Die Medien geben sich Mühe, Nemo richtig zu gendern. Das Ansinnen mag gut sein, aber die Sprache gewinnt nicht dabei.

Seit Nemo den Eurovision Song Contest gewonnen hat, bemüht sich die Öffentlichkeit um die richtige Ansprache – des nonbinären «Gesangstalents», des «Musikstars», des «Stimmwunders aus Biel», der «Schweizer Hoffnung», der «musizierenden Person». Letzteres steht auf Wikipedia hinter dem Namen Nemo.

Die Medien gendern gewissenhaft in ihren Berichten über Nemo. Dabei gilt es vor allem, die Pronomen «er», «ihn» und «ihm» zu vermeiden. Auch für «Sänger», «Bieler» und «Gewinner» muss man genderneutrale Synonyme finden. Als Journalistin und Journalist ist man gefordert, aber vielleicht macht die Suche nach den passenden Worten kreativ. Vor allem hat man das gute Gefühl, denjenigen zufriedenzustellen, über den man schreibt. Und man geht mit der Zeit.

Eigentlich kostet es nicht viel, Nemo so anzusprechen, wie Nemo angesprochen werden will. Aber allein dieser Satz zeigt, was das Problem dabei ist oder woran man zumindest Anstoss nehmen kann, wenn einem etwas an einer gut klingenden Sprache liegt: Der Satz klingt so, als sei er aus dem Mund eines Zweijährigen gesprochen.

Für Kleinkinder sind Pronomen verwirrend. Sie sagen nicht «ich», sondern sprechen in der dritten Person von sich, indem sie ihren eigenen Namen benutzen. Lia sagt: «Lia will keinen Spinat essen.» Daran ist man erinnert, wenn es auf SRF heisst: «Nemo hat öffentlich gemacht, dass Nemo nonbinär ist.» Der «Blick» zitiert Nemo, der über sich sagt, im Grunde wolle Nemo «einfach Musik» machen. Beim Nachrichtenportal Watson klingt es so: «Nemo hat sich nach dem Sieg beim ESC glücklich gezeigt – jedoch auch nachdenklich. Nemo habe nicht nur Schönes in Malmö erlebt.»

Kim de l’Horizon beklagt «misgendern»

Für seinen Namen kann Nemo nichts, die Eltern wählten ihn, damit aus dem Kind alles werden kann. Weil er das lateinische Wort für «niemand» ist, verstärkt der Name das Kindliche beim Sprechen über Nemo. Vor allem, wenn der Name in jedem Satz wiederholt wird. Die Intelligenz der Leserin, des Lesers wird gezähmt. So funktioniert sonst einfache Sprache, die leichte Verständlichkeit zum Ziel hat für Leute mit einer Leseschwäche.

Trotz ästhetischen Einwänden und obwohl die genderneutrale Sprache oft wenig praktikabel ist, hat Nemo in den letzten Wochen viel Anerkennung erfahren. Nun hat sich auch Kim de l’Horizon, die nonbinäre Schriftstellerperson, im «Tages-Anzeiger» gemeldet, um «Darling Nemo», so die Anrede, zu gratulieren. Und der Beobachtung, dass Nemo nonbinären Anliegen Gehör verschafft, zu widersprechen.

in der jüngsten Kolumne beschwert sich Kim de l’Horizon über das «Misgendern», das weit verbreitet bleibe. Es klingt wie das Gegenteil, wenn de l’Horizon schreibt: «Ich für meinen Teil schreibe keine ‹korrekte› Sprache vor. Ich sage einfach: Hey, wenn du mir ‹er› sagst, tut mir das weh. Wie wenn ich in einen Sarg gepresst werde, der zu klein ist . . . Ich fände es schön, wenn du mir ‹they/them› sagst. Ich fände es schön, wenn du an deiner gewaltvollen Sprechgewohnheit arbeiten magst.»

Wer will schon gewalttätig sein? Gefühle werden zum druckvollen Argument, weshalb etwas zu unterlassen sei. Dies bewirkt gerade das, was Kim de l’Horizon angeblich nicht beabsichtigt: Man kommt sich bevormundet vor.

Identifikation mit Staatenlosen

Kim de l’Horizon mag sich auch nicht über die Anpassungsleistung freuen, die viele nach Nemos Sieg erbracht haben. Die Schweiz schmücke sich mit ihren nonbinären Stars, verbiete diesen aber, ihre Identität auszuweisen, so der Vorwurf. «Denn strenggenommen haben weder du, Nemo, noch ich noch all ihr nonbinären Menschen in der Schweiz einen Schweizer Pass», schreibt de l’Horizon. «Ich erachte mich als staatenlos, solange die Schweiz keinen dritten Geschlechtseintrag hat.»

Nemo und Kim de l’Horizon, die gefeierten Stars, sind demnach schlimmer dran als Sans-Papiers. Staatenlos und eingesargt.

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