Innerhalb eines Monats verzeichnen die Ukrainer drei erfolgreiche Attacken. Moskau tut sich schwer mit der Abwehr. Für die Ukrainer ist die Schwächung der feindlichen Luftwaffe überlebensnotwendig.
Gleich zwei Mal haben diese Woche heftige Explosionen den russischen Militärflughafen von Belbek erschüttert. Der kremlnahe Telegram-Kanal Rybar beschreibt dabei eine mehrstufige Attacke am späten Mittwochabend: Zunächst hätten die Ukrainer Marinedrohnen und unbemannte Flugobjekte in Richtung Sewastopol losgeschickt, um die Verteidiger abzulenken und aufzuklären. Danach hätten sie amerikanische Atacms-Raketen abgefeuert.
Die russischen Analysten folgten zwar der offiziellen Linie des Verteidigungsministeriums, wonach alle Raketen abgeschossen wurden und nur Trümmer den Flugplatz trafen. Allerdings dokumentieren Bilder schwere Schäden an mehreren Komponenten eines modernen S-400-Flugabwehrsystems. Dieses stellt ein wertvolles Ziel dar, da Russlands Bestände knapp sind. Bereits vor einem Monat hatten die Ukrainer ein solches System auf einem anderen Militärflughafen der Halbinsel zerstört.
Gefährliche Atacms-Raketen mit Streumunition
Aus Kiew kam bisher keine Bestätigung. Laut Meldungen sowohl russischer als auch ukrainischer Blogger könnte der Schaden des jüngsten Angriffs noch deutlich grösser sein. So sind auf Satellitenaufnahmen der Nasa grosse Feuer in jenem Teil der Basis zu sehen, wo die Russen zumindest Anfang Mai noch Kampfflugzeuge der Typen MiG-31 und Su-27 abgestellt hatten.
Belbek Airfield, Russian-occupied Crimea, Russian firefighters douse the charred wreck of a 92N6E “Grave Stone” missile control radar, hit by a Ukrainian ATACMS. pic.twitter.com/imYjrVmXBl
— OSINTtechnical (@Osinttechnical) May 15, 2024
Die etwas undurchsichtigen, sich als geheimdienstnah darstellenden russischen Telegram-Kanäle Dosje Schpiona und Kremljowskaja Tabakerka schreiben von beschädigten und zerstörten Jets sowie von mehreren Gefallenen. Der kremlkritische Kanal Astra meldet darüber hinaus die Vernichtung eines Treibstoffdepots, während die proukrainische Widerstandsorganisation Atesch behauptet, es sei auch ein bedeutendes Lager für Raketen getroffen worden.
Solche Details sind im ukrainisch-russischen Informationskrieg nur äusserst schwierig zu überprüfen. Und doch ist bemerkenswert, dass verschiedene Putin-treue Blogger zwischen den Zeilen grosse Frustration äussern: So beklagt der Telegram-Kanal Dwa Majora das Fehlen von Hangars zum Schutz der Kampfjets. Da die Atacms mit fast tausend Stück Streumunition ausgerüstet sind, ist die Wucht ihrer Explosion nicht so konzentriert wie die anderer Raketen. Dafür können sie schlecht gepanzerte Ziele wie Kampfjets auf einer grossen Fläche treffen. Sie sind besonders nützlich, weil Russland seine Maschinen als Reaktion auf frühere Angriffe heute weiter voneinander entfernt abstellt.
Selbst wenn die Kampfjets der Zerstörung entgingen, muss der erfolgreiche ukrainische Angriff den Russen Sorgen machen. Der Flugplatz Belbek liegt weit über 200 Kilometer von der Front entfernt, weshalb ihn die Ukrainer bisher nur mit einem Marschflugkörper des Typs Storm Shadow treffen konnten. Mit den Atacms verfügen sie nun über eine Waffe mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Vorausgesetzt, die Amerikaner liefern weiterhin ballistische Raketen in ausreichender Zahl, können die Ukrainer nun regelmässiger strategisch bedeutsame Ziele im Hinterland beschiessen.
Schwächung von Russlands Luftwaffe für Kiew zentral
Für Kiew stellt die Schwächung der feindlichen Luftwaffe, die an der Front in den letzten Monaten so frei agierte wie nie zuvor seit Februar 2022, eine absolute Notwendigkeit dar. Ein russischer Militärinstruktor und Blogger äusserte deshalb die Befürchtung, zunehmende ukrainische Attacken gegen Flugplätze im Hinterland könnten Moskaus Optionen an der Front einschränken.
Er spricht dabei auch den Einsatz jener tonnenschweren Gleitbomben an, die in den letzten Monaten viele ukrainische Verteidigungsstellungen buchstäblich pulverisierten. Kampfjets feuern sie aus grosser Distanz und grosser Höhe ab. Die mutmasslich in Belbek stationierten MiG-31 dienen zudem als Träger jener Marschflugkörper, mit denen Moskau regelmässig die Städte und die Energieinfrastruktur der Ukraine angreift.
Der Angriff hat deshalb für Kiew auch psychologische Wirkung während einer Kriegsphase, in der seine Truppen an vielen Frontabschnitten unter starkem Druck stehen. Schliesslich stellen die Stützpunkte und Luftwaffenbasen auf der Krim aber auch ein zentrales Element der russischen Kriegsführung in der Südukraine dar. Die Zerstörung von Flugzeugen, Radars und Flugabwehrsystemen erschwert Moskau nicht nur den Kampf im Feld, sondern auch den Schutz seiner Truppen und ihres Materials auf der besetzten Halbinsel.