Das Duo wird zur Zirkusnummer und ärgert sich über «fundamentalistische Bubbles» in der Stadt Zürich.

Herr Giacobbo, Herr Müller, Sie treten nur ein paar Tage nach dem Sechseläuten am gleichen Ort mit dem Circus Knie auf. Wer liefert die bessere Show?

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Giacobbo: Sie wollen die tolle Pferdenummer von Ivan Knie ernsthaft mit übergewichtigen älteren Zünftern vergleichen, die auf einem armen, geschundenen Ross um den Böögg reiten müssen?

Müller: Der Zirkus hat auch die schöneren Kostüme als die Zünfter, die sehen nicht aus wie von der Nähschule.

Giacobbo: Ich gehe nicht ans Sechseläuten. Ich bin schon gefragt worden, aber es ist mir zu wenig spannend, durch die Strassen zu gehen und Blumen entgegenzunehmen.

Gibt es auch Anfragen für andere Auftritte, die Sie ablehnen?

Giacobbo: Ja, es gibt Anlässe, an denen mir das Niveau zu tief ist. Aber ich will niemanden vor den Kopf stossen, deshalb sage ich jeweils, dass das andere besser können als ich.

Müller: Wir spielen auch nicht an Parteiveranstaltungen. Und halten keine 1.-August-Reden.

Giacobbo: Stimmt, wir sind beide schon von jeder Gemeinde in der Deutschschweiz angefragt worden. Die Leute, die an eine solche Feier gehen, wollen aber keinen Satiriker sehen, der Witze macht über die Schweiz.

Müller: Genau. Ich habe es ein einziges Mal gemacht – Katastrophe! Das war einer dieser Gigs, bei denen man auf der Bühne stirbt.

Wie kommen Sie als politische Satiriker eigentlich dazu, zur Zirkusnummer zu werden?

Giacobbo: Ganz einfach – wir sind nicht nur politische Satiriker, wir haben auch Lust auf Unsinn und auf unsere Figuren. Im Zirkus können wir dies live kombinieren.

Müller: Wir hatten nie Angst vor dem Mainstream, aus unterschiedlichen Gründen – du, Viktor, aus kulturellen, ich aus ökonomischen.

Ein Zirkusprogramm ist darauf ausgelegt, dass es möglichst vielen Leuten gefällt. Was würden Sie den Leuten gerne zumuten, dürfen aber nicht?

Giacobbo: Wir haben uns schon damals beim SRF nicht dreinreden lassen und tun es auch jetzt bei der Familie Knie nicht. Sie lässt uns alle Freiheiten.

Müller: Da wäre Viktor schneller nach Hause gegangen, als das Zelt abgebaut ist. Und das Zelt ist schnell abgebaut. Im Zirkus kann man zwar nicht eine politische Nummer nach der anderen bringen. Aber zwischendurch ein Tritt ans Schienbein, das geht.

Sie, Herr Giacobbo, machen im Knie nur noch die Abendshows. Warum?

Giacobbo: Als ich 2006 das erste Mal auf Zirkustournee war, trat ich auch am Nachmittag auf, wenn viele Kinder im Zelt sind. Die sorgen für einen permanenten Lärmteppich, egal, was man macht. Da habe ich mir irgendwann gesagt: Klassische Clowns können das besser.

Sie treten ausserdem nur in Zürich, Bern und Luzern auf. Haben Sie keine Lust auf Provinz?

Giacobbo: Die ganze Tour zu absolvieren, wäre mir zu lange. Ausserdem bin ich noch an anderen Theaterprojekten beteiligt. Und ich will einen Monat reisen gehen. Ich bin älter als Mike, darum nehme ich mir diese Freiheit heraus.

Müller: Dafür, was sich Viktor alles geleistet hat in seinem Leben, ist er in einem verdammt guten Zustand.

Sie, Herr Müller, treten zusammen mit Ihrem Hund auf. Ist es Ihnen unwohl allein in der Manege?

Müller: Nein, ich bin ja in den letzten Jahren oft allein aufgetreten. Ich habe immer gesagt: Wenn ich nochmals in den Circus Knie komme, dann zusammen mit einem Hund. Eigentlich habe ich von einer Nummer mit einem Border Collie und fünfzig Hühnern geträumt. Aber das hätte nur Probleme mit Tierschützern gegeben und mich wohl auch überfordert. Jetzt ist Pesche bei mir, ein Parson Russell Terrier – der macht seine Sache sehr gut.

Die Tournee geht durch die ganze Schweiz. Funktionieren in Solothurn die gleichen Witze wie in Zürich?

Müller: Den Stadt-Land-Graben halte ich für eine ideologische Konstruktion. Es gibt einen Unterschied zwischen Zentren und der Agglomeration. Das Land, wie wir es uns im klassischen Sinn vorstellen, gibt es heute nicht mehr. Abgesehen davon spielen wir in Zürich nicht ausschliesslich vor Stadtzürchern. Die Leute kommen von überall her.

Giacobbo: Da spielen wir jeden Abend vor 2300 Personen.

Müller: Ja, zahlenmässig schlägt der Zirkus Knie das Opernhaus und das Schauspielhaus zusammen.

Giacobbo: Und der Zirkus kommt erst noch ohne Subventionen aus. So wie das Casinotheater Winterthur übrigens auch. Auch darum sind wir und die Familie Knie so gut miteinander verbunden.

Ihre Figuren, die Sie im Zirkus spielen, sind zum Teil ziemlich angejahrt. Werden Sie jetzt so etwas wie das Cabaret Rotstift der nächsten Generation? Die Kabarett-Klassiker der Eltern, über die die Jungen die Augen verdrehen?

