Freitag, Dezember 27

Die Psyche der Kinder und Jugendlichen hat sich noch immer nicht von der Pandemie erholt. Wissenschafter richten einen eindringlichen Appell an die Gesellschaft.

Wieder steht die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Fokus der Aufmerksamkeit. Während der Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 war deren Verfassung auf einem Allzeittief. Danach ging es aufwärts. Und nun hat sich die Verfassung der Kinder auf tiefem Niveau eingependelt: In Deutschland geht es ihnen im Durchschnitt immer noch schlechter als vor der Pandemie.

Das sagen Sozialwissenschafter der Universität Hamburg. Sie haben Befragungen von Kindern zwischen 2014 und 2024 ausgewertet, etwas mehr als 1000 Kinder und deren Familien nahmen teil. Die Analyse der Daten ist noch nicht durch den wissenschaftlichen Review-Prozess gegangen.

Doch schon heute möchten die Autoren die Gesellschaft und die Behörden dazu aufrufen, möglichst schnell Massnahmen zu ergreifen. «Auf die Bevölkerung in Deutschland hochgerechnet sind es insgesamt 40 000 Kinder, denen es psychisch schlechtgeht», sagt Ulrike Ravens-Sieberer, die Leiterin der Studien am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Befragungen bilden die Lebensqualität der Kinder ab

Etwa jedem fünften befragten Kind geht es psychisch schlecht. Das ist zwar eine deutliche Verbesserung gegenüber den Pandemiejahren, damals ging es 48 Prozent der Kinder nicht gut. Doch vor der Pandemie ging es etwa jedem sechsten Kind schlecht.

Die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren wird von Soziologen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf schon seit 2003 regelmässig im Rahmen einer Stichprobe von 1000 Kindern und Jugendlichen erfragt. Werden die Kinder von Ängsten geplagt, oder gibt es Anzeichen für depressive Verhaltensweisen? Während und nach der Pandemie wurden die Kinder und Jugendlichen zusätzlich zu ihren akuten Sorgen und Ängsten befragt.

Ob die Kinder wegen einer Angststörung oder Depression therapiert werden müssten, weiss man allerdings nicht. Die Kinder füllen dazu lediglich Fragebögen aus. Es sind Standardverfahren, die nicht die Häufigkeit von psychiatrischen Diagnosen abbilden.

Tatsächlich stimmten solche Befragungen nicht immer mit Daten überein, die etwa einer Krankenkasse vorlägen, sagt etwa Marcel Romans, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Ob eine schlechte psychische Verfassung später auch in eine psychische Erkrankung münden kann, ist abhängig von vielen Faktoren. Etwa, ob ein Kind in Zukunft erfährt, dass es sein Leben zum Guten beeinflussen kann oder nicht. Trotzdem geben Befragungen einen Hinweise darauf, wie stark belastet die Kinder sind.

Befragung der psychischen Verfassung über zehn Jahre hinweg

Als repräsentativ kann die Studie indes nicht gelten. Die Antworten der Kinder und Jugendlichen sind lediglich gemäss soziodemografischen Kriterien, dem deutschen Mikrozensus, gewichtet.

Besser wäre es, wenn in grösseren Studien tatsächlich eine repräsentative Stichprobe erfasst werden könnte. Bisher ist es aber keinem Forschungsinstitut und keiner Behörde in Deutschland gelungen, solches aufzugleisen.

Silvia Schneider vom Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit ist darüber entrüstet. «Es ist unfassbar, dass wir, was die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen angeht, völlig im Blindflug sind», sagt sie.

Diese behelfsmässigen Daten decken sich indes grosso modo mit Befragungen aus anderen Ländern. So zeigt etwa ein Report des Fachjournals «The Lancet», dass es seit Beginn des Jahrhunderts prozentual immer mehr Jugendlichen psychisch schlechtgeht.

Der Trend begann also nicht erst mit der Pandemie. In den USA nahmen Depressionen bei den Jugendlichen seit 2004 kontinuierlich zu. Und Befragungen etwa aus dem National Health Survey in Dänemark zeigen denselben Trend. Die Pandemie hatte den Trend lediglich kurzfristig akzentuiert.

Dem Teufelskreis entfliehen

Zwei Faktoren bestimmen, ob es einem Kind psychisch schlechtgeht: der Stress, den es in seiner Umgebung erlebt, und wie es mit diesem Stress umgehen kann. Aus der Sicht der Autoren hat sich vor allem die Umwelt der Kinder verändert.

Die Kinder sehen sich vermehrt mit globalen Krisen wie Krieg und Terrorismus konfrontiert. Und anders als bei früheren Generationen gelangen diese Krisen über die sozialen Netzwerke ungefiltert auf die Tablets der Kinder.

Es entwickelt sich ein Teufelskreis. Psychisch angeschlagene Kinder berichten, dass sie die Informationen aus den sozialen Netzwerken belasteten. Das wiederum lässt sie düster auf ihre eigene Zukunft blicken, und das schlägt wieder auf das psychische Befinden.

Besonders gefährdet sind Kinder aus sozioökonomisch schwächer gestellten Familien. In der vorliegenden Studie waren es Kinder aus bildungsfernen Familien, deren Eltern psychische Beschwerden oder einen Migrationshintergrund hatten, die stärker belastet waren. Auch häufig bei den belasteten Jugendlichen waren beengte Wohnverhältnisse.

«Wir sollten bei den Kindern ansetzen, die gefährdet sind», sagt Ullrich Bauer, der Leiter des Zentrums für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter an der Universität Bielefeld. Schulen und Eltern müssten über psychische Gesundheit aufgeklärt werden. Wie wirksam solche Interventionen indes sind, weiss niemand. Dies zu untersuchen, wäre wohl der nächste Schritt, wenn wir die Generation der heutigen Kinder und Jugendlichen besser unterstützten wollen.

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