Freitag, Januar 24

Auf den grossen Bühnen versprechen KI-Vertreter eine utopische neue Welt. Dafür verlangen sie Geld für Datenzentren und billige Energie. Europäer sind skeptischer, haben aber Angst, abgehängt zu werden.

Fünf Prozent Wahrscheinlichkeit, dass er danebenliege, räumt Dario Amodei ein. Fünf Prozent Wahrscheinlichkeit, dass wir nicht mitten in einer Revolution steckten, auf deren anderer Seite eine Welt stehe, in der wir dank künstlicher Intelligenz (KI) doppelt so lange lebten und in der Heerscharen von KI-Programmierern und Forschern unsere Probleme lösten.

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Dario Amodei ist der CEO von Anthropic, dem KI-Startup, mit dem sich Open AI das Rennen um die weltbeste generative KI liefert. Weil Sam Altman fernblieb, ist Amodei der KI-Star Nummer eins am WEF, derjenige, dem die Teilnehmer dicht gedrängt lauschen, als er im Bloomberg-Interview seine Prognosen teilt.

Mit seinen Visionen ist er hier keineswegs allein. Vor allem amerikanische Unternehmer, Forscher und Investoren teilen viele Überzeugungen, die für europäische Ohren doch etwas märchenhaft anmuten.

Nachrichten aus den USA heizen die Stimmung weiter an: Präsident Trump präsentierte das Projekt «Stargate». Sam Altman von Open AI, Masayoshi Son von Softbank und Larry Ellison von Oracle stellten gemeinsam Investitionen in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Dollar in Aussicht, um sicherzustellen, dass die Zukunft der KI in den USA bleibt. Das ist Gesprächsstoff bei allen Unterhaltungen, ob auf der Bühne oder bei Cocktails und Häppchen.

Das Geld aus dem «Stargate»-Projekt soll vor allem in Datenzentren und Kraftwerke fliessen. Denn für die KI-Zukunft, die Amodei und den anderen Rednern vorschwebt, ist ein massiver Ausbau der Infrastruktur nötig. Es braucht Datenzentren mit Hochleistungs-Chips und billige Energie, um sie zu betreiben. Der Blackrock-CEO Larry Fink stellt in einem Interview mit Bloomberg in Davos klar, wo Letztere seiner Meinung nach herkommen wird: «Erst aus Erdgas, ergänzt mit Erneuerbaren, später brauchen wir Nuklearenergie.»

Unternehmer heizen Investitionen in Datenzentren an

Generative KI, also Systeme wie Chat-GPT oder Bild- und Videogeneratoren wird seit Jahren mithilfe von immer mehr Daten und Rechenleistung besser. Diese ist nicht nur zum Trainieren der Modelle nötig. Auch der Rechenaufwand bei jeder Abfrage ist bei den neuesten Modellen immens angestiegen.

Um diesen Weg weiterzugehen, braucht es immer mehr Infrastruktur. Dafür braucht es nicht nur Geld, sondern auch die Unterstützung von Regierungen, etwa, um schnell neue Kraftwerke zu brauchen, die den nötigen Strom liefern.

Es ist eine doppelte Strategie, mit der KI-Unternehmer auf den Davoser Bühnen Politiker und Investoren überzeugen wollen: Einerseits versprechen sie eine rosige Zukunft – Keith Strier, Vertreter der Chip-Firma AMD, spricht bei einer Veranstaltung des MIT etwa von einer baldigen Vervierfachung des Bruttosozialprodukts für Länder, die jetzt genug in KI investieren. Auf der anderen Seite malen sie bedrohliche Szenarien aus. So sagte etwa Amodei: «Ich fürchte mich vor 1984-Szenarien oder Schlimmerem, davor, dass das 21. Jahrhundert nicht das amerikanische Jahrhundert wird. Und das wird passieren, wenn wir das hier nicht hinkriegen.»

Etabliertere Firmen hausieren mit KI-Agenten

Aber nicht alle am WEF vertretenen KI-Unternehmer argumentieren mit so extremen Szenarien. Etablierte Firmen, die jetzt schon Geld verdienen und nicht auf Risikokapital angewiesen sind, sprechen wenig von genereller künstlicher Intelligenz, AGI. Sie haben ein neues Schlagwort gefunden: KI-Agenten.

«AI Agents» ist die Antwort von Ruth Porat, Chief Investment Officer von Google, auf die Frage, wie ihr Arbeitgeber gedenkt, mit KI gleich viel Geld zu verdienen wie mit der Suchmaschine. «Agentic AI» prangt an unzähligen Fassaden entlang der Davoser Promenade. In den Häusern erklären Firmen, warum ihre Software die beste ist. Salesforce hat gegenüber seinem Haus ein zweites angemeldet, beide sind voller Aufkleber mit dem Schlagwort «Agentforce».

Auf die Frage, was genau ein KI-Agent denn nun ist, erhält man verschiedene Antworten. Grundsätzlich ist damit eine KI gemeint, an die man mehrere Arbeitsschritte auslagern kann. Hier am WEF, wo alle unter Terminchaos und der Angst leiden, etwas zu verpassen, ist oft das Beispiel: Stell dir vor, du könntest einen KI-Agenten bitten, dir einen perfekten Kalender für diese Tage zusammenzustellen und die nötigen E-Mails zu schicken und zu beantworten. Das muss hier jedem sinnvoll erscheinen.

