Freitag, Februar 28

Der Bundesrat will mit einer radikalen Massnahme Missbräuche bei Adoptionen verhindern, wie sie in der Vergangenheit immer wieder vorkamen. Die Skepsis ist jedoch gross – von rechts bis links.

Kinder aus Tibet, Korea, Sri Lanka oder Kolumbien: Zu Tausenden kamen sie seit den sechziger Jahren in die Schweiz, adoptiert von Schweizer Ehepaaren. Das soll künftig nicht mehr möglich sein. Der Bundesrat plant ein grundsätzliches Verbot von Adoptionen aus dem Ausland, wie Justizminister Beat Jans Ende Januar bekanntgegeben hat. Dabei stützt er sich auch auf die Arbeiten einer Expertenkommission.

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Mit der für Schweizer Verhältnisse radikalen Massnahme hat die Regierung die Parteien überrascht. Doch nun formiert sich Widerstand. Die FDP kündigt eine Motion an, die den Bundesrat dazu zwingen soll, die Pläne schnellstmöglich aufzugeben. Das Argument der Regierung, nur ein Verbot verhindere Missbräuche in der Adoptionspraxis, überzeugt die Freisinnigen nicht. Die internationalen Adoptionen hätten es vielmehr «Tausenden von Kindern» ermöglicht, in stabilen Familien ein besseres Leben zu finden. Dies entspreche der humanitären Tradition der Schweiz.

«Es ist inakzeptabel und unverhältnismässig, diese Möglichkeiten unter dem Vorwand einer Null-Risiko-Strategie zu opfern, wenn es andere Möglichkeiten gäbe, die Transparenz der Prozeduren zu verbessern», hält die Partei in der Motion fest.

Hunderte Opfer von Menschenhandel

Einer ihrer Urheber ist der Tessiner Nationalrat Simone Gianini. Das Thema treibt ihn auch deswegen um, weil ein grosser Teil der jüngsten Adoptionen durch Tessiner Eltern erfolgte. «Ich bedauere, dass der Bundesrat einen solch wichtigen Entscheid fällt, ohne vorher die Meinung der Parteien und Verbände anzuhören», sagt Gianini.

Er bestreitet nicht, dass es in der Vergangenheit zu Missbräuchen bei Adoptionen gekommen ist. So zeigten verschiedene in den letzten Jahren veröffentlichte Studien, dass Tausende von Kindern Opfer von Menschenhandel wurden. Schweizer Hilfswerke und Einzelpersonen nutzten die Armut und die sozialen Ausnahmesituationen der Eltern in Entwicklungsländern aus. Systematisch wurde die Identität der Adoptivkinder gefälscht – und die Schweizer Behörden schauten weg.

Auch Gianini will deshalb, dass Adoptionsverfahren «ethisch, ordnungsgemäss und transparent» verlaufen – und dass es Verbote für einzelne Herkunftsländer gibt, wo dies nicht garantiert sei. «Doch durch die Kommunikation des Bundesrates entstand der Eindruck, dass es bei praktisch allen Adoptionen der Vergangenheit illegale Machenschaften gab», sagt Gianini. So fühlten sich die Adoptiveltern unter Generalverdacht gestellt – und auch für die adoptierten Kinder bedeute dies Stress und Verunsicherung.

Ein langwieriger Prozess

Vor allem aber stört Gianini und seine freisinnigen Kollegen aus der nationalrätlichen Rechtskommission der Fahrplan des Bundesrates. Das Justiz- und Polizeidepartement von Jans will sich maximal fast zwei Jahre, bis Ende 2026, Zeit lassen, eine Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten. Das bedeutet, dass ein abschliessender Entscheid wohl erst 2027 oder 2028 gefällt würde.

«Das dauert viel zu lange», sagt Gianini. Es entstehe in der Zeit ein De-facto-Moratorium für Adoptionen aus dem Ausland. Denn Eltern, die bereits den mehrere Jahre dauernden Adoptionsprozess angestossen hätten oder dies demnächst tun wollten, sähen sich einer grossen Unsicherheit ausgesetzt.

