Sonntag, Januar 5

Die Geschichte beginnt mit einem Entführungsfall. Im neuen Fall müssen Kommissarin Lena Odenthal und ihre Kollegin Johanna Stern ganz tief hinunter in die Welt der schwarzen Pädagogik.

Wer hat Angst vorm Stelzenmann? Die Kinder, die nicht brav sind. Denn er werde kommen und sie holen. Im neuen Ludwigshafen-«Tatort» müssen Kommissarin Lena Odenthal und ihre Kollegin Johanna Stern ganz tief hinunter in die Welt der schwarzen Pädagogik. In eine Welt des Strafens. Aber wer bestraft hier eigentlich wen?

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Die Geschichte beginnt mit einem Entführungsfall. Der siebenjährige Paul wird auf seinem Schulweg in einen Mercedes gezerrt. Der Fahrer des Wagens macht sich auch noch die Mühe, eine Zeugin aus dem Weg zu räumen. Er fährt die alte Dame an. Sie stirbt ein paar Tage später im Krankenhaus. Das Lösegeld, das er fordert, scheint den Täter nicht wirklich zu interessieren. Er holt es nicht ab.

Pubertär und glaubhaft verunsichert

An dieser Stelle beginnt eine Frage über diesem Fall ihr Haupt zu erheben: Warum? Oder wie Hauptkommissarin Stern (Lisa Bitter) auf Neudeutsch sagt: «Wo ist der Link?» Immer verwickelter wird dann die «Tatort»-Folge «Der Stelzenmann», bei der es für die Ermittler darum geht, keinen möglichen Link links liegenzulassen. Und davon gibt es wahrlich genug. Da ist der achtzehnjährige Swen (Samuel Benito), dem vor zehn Jahren exakt das Gleiche widerfahren ist wie dem kleinen Paul.

Auch damals sah die Entführung wie ein Erpressungsversuch aus. Nach drei Monaten war Swen wieder frei, aber er hat sich bis heute nicht vom damaligen Schrecken erholt. Beim Abtanzen im Klub, beim Absacker mit der Freundin hat er Flashbacks. Im Bus und auf der Strasse fühlt er sich verfolgt. Vom ominösen Stelzenmann? Das versucht Kommissarin Stern mit investigativer Einfühlung herauszufinden, während Ulrike Folkerts als Lena Odenthal ihren dramatisch ernsten Blick und zupackendes Engagement zur weiteren Aufklärung beisteuert. Der junge Mann ist verstört und will nicht kooperieren. Im Umzugskarton in seiner Studentenwohnung hat er noch ein Stück Baumrinde, das mit seinem Entführungsfall zu tun haben dürfte.

Samuel Benito spielt den jungen Swen idealtypisch pubertär, aber auch glaubhaft verunsichert. In der Welt des Erwachsenseins ist er noch nicht angekommen, weil die klirrend kalte Kindheit noch in ihm steckt, der Mythos vom strafenden Mann mit den langen Beinen und dem Tiergesicht.

Blick der Kinder

«Der Stelzenmann» ist ein Empathie-«Tatort». Das Kindheitstrauma, das Swen nicht losgelassen hat und das der kleine Paul gerade erlebt, wird zur Folie, um Gut und Böse voneinander zu trennen. Als emotionalen Sidekick haben sich Drehbuchautor Harald Göckeritz und Regisseur Miguel Alexandre eine leise Arbeitsplatzromanze zwischen den Kommissariats-Azubis Mara (Davina Chanel Fox) und Nico (Johannes Scheidweiler) ausgedacht. Unter dem nachsichtigen Blick Lena Odenthals dürfen sie durch einen Fall stolpern, der halb böses Märchen à la Brüder Grimm ist, halb hyperrealistisch. Eine böse Grossmutter kommt ins Spiel, die von einer noblen Seniorenresidenz aus ihr Gift gegen verweichlichte Pädagogik verspritzt. Ein Kioskbesitzer, der kleine Kinder mit Bonbons versorgt, ist genauso undurchschaubar wie der Zeuge, der beim Fall vor zehn Jahren die Entführung Swens beobachtet haben will.

Auch die Tatsache, dass es in Spanien vor ein paar Jahren ähnliche Fälle gegeben hat, trägt zur Komplexität einer Geschichte bei, die mit Konzentration aufs Handwerk verfilmt wurde. Kindheit ist die Vergangenheit, die nie zu Ende ist. Das zeigt der Ludwigshafen-«Tatort» in jeder Minute. In technisch verfremdeten Szenen sieht man mit dem Blick der Kinder, wie der Stelzenmann durch den finsteren Wald läuft. Am Ende ist er es selbst, der geholt wird. In Zivilkleidung, aber doch spektakulär. Ein Kommissariat ist eben kein Märcheninstitut.

«Tatort» Ludwigshafen: «Der Stelzenmann», am Mittwoch, 1. Januar, 20.10/20.15 Uhr, SRF /ARD.

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