Freitag, August 22

Es gibt gute Gründe, wieso sich künstliche Intelligenz besser nicht ins literarische Geschäft einmischen soll. Und ein paar Gründe, wieso man von ihr nichts zu befürchten hat – derzeit.

Neben all den schlechten Nachrichten von allen Krisenschauplätzen der Gegenwart – nun auch noch das: Der britische Verlag Faber & Faber wird, wie unlängst gemeldet, das neue Buch seiner Autorin Sarah Hall mit dem Aufkleber «Human Written» versehen. Die Autorin protestiert damit gegen die illegale Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke durch Tech-Giganten.

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Doch der Aufkleber hat seine Tücken. Denn in der paradoxen Selbstpersiflage gesteht er doch gerade seine Vergeblichkeit: Auch ein Bio-Label kann nun nicht mehr weiterhelfen. Welche Aufsicht will und kann Bücher oder Autoren kontrollieren und als KI-freie Bio-Betriebe zertifizieren? Und welche Behörde überwacht die Aufsicht in einer Branche, die sich die Fiktion, vulgo Lüge, zum Geschäftsmodell gemacht hat?

Aus diesem KI-generierten Schlamassel kommen wir jetzt nicht mehr heraus. «Wo aber Gefahr ist», wie Hölderlin an dieser Stelle gesagt hätte, «wächst / Das Rettende auch.» Es naht uns in Gestalt der KI selbst. Denn es gibt ein paar gute Gründe, wieso die künstliche Intelligenz besser keine Romane oder Gedichte schreiben sollte; zudem gibt es ein paar Gründe, warum sie es schadlos tun kann.

1. Alles olle Kamellen

Treuherzig versichern uns heute gerade jene, die es besser wissen könnten, dass KI noch lange nicht fähig sein werde, ganze Romane zu schreiben. Und schon gar nicht solche, die etwas taugen. Da kann man nur sagen: Liebe Leute, die Welt war schon einmal viel weiter.

Seit Jahrhunderten kennen wir potente automatisierte Schreibsysteme. Das mit Abstand schönste hatte der britische Dichter Laurence Sterne ersonnen und es 1765 im achten Band seines «Tristram Shandy» vorgestellt: Von allen Arten, ein Buch zu beginnen, schreibt Sterne, halte er seine für die beste und frömmste. «Denn ich beginne damit, den ersten Satz hinzuschreiben – und ich vertraue in Rücksicht auf den zweiten auf Gott den Allmächtigen.»

Es ist das Urmodell des Schreibautomaten. Der Schriftsteller ist das Werkzeug einer höheren Instanz. Dieses Modell wurde im Lauf der Zeit verfeinert. Theodor Fontane hatte sich einen Pantographen erträumt, damit sein Schreibzeug vom Weltgeist oder jedenfalls von einer fremden Macht bewegt würde. Andere haben Alkohol oder Drogen zu Hilfe genommen, um das Schreiben aus den Fesseln des lästigen Bewusstseins zu befreien. Die Surrealisten erfanden die «écriture automatique», was zu sehr zweifelhaften Ergebnissen führte. Und der Franzose Raymond Queneau kam auf die gloriose Idee – als Wiedergänger von Jesus bei der wundersamen Brotvermehrung am See Genezareth –, zehn Sonette in «Cent mille milliards de poèmes» zu verwandeln. Er zerschnitt jedes Sonett in die einzelnen Verse, die sich nun zu fast unendlich vielen neuen Gedichten rekombinieren liessen.

Aber Hand aufs Herz: Ausser mit Gott dem Allmächtigen von Laurence Sterne hat das alles nicht so recht funktioniert. Schreibhand und Bewusstsein bleiben aneinandergekettet, und bald bremst jene, bald dieses, doch Kunst entsteht – und auch dann selten genug – erst aus dieser Reibung. Wie aber soll man KI beibringen, mit sich selbst zu ringen?

2. KI kann es besser? So what!

Es wird nicht lange gehen, dann schreibt KI den perfekten Martin-Suter-Roman. Und wahrscheinlich schon vorher wird sie das bessere Remake in der nicht enden wollenden Reihe von Annie Ernaux’ autofiktionalen Büchern ausspucken. Aber wer möchte so etwas lesen? Noch ein Buch von Annie Ernaux, noch ein Blick hinter die Kulissen eines bürgerlichen Lebens? Und wer will einen makellosen Martin Suter haben, nachdem wir unseren Frieden damit gemacht haben, dass in seinen Büchern immer ein kleiner Haken verborgen liegt, ein Konstruktionsfehler oder eine unfreiwillige Komik? Und nun soll das aalglatt werden?

