Freitag, März 28

Tausende von bisher geheimen Dokumenten zum mythenumrankten Tod von Präsident John F. Kennedy sind nun frei zugänglich. Nach einem ersten Augenschein glauben Experten nicht, dass die Geschichte deshalb neu geschrieben werden muss. Aber faszinierend sind die Einblicke in die Umtriebe der CIA rund um den Mord allemal.

Diese Woche hat das amerikanische Nationalarchiv nach einer Anordnung von Präsident Donald Trump umfangreiche Geheimdienstdokumente zum Tod von John F. Kennedy freigegeben, die bisher unter Verschluss gehalten wurden. Es handelt sich insgesamt um rund 61 000 Seiten.

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Viele Amerikaner erhoffen sich von der Veröffentlichung neue Aufschlüsse über die Umstände des Mordes am früheren Präsidenten. Kennedy war am 22. November 1963 von Lee Harvey Oswald in Dallas erschossen worden. Zwei Tage später wurde der Attentäter selbst vom Nachtklubbesitzer Jack Ruby ermordet. Sogleich rankten sich Verschwörungstheorien um den Mord.

Oswalds Verbindungen nach Havanna und Moskau

Erst ein kleiner Teil des freigegebenen Materials konnte bis jetzt ausgewertet werden. Aber laut den amerikanischen Medien stellen bis jetzt keine Dokumente die offizielle Version infrage, dass Lee Harvey Oswald als Einzeltäter handelte. Ein grosser Teil der nun veröffentlichten Akten war der Öffentlichkeit schon früher zugänglich, wenn auch in teilweise zensurierter Form.

Immer wieder zirkulierten Gerüchte, dass der damalige Vizepräsident Lyndon Johnson den Mord in Auftrag gegeben hatte, angeblich wegen Kennedys Skepsis gegenüber dem Vietnamkrieg. Auch von einer Beteiligung der Sowjetunion, Kubas oder der Mafia war die Rede. Völlig unplausibel war die These nicht. Immerhin war Oswald Kommunist, mit einer Russin verheiratet und hatte jahrelang in der Sowjetunion gelebt. Es gab schon früh Indizien, dass er Kontakte mit den Kubanern und den Russen gepflegt hatte.

Die Warren-Kommission, die den Mord untersuchte, kehrte diesbezügliche Informationen unter den Tisch, um die Beziehungen zur Sowjetunion nicht zu belasten. Die nun freigegebenen Dokumente bestätigen Oswalds Kontakte zu den kommunistischen Regimen, aber liefern keine Belege, dass er in deren Auftrag handelte.

Oswald hatte einige Monate vor dem Attentat versucht, zu den Kubanern überzulaufen. Er ersuchte bei der kubanischen Botschaft in Mexiko-Stadt um ein Visum, blitzte aber ab. Offenbar schrie er dann wutentbrannt, er werde Kennedy umbringen. Sowohl das FBI wie Fidel Castro waren darüber informiert. Havanna überwachte die Bewegungen Oswalds genau; aber Castro hatte kein Interesse daran, sein Regime durch einen Mord am amerikanischen Präsidenten zu gefährden.

Die CIA war über Oswalds Verbindungen nach Havanna und Moskau unterrichtet, unterschätzte aber die Gefährlichkeit Oswalds. Später verheimlichte der Geheimdienst diese gesammelten, aber falsch interpretierten Informationen, um in einem besseren Licht dazustehen. Letztlich erfährt man in den Geheimdienstdokumenten nichts über allfällige Hintermänner des Attentats, aber einiges über die Vertuschungsversuche der Geheimdienste selbst.

Wie aus einem Spionagethriller

Faszinierend sind die Einblicke in die Arbeitsweise der Geheimdienste und ihre zum Teil dubiosen Operationen allemal. So war zwar bekannt, dass CIA-Agenten sich oft als gewöhnliche Mitarbeiter des Aussenministeriums ausgaben. Interessant sind aber die Details, die nun ans Licht kommen. So arbeiteten in der amerikanischen Botschaft in Paris zur Zeit Kennedys offenbar 128 Agenten, die das ganze oberste Stockwerk in Beschlag nahmen. Insgesamt dienten weltweit 1500 amerikanische «Diplomaten» in Wirklichkeit bei den Geheimdiensten.

Auch gibt es zahlreiche Hinweise auf Agenten, die Arbeiterbewegungen infiltrierten und versuchten, Wahlen zu beeinflussen, unter anderem in Brasilien, Finnland, Zypern, Griechenland und Spanien. In Mexiko arbeitete 1960 ein Freund Castros und hochrangiges Mitglied einer revolutionären Bewegung in Wirklichkeit für die CIA. 1962 kontaminierte die CIA eine Ladung von 800 Säcken kubanischem Rohzucker für die Sowjetunion, so dass er ungeniessbar wurde.

Es werden auch Beispiele von amerikanischen Professoren an ausländischen Universitäten bekannt, die die CIA mit Informationen belieferten. Umgekehrt überwachte der Geheimdienst in den USA zahlreiche Journalisten, unter anderem in den siebziger Jahren auch einen Reporter der «Washington Post».

Tief blicken lässt eine Akte aus dem Jahr 1960 über den damaligen mexikanischen Präsidenten Adolfo López Mateos. Öffentlich sprach er sich vehement gegen eine amerikanische Invasion in Kuba aus. Hinter den Kulissen bat er den CIA-Chef, Präsident Eisenhower auszurichten, wie erfreut er wäre, wenn die USA Castro beseitigen würden.

Persönlichkeitsschutz missachtet

Trump hatte angekündigt, er werde alle 80 000 Seiten zu Kennedy freigeben. Es bleiben nun noch 19 000 unveröffentlichte Seiten. Tulsi Gabbard, Direktorin der nationalen Geheimdienste, kündigte an, dass demnächst noch mehr Dokumente publiziert werden sollen, neben jenen zu John F. Kennedy auch solche zu den Morden an seinem jüngeren Bruder Robert F. Kennedy und dem Bürgerrechtler Martin Luther King. Denn auch zu Letzteren sind immer noch viele Dokumente unter Verschluss – vermutlich nicht, weil spektakuläre Fakten verschleiert werden sollen, sondern aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes.

Umso erstaunlicher ist, dass beim nun freigegebenen Material offenbar kaum auf die Privatsphäre Rücksicht genommen wurde. Von mehreren Politikern, Anwälten und Beamten, die noch am Leben sind, wurde beispielsweise die Social Security Number veröffentlicht. Das sorgt für verständliche Empörung und auch Angst unter den Betroffenen.

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