Sonntag, September 29

In amerikanischen Gliedstaaten wie Kalifornien, Florida und Louisiana wird es schwieriger, eine Versicherung für Immobilien in Gefahrenzonen zu bekommen. Dabei spielen Regulierungen eine negative Rolle. Zunehmend springt der Staat ein.

Naturkatastrophen wie Hurrikane, Erdbeben, Stürme und Überschwemmungen sind im vergangenen Jahr weltweit häufiger geworden. Viele der Schäden waren dabei nicht versichert. Laut einer Studie des Rückversicherers Swiss Re lag das Schadenvolumen 2023 global insgesamt bei 280 Milliarden Dollar, wovon 62 Prozent nicht versichert waren.

Solche Versicherungslücken – in der Branche als «insurance gaps» bezeichnet – gibt es nicht nur in Schwellen- und Entwicklungsländern, sondern auch in der westlichen Welt. Für Aufsehen sorgt dabei die Situation im Immobilienmarkt in amerikanischen Gliedstaaten wie Kalifornien, Florida und Louisiana. «Grosse US-Versicherer wie State Farm oder Allstate reduzieren momentan die Anzahl an Versicherungspolicen für Immobilien in Gefahrenzonen», sagt Michael Stahel, Partner bei der Investmentgesellschaft LGT Capital Partners.

Gefahr der Kündigung der Hypothek

Manche Immobilienbesitzer erhalten von privater Seite gar keine Gebäudeversicherung mehr. Im schlimmsten Fall könnte dann eine Abwärtsspirale einsetzen, sagt Stahel. «Wenn man sein Haus mit einer Hypothek finanziert und keine Gebäudeversicherung mehr erhält, droht eine Kündigung der Hypothek», sagt er.

Dann könnte ein Verkauf der Immobilie nötig werden – doch angesichts der schwierigen Versicherungssituation dürfte die Nachfrage sehr begrenzt sein. «Viele Immobilienbesitzer versichern in solchen Gebieten ihr Haus oder ihre Wohnung auch einfach nicht mehr», sagt Stahel. Im Falle einer Naturkatastrophe dürften die finanziellen Folgen aber desaströs sein.

Verschiedene Gründe für Versicherungslücken

Die Gründe für die Versicherungslücken im Immobilienmarkt der USA sind indessen vielfältig – ein Teil davon ist auch hausgemacht.

Die Rolle des Klimawandels: Unter Klimawissenschaftern herrsche Konsens darüber, dass die globale Erwärmung eine Rolle bei der Frequenz und der Stärke einiger Naturkatastrophen gespielt haben dürfte, heisst es in einer Publikation von LGT Capital Partners.

Der Klimawandel werde zu einer immer grösseren Sorge für die Versicherungsbranche. So sei 2023 ein Rekordjahr für Wärmegewitter in den USA gewesen, Hunderte von Tornados hätten im Verlauf des Jahres Städte in den Vereinigten Staaten getroffen. Bei einigen lokalen Versicherern in den USA hätten die Prämieneinnahmen in den letzten Jahren nicht ausgereicht, um die erhöhte Schadenlast zu decken, sagt Stahel. Ihnen bleibe nichts anderes übrig, als die Reissleine zu ziehen.

Trotzdem handle es sich dabei eher um Extremfälle in hochexponierten Gebieten, sagt Balz Grollimund, Chef des Bereichs Katastrophengefahren beim Rückversicherer Swiss Re. Das Verhältnis von versicherten zu unversicherten Schäden habe sich in den USA nicht stark verschoben.

Starke Regulierung im amerikanischen Markt: «Der Hauptgrund, weshalb sich Versicherer aus bestimmten Regionen in den USA zurückziehen, ist die Überregulierung, die das Einfordern von risikogerechten Prämien verunmöglicht», sagt Eduard Held, Experte für Naturgefahren beim Schweizerischen Versicherungsverband (SVV).