Das ist denn auch der Hauptgrund dafür, dass die FDP zu diesem Zeitpunkt vorprescht. Zwar könnten die Parteien im Vernehmlassungsverfahren ohnehin Stellung beziehen. Und das Parlament wäre danach in den Gesetzgebungsprozess involviert. «Aber es ist besser, möglichst bald ein Zeichen zu setzen, dass eine Mehrheit ein solches Totalverbot nicht will», sagt Gianini.

«Vogel-Strauss-Taktik»

Die FDP möchte deshalb versuchen, in der Rechtskommission (RK) eine Mehrheit zu finden, so dass die Absenderin der Motion nicht die Partei wäre, sondern die ganze Kommission. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Auch Vertretern der SVP in der RK geht das Verbot zu weit, wie die Zürcher Nationalrätin Nina Fehr Düsel sagt.

Selbst auf der linken Seite gibt es Skepsis. Der grüne Waadtländer Nationalrat Raphaël Mahaim nannte das Verbot gegenüber dem Westschweizer Fernsehen eine «Vogel-Strauss-Taktik» und sprach sich stattdessen für schärfere Regeln aus. Die SP hat noch keine konsolidierte Haltung zum Vorschlag ihres Bundesrates, wie das RK-Mitglied Min Li Marti sagt.

Sie selbst hält ein Verbot jedoch ebenfalls für unverhältnismässig und tendiert deshalb dazu, die Motion der FDP zu unterstützen. Die Hürden für eine Adoption aus dem Ausland seien bereits heute sehr hoch, sagt Marti. «Wir sind in einer ganz anderen Situation als noch in den siebziger Jahren. Auch wenn es dafür nie eine Garantie gibt: In vielen Fällen sind Adoptionen eine Erfolgsgeschichte für Eltern und Kinder.»

Viele Fragen sind offen

Beim zuständigen Bundesamt für Justiz weist man die Kritik aus dem Parlament zurück. Bei einem heiklen Thema wie der internationalen Adoption müssten Reformen gut abgestützt sein, sagt die Sprecherin Ingrid Ryser. Deshalb habe der Bundesrat eine breite gesellschaftliche Diskussion angestossen.

Die lange Dauer des Verfahrens erklärt Ryser damit, dass es eine sorgfältige Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten brauche und noch viele Fragen offen seien – etwa zu allfälligen Ausnahmen vom Verbot. Auf laufende Adoptionsverfahren habe der Grundsatzentscheid des Bundesrats keine Auswirkungen: Änderungen würden sich erst bei Inkrafttreten einer Gesetzesreform ergeben.

Der Bundesrat habe in keiner seiner Äusserungen der letzten Jahre zur internationalen Adoption die heutigen Adoptiveltern für allfällige Missbräuche kritisiert oder dafür verantwortlich gemacht, betont Ryser. «Er anerkennt, dass es Adoptionen gibt, die korrekt durchgeführt wurden und für Kinder und Eltern geglückt sind.»

Die FDP sorgt für Bürokratie

Etwas paradox ist, dass sich die FDP den Kampf gegen die Bürokratie auf die Fahnen geschrieben hat – und just mit ihrem Vorstoss dafür sorgt, dass die Behörden weiterhin einen grossen Aufwand zu betreiben hätten. Wenn die Schweiz statt eines Verbots die Zahl der Herkunftsstaaten stark reduzieren würde, müssten die Zentralbehörden, Kindesschutzinstitutionen, Gerichte und Partner in jedem einzelnen Land regelmässig und vor Ort auditiert werden, erklärt Ryser – und selbst dann liesse sich Korruption ausländischer Gerichte und Behörden nicht zuverlässig ausschliessen.

Doch für den Freisinnigen Gianini ist dies das kleinere Übel als ein Verbot. «Erfolgreiche und korrekte Adoptionen sind den Aufwand wert.» Zumal dieser für den Staat allzu gross auch nicht sei, wenn man die Zahl der Adoptionen aus dem Ausland betrachte: Diese ist in den letzten Jahren stark gesunken und liegt derzeit noch bei rund dreissig pro Jahr.

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