Sonntag, Oktober 6

Der neue britische Premierminister bemüht sich offensiv um Deutschland und Frankreich. Ein Freundschaftsvertrag soll Berlin und London einander annähern – doch von europäischen Regelwerken will sich der Brite fernhalten.

Im Vergleich zu seinem Vorgänger hat Keir Starmer es eilig. Nur wenige Wochen nach seiner Wahl hat der britische Premierminister Berlin und Paris besucht. Er hat damit deutlich rascher den Kontakt zum europäischen Kontinent gesucht als sein konservativer Vorgänger Rishi Sunak. Seine Reise nach Berlin am Mittwoch und nach Paris am Donnerstag brachte ihn zum fünften Mal mit Bundeskanzler Olaf Scholz und zum vierten Mal mit Präsident Emmanuel Macron zusammen.

Starmer äusserte bereits mehrfach die Absicht, mit Europa einen Neustart zu suchen. Allerdings machte der Brite auch in Berlin einmal mehr klar, dass er damit weder den Brexit rückgängig machen noch sein Land zurück in den europäischen Binnenmarkt oder die Zollunion führen wolle. Starmer sucht einen Mittelweg, zu dem auch bessere bilaterale Beziehungen zu den gewichtigsten EU-Mitgliedsstaaten gehören.

Unterstützung der Ukraine im Fokus

Dabei soll vor allem mit Deutschland «ein neues Kapital aufgeschlagen» werden, wie es Starmer am Mittwoch in Berlin ausdrückte. Die beiden Regierungen wollen in den nächsten Monaten ein Kooperationsabkommen aushandeln, das bereits zu Beginn des kommenden Jahres unterzeichnet werden soll.

Im Zentrum steht laut einer gemeinsamen Erklärung von Scholz und Starmer die «aussenpolitische Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit», die sich vor allem auf den Krieg in der Ukraine beziehen dürfte. Grossbritannien und Deutschland sind mit Abstand die grosszügigsten Unterstützer Kiews in Europa. Auch eine engere Zusammenarbeit im Sinne des Wirtschaftswachstums sowie der Kampf gegen die irreguläre Migration werden unter den ersten Prioritäten genannt.

Beides sind Themen, die die britische Politik seit dem Brexit im besonderen Masse beschäftigen: Die Wirtschaft läuft schlecht, und die Zahl der Migranten, die über den Ärmelkanal nach Grossbritannien gelangen, schlägt immer neue Rekorde. Auch in den anderen Bereichen soll die Zusammenarbeit und der Austausch wieder vertieft werden, etwa bei der Mobilität junger Menschen. Starmer zog aber auch da gleich Grenzen. Er stellte klar, dass man sich dennoch nicht an einem Jugend-Mobilitätsprogramm der EU beteiligen werde, das Brüssel mit Grossbritannien ausdehnen möchte.

Aus London hiess es, die Verträge von Lancaster House, in denen Grossbritannien mit Frankreich 2010 eine engere Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich beschlossen hatte, dienten als Vorbild. Offenbar stehen auch gemeinsame Rüstungsprojekte im Raum. In Berlin war man allerdings darauf bedacht, die vertiefte Zusammenarbeit nicht als Konkurrenz zu den Élysée-Verträgen erscheinen zu lassen, in denen Frankreich und Deutschland seit den 1960er Jahren ihre besondere Beziehung unterstreichen.

Wohl erhofft man sich in Berlin aber, dass der neue Vertrag mit London im Ergebnis fruchtbarer sein wird als die Verteidigungszusammenarbeit zwischen Frankreich und Grossbritannien. Denn Kooperationsvertrag hin oder her: Keines der britisch-französischen Rüstungsprojekte hat bisher zu einem Erfolg geführt. Zudem hat das stets ambivalente Verhältnis in den letzten Jahren stark darunter gelitten, dass sich Grossbritannien zu dem Aukus-Bündnis bekannt hatte. Durch die Gründung dieses Sicherheitsabkommens zwischen Australien, den USA und Grossbritannien vor drei Jahren entging Frankreichs Rüstungsindustrie eine 8 Milliarden schwere Bestellung für zwölf U-Boote. Da die Allianz selbst acht Atom-U-Boote bauen wollte, kündigte Australien einen bereits geschlossenen Vertrag mit Frankreich auf. In Paris schrieb man diesen Verlust allen drei Aukus-Staaten zu.

Inzwischen ist etwas Gras über die Sache gewachsen. Besonders in der Bekämpfung der illegalen Migration über den Ärmelkanal hat sich die Zusammenarbeit zwischen Paris und London in jüngster Zeit vertieft. Und Emmanuel Macron scheint, wie Olaf Scholz, erfreut über das neue Gegenüber in London; er hatte Starmer sogar schon vor seiner Wahl zwei Mal nach Frankreich eingeladen.

Aus dem gemeinsamen Mittagessen am Donnerstag in Paris wurde zwar der Wunsch bekannt, die gegenseitige Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Konkrete Initiativen wurden indes keine genannt. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass es in Frankreich derzeit nur eine geschäftsführende Regierung gibt. Auch wenn die Aussenpolitik vor allem in den Händen des Präsidenten liegt: Um konkrete bilaterale Kooperationen auszuarbeiten, braucht er seine Ministerien. Denen ist es unter den gegebenen Umständen jedoch nicht möglich, initiativ tätig zu werden.

Ein Vorteil für Europa

Die Annäherung Grossbritanniens an den Kontinent ist trotz allen von Starmer gesetzten Grenzen auch für Europa von Vorteil – besonderes sicherheitspolitisch. Starmer hatte beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft im Juli Interesse gezeigt, mit der Union einen Sicherheitspakt zu schliessen. Das würde den bisher immer noch eher schwachen verteidigungspolitischen Arm der EU stärken; und nicht zuletzt den europäischen Pfeiler in der Nato.

Indem er Berlin und Paris besuchte, klopfte Starmer die unterschiedlichen Positionen in dieser Frage ab. Eine Stärkung der EU in Verteidigungsfragen ist ein Kernanliegen des französischen Präsidenten; Berlin ist diesbezüglich zurückhaltender. Abzuwarten bleibt, wie sich die britische Bereitschaft zur engeren Kooperation mit Europa konkretisieren wird. Gerade im Rüstungsbereich spielt der EU-Binnenmarkt eine zunehmend wichtige Rolle – was der Beteiligung Grossbritanniens als Drittstaat ebenfalls Grenzen setzt.

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