Dazu ist ein Blick auf die Eigenheiten des amerikanischen Versicherungsmarkts nötig. Wie Grollimund ausführt, sind die Versicherungspreise in einigen amerikanischen Gliedstaaten staatlich reguliert. Direktversicherer müssen sich folglich Preiserhöhungen bestätigen lassen – und die entsprechende Genehmigung bekommen sie nicht immer. «Wenn also die Risiken steigen und die Versicherer ihre Preise aber nicht anpassen dürfen, kann das für manche Anbieter ein Grund sein, in bestimmten Regionen aus dem Markt auszusteigen», sagt er.

Die Versicherungslücke in den USA sei in verschiedenen Gliedstaaten durch strenge Regulierungen verschärft worden, die Prämienerhöhungen trotz den zunehmenden Schadenkosten teilweise nicht zuliessen, sagt auch Claudia Cordioli, Finanzchefin der Zurich-Gruppe. So hat beispielsweise auch Farmers Insurance, amerikanischer Versicherer und wichtiger Partner der Zurich-Gruppe, im vergangenen Jahr beschlossen, sich aus Florida zurückzuziehen.

Höhere Anfälligkeit von Immobilien: Zusätzlich ist auch die Exponierung von Immobilien für Naturkatastrophen gestiegen. In der Studie von LGT Capital heisst es, neue Liegenschaften würden heute oftmals in Regionen gebaut, die früher wenig besiedelt gewesen seien. Sorgen bereite auch die Verstädterung in Gebieten, in denen es ein hohes Risiko von Naturkatastrophen gebe – beispielsweise in Küstenregionen oder Überflutungsflächen.

«Es gibt eine ungute Kombination aus den Folgen des Klimawandels sowie der Urbanisierung, welche die zunehmende Bebauung von exponierten Zonen verursacht», sagt Cordioli. Die Probleme seien zu einem Teil auch dadurch geschaffen worden, dass man an gefährdeten Orten mehr gebaut habe.

Höhere Kosten: Ausserdem sorgten höhere Kosten für Baumaterial, Arbeitskräfte sowie Rechtsstreitigkeiten dafür, dass es für Versicherungen teurer werde, Schäden an versicherten Immobilien zu begleichen, heisst es in der LGT-Publikation.

Kunden melden Schäden schnell: Die versicherten Schäden seien aus verschiedenen Gründen gestiegen, sagt Held. Einer davon sei auch das amerikanische Rechtssystem. Versicherungskunden meldeten Schäden heute oft sehr schnell und würden dabei in den USA von Rechtsanwälten unterstützt, die mit Plakaten Werbung für ihre Dienstleistungen machten. «Schon allein die Prozesskosten treiben die Schadenssumme nach oben», sagt er.

Der Staat greift ein

Die Entwicklung hat in den USA mittlerweile dazu geführt, dass die Politik minderbemittelten Kunden staatliche Lösungen für das Problem anbietet. Stahel nennt in diesem Zusammenhang Auffangversicherungen wie Citizens of Florida und California Fair Plan. Solche «insurers of last resort» seien in den USA in den vergangenen Jahren massiv gewachsen.

Traditionelle Rückversicherung wurde indessen immer teurer und knapper. Die Versicherung von Versicherungen werde so in manchen Regionen der USA zunehmend zu einem staatlich bereitgestellten, öffentlichen Gut, sagt Cordioli. Dies mache es Versicherern schwer, Geschäfte zu machen, und so hätten diese oftmals keine andere Wahl, als sich aus solchen Gliedstaaten zurückzuziehen. In Europa, Asien und Lateinamerika sei diese Entwicklung bis jetzt nicht zu beobachten.

Um ein rein USA-spezifisches Phänomen handelt es sich trotzdem nicht. So gibt es auch in Australien staatliche Rückversicherungslösungen für Hurrikane, wie Stahel ausführt. Die Initiative soll helfen, den Zugang zu Versicherungen für jene zu verbessern, die in gefährdeten Regionen leben.

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