Ein fehlerloser Martin Suter wäre ein schlechter Martin Suter und die Verbesserung seiner Bücher ein Verstoss gegen die guten Sitten. Da eilt uns wiederum Laurence Sternes «Tristram Shandy» zu Hilfe. Vor die Wahl gestellt, ein Bild exakt nachzubilden und es damit weniger eindrücklich zu machen, wähle er immer das geringere Übel: «Indem es uns sogar verzeihlicher dünkt, wider die Wahrheit als gegen die Schönheit zu sündigen.» Martin Suter würde das sofort unterschreiben, nur KI wüsste nicht, wovon die Rede ist.

Denn das ist das erste Gesetz des realistischen Romans. Er muss die Wahrheit erfinden, damit sie auch schön ist. Casablanca etwa sollte in einem Roman nicht so aussehen, wie KI die Stadt mit Wikipedia-Wissen darstellt. Casablanca hat genau so auszusehen und zu riechen und lärmig zu sein, wie man es aus dem gleichnamigen Film kennt. Der durchschnittliche Mensch weiss das Wahre und Schöne bloss als Klischee zu schätzen. Eine beflissene KI würde hier nur den Spass verderben.

3. Das Totschlagargument ist leider ein Bumerang

Auch Heinrich von Kleist hatte bereits 1811 einen Schreibautomaten entworfen, gewissermassen die gottlose Variante von Laurence Sterne. Kleists Methode heisst: «Allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden».

Was bei Sterne Gott der Allmächtige war, sitzt bei Kleist in der Sprache selbst. Sie ist das Schwungrad des Denkens und bringt das Unerhörte, das Niedagewesene erst hervor. Die Maschine, die so etwas kann, wird erst noch gebaut, ebenso die Kraftwerke und Serverfarmen, mit denen die erforderliche Rechenleistung bereitgestellt werden könnte.

Kleists Zuversicht ist allerdings grenzenlos: «Ich glaube, dass mancher grosser Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wusste, was er sagen würde. Aber die Überzeugung, dass er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen.» Ehrlicherweise muss man eingestehen: Der Vorsprung des Menschen gegenüber der Maschine ist hier marginal. Es ist ein offenes Geheimnis, dass selbst grosse Redner den Mund aufmachen und nur zu häufig selbst dann noch nicht wissen, was sie sagen wollen, wenn sie ihn endlich wieder zumachen.

Und leider, Gott sei’s geklagt, gilt solches auch für Bücher, die das Bio-Label «Human Written» ziert: Die Verfertigung der Gedanken beim Schreiben ist kein Selbstläufer. Mancher Autor ist «dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen». Doch schon auf den ersten Seiten verlässt ihn das Glück, und er weiss auch am Ende noch nicht, wohin ihn der Anfang hätte führen können oder sollen.

4. Also doch lieber KI-Bücher?

Bücher ohne Bio-Label haben den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man sie nicht lesen muss. Und da der Markt mit solchen Büchern anscheinend geflutet wird – Amazon kann sich des Ansturms auf seine Self-Publishing-Plattform kaum erwehren –, gibt es immer mehr Bücher, die man nicht lesen muss. Das gilt im Übrigen auch für viele Bio-Label-Bücher. Das setzt eine ungeheure Menge an Lebenszeit frei.

Man könnte dann zum Beispiel wieder einmal Laurence Sterne lesen und darüber ins Grübeln geraten, dass solche Bücher unfassbar erfolgreich waren, während man heutzutage kaum mehr die Geduld mitbringt und schon gar nicht die Kenntnisse, um sich an solcher Fabulierlust ebenso lustvoll zu vergnügen. So hätte die Flut an KI-Büchern den phantastischen Effekt, dass sie uns geradewegs in die Arme der Dichter des 18. Jahrhunderts treibt.

5. Noch ein guter Grund für KI-Bücher

Thomas Mann prägte in den 1930er Jahren den Begriff «Romanindustrie», womit er sich keine Freunde machte und seinen Bruder Heinrich auf lange Zeit verärgerte. Was würde er heute sagen, wenn er die Bücher von Stephen King, Isabelle Allende, John Grisham und Konsorten sähe? Hat denn eigentlich niemand Mitleid mit diesen heroischen Autoren, die sich im Dienst ihrer Leser (und ihres Bankkontos) die Finger wund schreiben? KI müsste sich ihrer erbarmen. Es wäre nicht zum Schaden des Kontostands. Und endlich hätten sie Zeit, das angehäufte Geld mit beiden Händen wieder hinauszuwerfen.

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