Der Salesforce-Agent in der WEF-App weiss nichts von Milei

Es ist aber keine triviale Aufgabe, einen solchen Agenten auf Basis von KI-Sprachmodellen zu bauen. Denn diese sind bekannt für ihre Fehler und Halluzinationen. KI-Agenten unkontrolliert Zugang zum Mailpostfach und zu den Kreditkartendaten zu geben, ist riskant.

Entsprechend bescheiden ist der Agentforce-Bot, der in die Event-App des WEF integriert ist. Er beantwortet nur Fragen zum WEF-Programm, und auch das oft unbefriedigend, so wie man es von KI-Chatbots gewohnt ist. Der Agentforce-Bot kann nicht einmal sagen, ob Xavier Milei auftritt.

Sind AI Agents also nur ein Marketingtrick? Der Informatikprofessor und Vorsteher des AI-Centers der ETH Andreas Krause sieht jedenfalls die Vermenschlichung, die mit dem Begriff «Agentic AI» mitschwingt, kritisch, wie er gegenüber der NZZ sagt. Statt an eine KI zu denken, die eine Arbeitskraft ersetze, müsse man sie sich eher als eine neue Generation von Software vorstellen, die durch Einsatz von aus Daten erlernten Modellen komplexere Arbeitsabläufe ausführen kann.

Leandro von Werra, der von Bern aus die Forschung der KI-Firma Hugging Face leitet, macht ein Beispiel: «Wir arbeiten an Agents, denen man einen Datensatz übergeben kann, und sie analysieren ihn selbständig und können Fragen dazu beantworten», sagt er gegenüber der NZZ. Es sei aber nicht trivial, ein System zu bauen, das das auch verlässlich könne.

Europäer haben Angst davor, abgehängt zu werden

Das ist auch der Tenor bei der Veranstaltung «Leading Beyond Boundaries», bei der Professoren von amerikanischen Eliteuniversitäten, Unternehmer und politische Entscheidungsträger abseits der Öffentlichkeit diskutieren.

Auf die Frage, wie man KI-Agenten bauen kann, die stabil und verlässlich handeln und auf die Firmen und Konsumenten vertrauen können, hat auch in dieser Runde keiner eine Antwort. All das werde noch erforscht. Ein Teilnehmer erzählt, er rate Firmen, keine Haftung für die Aussagen und Handlungen der Agenten zu übernehmen.

Es kann also sein, dass nicht nur bis zur grossen KI-Revolution, sondern auch bis zur Fertigstellung nützlicher KI-Agenten noch einige Zeit vergeht.

Trotzdem: Keiner kann die Zukunft absehen. Und gerade bei Gesprächen mit europäischen Forschern hört man immer wieder die Sorge, abgehängt zu werden. Schliesslich kommt keine der erfolgreichsten Firmen für generative KI aus Europa. Manche sehen den Grund dafür bei der stärkeren Regulierung in Europa.

Der grösste Unterschied zwischen den USA und Europa liegt allerdings darin, wie viel leichter man in den USA Investoren für KI findet. Der europäische Mitgründer eines erfolgreichen amerikanischen KI-Startups zeigt bei einer Networking-Veranstaltung auf eine Gruppe amerikanischer Herren an der Bar: Jeder von ihnen sei bereit, direkt eine Million in ein KI-Startup mit gutem Pitch zu investieren.

Im AI-House der ETH präsentieren Forscher einen möglichen Ausweg: Auf dem neu aufgesetzten Alps Supercomputer trainieren sie eigene KI-Modelle, darunter ein Sprachmodell, das für alle offen nutzbar sein soll, vieler Sprachen fähig und ganz ohne illegal aus dem Netz kopierte Daten trainiert.

Die Idee ist, dass so ein öffentlich nutzbares Modell Ressourcen spart, weil nicht jeder seine eigene KI trainiert. Stattdessen stellen die Forscher ein grosses Grundlagenmodell bereit – nach dem Open-Source-Prinzip, so dass es jeder für sich anpassen kann.

Schock wegen mächtigen Open-Source-Modells aus China

Schon jetzt nutzen viele kleinere Firmen und Forscher die offenen Modelle des Facebook-Konzerns Meta. Dass man mit Open Source ziemlich viel erreichen kann, zeigte vor wenigen Tagen ausgerechnet China. Auch das gab in Davos viel zu reden. Das offene Modell Deep Seek hat es auf einen Schlag weit nach oben in die Chatbot-Ranglisten geschafft, zwischen die besten Modelle von Google und Open AI – und zwar bei einem viel geringerem Rechenaufwand.

Gelänge es der ETH, ein ähnlich gutes Modell zur Verfügung zu stellen, wäre das für europäische Firmen und Forscher eine Chance, aufzuholen.

Doch sogar Dario Amodei räumt ein, dass sich die ganze Aufregung um echt intelligente KI vielleicht als übertrieben herausstellen könnte. Fünf Prozent Wahrscheinlichkeit gibt er dem Szenario, dass bis zum Jahr 2100 keine Fortschritte in Sachen KI mehr gemacht werden. «Vielleicht wird man sagen, ‹Hahaha, erinnerst du dich an die 2020er Jahre, als wir dachten, dass die ganze Welt sich ändert und ein neuer kalter Krieg um KI-Chips ausbricht?›»

Das Risiko, später dumm auszusehen, nimmt Amodei in Kauf. In Davos ist er damit nicht allein.

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