Mittwoch, Oktober 9
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


Mehr Verhaltensregeln

Mit der ganzen Familie zu Tisch? Je gehobener, teurer oder auch nur ausgefeilter das Mahl, desto schwieriger wird die Balance zwischen ausgabewilligen Gourmets und spielfreudigem Nachwuchs.

Manche Eltern machen sich gar keine Gedanken über die Frage, ob sie ihren Nachwuchs mitnehmen dürfen ins Restaurant: Für sie gelten Kinder als Erwachsene, jedenfalls bei Tisch. Andere verzichten ganz auf die kindliche Begleitung, wenn es ans auswärtige Gourmeterlebnis geht, und beauftragen Baby- oder besser Kindersitter. Jeder, wie er mag – oder besser: jeder, wie es vorgeschrieben wird.

Die Anzahl jener Restaurants, die ihren Gästen Vorschriften machen, wenn es um die deutlich minderjährigen Kunden geht, nimmt nämlich zu. Vor allem im Fine-Dining-Bereich geben sich die Wirte nicht mehr damit zufrieden, den Kleinen eine Kinderkarte zu reichen oder Buntstifte hinzulegen. Verschärfte Regeln dürften im Zusammenhang stehen mit der nach Meinung mancher Soziologen zunehmenden Nonchalance, aber auch mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten.

Essen, was auf den Tisch kommt, ist das Motto der Stunde

In grossen Restaurants mit umfangreichem Angebot à la carte mag sich die Frage nach dem Kinderangebot weniger stellen, in kleinen Lokalen mit lediglich einem Menu kann sie dagegen existenziell sein. Vier- oder Achtjährige, die lediglich Schnitzel mit Pommes frites oder Ghackets mit Hörnli essen wollen (oder auf Wunsch ihrer Erziehungsberechtigten sollen), stellen ein Problem dar, weil sie an besucherstarken Tagen einen Platz belegen, aber viel weniger Umsatz generieren als andere Gäste.

Jedes Restaurant kennt das Problem, aber viele Gastronomen scheuen sich, es anzusprechen. Nur die wenigsten Wirte fragen bei der Reservierung auch ab, welches Alter die Gäste haben, und weisen dezidiert darauf hin, dass es keine Kinderkarte gebe und auch Menschen mit nicht so grossem Appetit das zu essen hätten, was auf den Tisch komme. Oder es zumindest bezahlen müssten. Allzu schnell erntet man ja einen Shitstorm auf Social Media.

Kommunikation ist wichtig, aber viele scheuen sie

In einer E-Mail, die das Hamburger Zwei-Sterne-Restaurant «100/200 Kitchen» soeben an seine Kunden verschickte, ging man das Thema unüblich deutlich an. Den Eindruck von Kinderfeindlichkeit, den schon so manches Restaurant ungewollt vermittelte, versucht man hier bestmöglich zu zerstreuen. Nachwuchs ist, das wird deutlich, prinzipiell sehr willkommen, allerdings sieht man von einer Kinderkarte ab.

Man finde, schreiben die Inhaber, dass es sinnbefreit sei, Kinder mitzunehmen und dann Chicken-Nuggets und Pommes zu bestellen, während neben dem Tisch das halbe Kinderzimmer aufgebaut werde. Also gibt es für alle Gäste das normale Menu, was aber, so das Restaurant, nicht ausschliesse, dass auch einmal Sonderkreationen über die Küchentheke gingen.

Deutlicher noch wird das Luzerner «CAAA». In den Erläuterungen zur Reservierung steht klipp und klar, dass weder spezielle Kindermenus noch andere preis- oder mengenreduzierte oder geteilte Speisenfolgen verfügbar seien. Kurzum: Mindestens drei Gänge zu 145 Franken gibt es für alle. Eigentlich logisch, denn wie sollen Kinder ihren Geschmack entwickeln, wenn sie immer nur Pasta mit Tomatensauce zu essen bekommen?

Ruhe bitte – oder: nur nicht quietschen und blinken

Angesprochen werden auch immer häufiger die Verhaltensregeln. Mag sein, dass heute weniger Eltern als früher wissen, wie weit man gehen kann, mag sein, dass Achtsamkeit in der Gesellschaft der zwanziger Jahre generell nicht hoch im Kurs steht. Jedenfalls macht das «CAAA» klar, dass keine Kinderwagen erlaubt sind und grösstmögliche Rücksichtnahme gegenüber den Bedürfnissen der anderen Gäste und deren Ruhe einzuhalten sei. Ob das Grabesstille bedeutet oder ob der Gourmetnachwuchs auch einmal jauchzen darf, wird indes nicht deutlich.

Mehr Licht bringt das «100/200 Kitchen» ins Dunkel. Das Lieblingsspielzeug dürfe natürlich mitgenommen werden, doch Dinge, die quietschen oder blinken, bittet man zu Hause zu lassen. Schlechte Nachrichten für jene Eltern, die ihren Kindern zwecks Ruhigstellung einfach ein Tablet in die Hand drücken, denn das ist wohl mit dem Blinken mitgemeint. Zum Ausgleich hält das Hamburger Lokal Extrasüssigkeiten und eine Spielesammlung bereit, sogar eine Couch fürs Nickerchen zwischendurch und ein Platz am Pass stehen zur Verfügung. Auf dass der oder die Kleine auf den Geschmack kommt und vielleicht sogar demnächst die Eltern bittet, einen Tisch in diesem ach so coolen Lokal zu reservieren.

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