Montag, September 30

Über eine Gemeinde, die mit ihrer Identität hadert und einen Bürgermeister, der plötzlich als Trump von Finnmark gilt.

Magnus Maeland will ein Zeichen setzen. Oder eher: Er will gewisse Zeichen entfernen. Der Bürgermeister von Sör-Varanger hat genug von den russischsprachigen Schildern, die das Ortsbild der nordnorwegischen Gemeinde prägen. «Wir können neue aufstellen, vielleicht auf Finnisch», sagt er Mitte September gegenüber der norwegischen Zeitung «Klassekampen». So selbstsicher wie Maeland vor den Medien auftrat, schien die Sache bereits beschlossen.

Die Gemeinde Sör-Varanger, zu der die Stadt Kirkenes gehört, grenzt im Norden an die Barentssee, im Westen an Finnland und im Osten an Russland. Seit dem Ende des Kalten Krieges versteht sich die Kommune als eine «Grenzen sprengende Gemeinde» oder wie es der ehemalige Bürgermeister Rune Rafaelsen formulierte: «eine russische Stadt in Norwegen». Als Dank verlieh ihm Präsident Putin einst den Orden für Freundschaft – ein Geschenk, das Rafaelsen erst nach Russlands Überfall auf die Ukraine retournierte.

Rafaelsens Nachfolger Maeland sieht die Sache entschieden anders. Er möchte sich mit allen Mitteln von Putins Regime distanzieren. Wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht, ist Magnus Maeland ganz vorne dabei – buchstäblich. Am ukrainischen Unabhängigkeitstag im August führte er eine Protestaktion vor dem russischen Konsulat in Kirkenes an. Und wenn es nach ihm geht, dürften in der Region bald auch Nato-Übungen stattfinden.

Gemeinsame Geschichte mit Russland

Als die russischen Schilder vor 20 Jahren in Kirkenes aufgehängt wurden, sorgten sie kaum für Diskussionen. Es war ein symbolischer Akt, angeregt von Wirtschaftsvertretern der Region, die sich über das florierende Geschäft über die russisch-norwegische Grenze hinweg freuten. Doch mit dem russischen Angriff auf die Ukraine bekam «Grenzen sprengen» plötzlich eine andere Bedeutung, die Symbolik einen fragwürdigen Anstrich.

Seither hadert Kirkenes mit seiner Identität. Schon zwei Monate nach dem Einmarsch der Russen sammelte ein engagierter Bürger in der Gemeinde Unterschriften, um die Schilder aus dem Stadtbild zu entfernen. Gegen das Vorhaben regte sich jedoch politischer Widerstand, das benötigte Mehr kam nicht zustande.

Die zwiespältige Haltung lässt sich ein Stück weit damit erklären, dass in Sör-Varanger viele Russen leben. Auch die gemeinsame Geschichte von Norwegen und Russland spielt eine Rolle. Diese reicht bis in den Zweiten Weltkrieg zurück. In diesem Oktober jährt sich der Einmarsch der Roten Armee in die Ost-Finnmark zum 80. Mal. Es waren die Sowjettruppen, die die Deutschen aus dem Nordosten Norwegens vertrieben und danach wieder abzogen.

Die Befreiung wird seit Jahren von Norwegen und Russland gemeinsam gefeiert, Gedenkstätten erinnern an die gemeinsame Geschichte. Einige wurden zusammen mit Russland errichtet, bei anderen ist die Urheberschaft unklar. Seit dem russischen Überfall sind sie allesamt zu einem Politikum geworden.

Gegen russische Propaganda

Während in Kirkenes über russische Schilder diskutiert wird, streitet die Nachbargemeinde Vardö gerade um Denkmäler. Der Bürgermeister Tor-Erik Labaha will sie verschwinden lassen, denn er ist überzeugt, dass die Russen sie nutzen, um ihre Propaganda-Erzählung darüber zu verbreiten, dass sie noch heute gegen den Faschismus in Europa kämpften. Diese Ansicht teilen auch Historiker der Universität Tromsö, die die «Erinnerungspolitik des Nordens» untersucht haben. Sie haben dafür Belege.

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow besuchte Kirkenes 2014, kurz nachdem Russland die Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte. Norwegen und Russland feierten den 70. Jahrestag des Sieges über Deutschland. Lawrow sprach in seiner Rede von neonazistischen Tendenzen in Europa, einschliesslich der Ukraine. Er sagte: «Wir merken, dass bei unseren norwegischen Freunden der Wille besteht, radikale, auch neonazistische Tendenzen in Europa zu verhindern.» Die Brisanz seiner Worte fiel damals niemandem auf – heute muss man sich fragen, wie das passieren konnte.

Labaha will den Russen die Bühne für ihre Propaganda nehmen. Unterstützt wird er von seinem Kollegen Magnus Maeland. Doch nicht alle sehen es gleich. Was für Labaha und Maeland rein russische Gedenkstätten sind, sehen andere auch als Denkmäler für norwegische Partisanen. Als die Deutschen Nordnorwegen besetzten, flüchteten Menschen aus Finnmark in die Sowjetunion und kehrten später zurück, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Viele ihrer Nachfahren leben heute noch in der Region. Sie befürchten, dass mit den Monumenten auch diese Erinnerung verschwinden würde.

Der Trump von Finnmark

Erinnerung ist persönlich, aber natürlich auch politisch. Und so hat die Angelegenheit mit den Strassenschildern kürzlich eine überraschende Wendung erfahren. Am vergangenen Freitag meldete die Zeitung «Klassekampen», dass Bürgermeister Maeland seine Meinung geändert habe. Wieso?

Der Grund für seinen Rückzieher ist ein Facebook-Post, den die Gewerkschaft LO veröffentlicht hat. Darin verglich sie Maelands Methoden mit jenen von Donald Trump. Der Bürgermeister versuche, in der Gesellschaft Zwietracht zu sähen. Die russischen Schilder erinnerten an eine Zeit, «in der Sör-Varanger ein Zentrum des Dialogs, der Zusammenarbeit und der Solidarität» war. Und: «Wir werden uns gegen die Entfernung jeglicher Schilder an unserem Haus wehren.»

Maeland sagt: «Der Druck war zu gross.» Und es gebe gute Argumente dafür, die Schilder hängen zu lassen. Welche das sind, geht aus dem Artikel nicht hervor. Den Slogan als «Grenzen sprengende Gemeinde» will Maeland weiterhin ändern, ebenso wie er nach wie vor vorhat, Nato-Übungen in die Region zu holen. Nur die Schilder, die können bleiben. Vorerst.

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