch, Rückschlägen in intakten Trends aus dem Wege zu gehen, ein Spiel mit dem Feuer sind. Manch ein erwarteter Rückschlag tritt nicht ein. Und die, die eintreten, lassen die negativen Stimmen zum Marktgeschehen anschwellen und verstärken damit die mentale Baisse-Orientierung so stark, dass der Wiedereinstieg verpasst wird.

Bärenmärkte folgen auf ein ganz anderes Muster. Es ist jenes einer Zuspitzung in einer relativ kleinen Auswahl von Industrien und Sektoren, was gegen Ende Populationen anzieht, die im Markt als «schwache Hände» bezeichnet werden. Sie schaffen die Marktstruktur, auf die das berühmte Dictum zutrifft, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Sturm in New York auslösen kann. Was in diesem Marktumfeld davon zu halten ist, sagt schon der Titel dieses Beitrags.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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