Einen bahnbrechenden Erfolg kann die Europäische Politische Gemeinschaft nicht für sich beanspruchen – und doch reisen alle hin. Die Schweiz wäre bereit, einen der nächsten Gipfel zu organisieren.
EP what? Würde man bei einer Strassenumfrage fragen, was die «EPC» ist, wäre die Trefferquote nicht sonderlich hoch – zumal zahlreiche Organisationen wie das Economic Policy Committee oder der European Payments Council das Kürzel nutzen. 2022 ist ein weiterer gleichnamiger Akteur hinzugekommen, der zumindest gemäss Teilnehmerliste aber mächtiger ist als alle anderen zusammen: die Europäische Politische Gemeinschaft, auf Deutsch EPG – wegen der gebräuchlicheren englischen Bezeichnung (auch) hierzulande zumeist EPC genannt. Sämtliche europäischen und manche vorderasiatischen Länder sind Mitglied, ausgeschlossen werden nur Russland und Weissrussland. Am Freitag findet in Tirana das sechste Gipfeltreffen statt.
In der albanischen Hauptstadt werden praktisch alle Staats- und Regierungschefs der EPC-Mitgliedsländer erwartet, auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski soll sich nach den «Friedensverhandlungen» von Istanbul auf den Weg machen. Zusammen mit den Vertretern der EU, der Nato und dem auf Menschenrechte spezialisierten Europarat werden rund 45 hochrangige Führungspersonen anwesend sein.
Das geopolitische Potenzial Europas
Aus Bern reist Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter an. Die Schweiz war von Anfang an dabei, seit der französische Präsident Emmanuel Macron kurz nach dem flächendeckenden Angriff Russlands auf die Ukraine das Format ins Leben gerufen hatte. Es definiert sich denn auch über eine betonte Abgrenzung zum Regime von Wladimir Putin.
Gemäss Macrons Gründungsrede dürfen all jene europäischen demokratischen Staaten mitmachen, die sich zu «unseren gemeinsamen Kernwerten» bekennen. Es soll ein informelles Forum sein, in dem sich die Politiker ohne striktes Programm und ohne lähmende, weil einstimmig zu verabschiedende Schlusserklärung zu den aktuellen Herausforderungen austauschen können. Kurz: Das geopolitische Potenzial Europas, das weit über die EU hinausgeht, soll sich gerade angesichts der Bedrohung aus dem Osten besser entfalten können.
Nun, da die EPC ein paar Jahre alt ist, stellt sich die Frage, ob diese hehren Ziele erreicht wurden – gerade auch für einen Kleinstaat wie die Schweiz, der Anbindungen an supranationale Gebilde seit je sorgfältig abwägt. Was «bringt», salopp formuliert, die Europäische Politische Gemeinschaft der Schweiz?
Kein Durchbruch
Der direkte und informelle Austausch zwischen europäischen Staats- und Regierungschefs, etwa zur Sicherheitslage oder zur demokratischen Widerstandsfähigkeit, sei «wertvoll», schreibt das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) in Absprache mit dem Aussendepartement (EDA). Als Zeichen des Zusammenhalts Europas behalte die EPC «im aktuellen Kontext ihre Wichtigkeit». Darum unterstütze man sie weiterhin – als «Plattform für den Dialog und die Zusammenarbeit in Europa», so der Bund in blumigen Worten.
In der Tat hat sich bei den vergangenen Ausgaben gezeigt, dass gerade «aussenstehende» Länder von den hochrangigen Treffen profitieren konnten – die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder kommen ja ohnehin schon mehrmals jährlich zusammen. So traf sich beim zweiten Gipfel im moldauischen Chisinau die Führungsriege von Aserbaidschan und Armenien zu deeskalierenden Gesprächen, beim dritten Gipfel im spanischen Granada fand ein serbisch-kosovarischer Dialog statt. In Tirana beraten sich die Europäer nun unter anderem über die Konsequenzen der Ukraine-Verhandlungen in Istanbul.
Einen echten diplomatischen Durchbruch kann die EPC allerdings nicht für sich verbuchen. Zu schnelllebig ist das Format, zu gross der Teilnehmerkreis, zu locker die Organisationsstruktur – es gibt nicht einmal ein Sekretariat. Die Gefahr besteht, dass die europäischen Länder über die Jahre hinweg keinen Zusatznutzen mehr sehen und schlicht nicht mehr erscheinen. Diese Befürchtung gibt es allerdings seit Anbeginn, bis anhin hat sie sich nicht bewahrheitet. In Tirana sind voraussichtlich alle relevanten Akteure anwesend.
Aufwand hält sich in Grenzen
Die Schweiz steht zum Glück mit keinem Staat in offenem Konflikt, weshalb ihr Nutzen aus den EPC-Gipfeln wohl weniger direkt sichtbar wird. Aber als Land im Herzen Europas hat sie ein ureigenes Interesse daran, sich zumindest für die Reste einer regelbasierten Weltordnung einzusetzen. Der Umgang mit dem Ukraine-Krieg, Migrationsfragen und auch der suspendierte Handelskonflikt mit den USA zeigen, dass der Bund auf Partnerländer in Europa angewiesen ist.
Nicht zuletzt wäre es ein aussenpolitisch heikles Signal, wenn die Schweiz als einziges Land Europas abseitsstehen würde – schliesslich halten sich die Kosten in Grenzen. Keller-Sutter reist nur mit einem kleinen Team nach Tirana, der Aufwand könne «im Rahmen der normalen Arbeiten der betroffenen Mitarbeitenden bewältigt werden», schreibt das EDA.
Die Bundespräsidentin wird in Tirana entsprechend so viele bi- und multilaterale Gespräche wie möglich führen. Welche genau, gibt das EFD nicht bekannt, zumal noch nicht einmal alle feststehen. An einem EPC-Gipfel ergeben sich viele Treffen spontan, die locker gehaltene Agenda lässt dafür bewusst Raum. Auf der Hand läge, dass sich Keller-Sutter mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen unterhielte. Dänemark stellt die kommende EU-Präsidentschaft, dem Nichtmitgliedsland Schweiz können freundschaftliche Beziehungen nicht schaden. Zu erwarten ist auch, dass die Vertreter anderer Staaten gezielt das Gespräch mit der St. Gallerin suchen – ihr positiv verlaufenes Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump hat weit über die Landesgrenzen hinaus Interesse geweckt.
Was passiert mit dem Bürgenstock-Format?
Gut möglich gar, dass sich die über vierzig Staats- und Regierungschefs in mittlerer Zukunft im Herzen Europas versammeln werden. Die Schweiz habe «ihre Bereitschaft geäussert, ein zukünftiges Treffen der EPC in der Schweiz auszurichten», schreibt das Aussendepartement. Die früheste Gelegenheit wäre im ersten Halbjahr 2027. Ob sich die Idee konkretisiert, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, ob sich das Format des letztjährigen Bürgenstock-Gipfels in irgendeiner Form wiederholen wird.
Schliesslich berichtete «Le Temps» bereits 2023, dass der Bund sein Interesse an einem EPC-Gipfel signalisiert habe – mit dem Frühjahr 2025 als möglichem Zeitpunkt der Durchführung. Nun ist der Eurovision Song Contest bekanntlich der einzige internationale Grossanlass, der dieser Tage in der Schweiz stattfindet.