Giacobbo: Unsere Vorstellungen sind mehrheitlich ausverkauft und das Publikum sehr gemischt, natürlich hat es etwas mehr ältere Zuschauer. Als News-Junkies sind wir inhaltlich immer aktuell. Wir nehmen unsere alten Figuren und konfrontieren sie mit der heutigen Zeit.

Müller: Wir machen immer wieder neues Zeugs. Es ist nicht alles gut, aber manchmal haben wir das Ziel getroffen.

Giacobbo: Wir wissen selbst nicht mehr, was wir schon alles gemacht haben.

Müller: Das Cabaret Rotstift hatte diese klassische Nummer mit dem Deutschen am Skilift. Ich fand die schon lustige Typen, und sie waren uns Jungen wohlgesinnt, aber diese Nummer hat sich, ehrlich gesagt, etwas zu lange gehalten. Sich über die Deutschen lustig machen, das ist vorbei. Heute haben wir andere Deutsche hier.

Es gibt auch bei Ihnen Figuren, die den Sprung in die Neuzeit weniger gut überstanden haben.

Giacobbo: Ich weiss, welchen Namen Sie jetzt hören wollen: Rajiv. Den und Ueli Maurer spiele ich nicht mehr. Diese Figuren sind schlicht verbraucht. Donatella Versace hingegen wäre bis heute aktuell.

Müller: Du müsstest dich aber zwei Stunden lang in die Maske setzen.

Woran merken Sie, dass ein Witz sein Ablaufdatum erreicht hat?

Müller: Witze sind nicht unser Ding. Aber wir haben Figuren erfunden, die zu einer bestimmten Zeit und einer Situation passten, über die wir einen Sketch machen wollten. Zum Beispiel den Mergim Muzaffer. Heute werfen mir die einen vor, dass ich mich nicht mehr trauen würde, solche Figuren zu spielen, und die anderen, dass ich ein Rassist sei. Wer von links oder von rechts den Begriff «woke» benutzt, ist nicht ganz gebacken.

Wie meinen Sie das?

Müller: Wer aufgeklärt ist und weiss, worum es geht, braucht diesen Begriff nicht. Aber egal. Was beide Seiten nicht begreifen: Irgendwann hat sich eine solche Figur einfach ausgespielt. Jetzt gibt es andere Leute, die interessant sind zum Nachmachen. Ich spiele zum Beispiel einen jungen Bosnier, der versucht, sich sehr gut auszudrücken – so wie der Bachelor.

Was hat Fredi Hinz aus den Neunzigern in der Gegenwart zu suchen?

Müller: Fredi ist erstaunlich lange geblieben. Den gibt es immer noch ganz knapp – es gibt immer noch Leute, die ein bisschen zu viele Drogen genommen haben.

Giacobbo: Und sie sind heute auch im gleichen Alter wie wir. Übrigens kommt diese Figur beim jungen Publikum an.

Gäben etablierte ältere Herren aus dem Kulturbetrieb Figuren für einen Sketch her?

Giacobbo: Warum fragen Sie das? Wir haben schon immer Jokes über uns selber gemacht.

Müller: Wir finden’s einfach nicht lustig.

Über wen darf man Witze machen – und über wen nicht?

Giacobbo: Über alle, solange es lustig ist. Ich selbst will nicht auf Leute zielen, die eh leichte Ziele sind. Aber diejenigen, die es verdient haben – doch, die sollen drankommen.

Müller: Man darf nach wie vor alles sagen bei uns, auch wenn Ueli Maurer das Gegenteil behauptet. Nur: Wenn man sich wie die Kabarettistin Monika Gruber lustig macht über den Namen einer südindischen Bloggerin, finde ich das halt nicht so witzig – ich finde es schlicht dumm. Aber jeder soll das lustig finden, was er will. Es gibt auch Männer in unserem Alter, die finden, sie hätten das Recht, sexistische Witze zu reissen . . . go ahead!

Giacobbo: Sie sollen das machen, aber sie müssen dann halt auch mit dem Publikum leben, das sie haben. Und mit dem Widerstand.

Müller: Ich war jetzt zehn Jahre auf Tour in diesem Land. Ich weiss nicht, ob viele Leute weiterhin uralte Blondinenwitze hören wollen.

Mit Schenkelklopfer-Humor werden doch Hallen gefüllt.

Müller: Ich hasse diesen Begriff.

Giacobbo: Es gibt guten Schenkelklopfer-Humor! Die, die sagen, sie hätten lieber den feinen Humor, stilisieren sich gerne selber. Wenn ich wählen müsste, gehe ich lieber in die Festhütte.

Peach Weber sagt, er erzähle extra auch schlechte Witze, damit die guten besser zündeten.

Müller: Das halte ich für kokett – aber Peach Weber ist ein cooler Typ.

Giacobbo: Ich finde ihn lustig. Und wenn er sein Ding durchzieht, ohne sich von den Humor-Moralisten beirren zu lassen, die es von links bis rechts gibt, hat er meinen Respekt.

Sie sagten, dass Ihr Witz auf Leute ziele, die es verdient hätten. Von Ueli Maurers Kindern heisst es aber, sie hätten wegen seiner Darstellung als Witzfigur gelitten.

Giacobbo: Seit 20 Jahren heisst es das, damit kommen aber nur Journalisten! Leute aus seiner Umgebung sagten mir, es sei schwierig gewesen, weil der Vater Parteichef war und ihnen irgendwelche Idioten Scheisse in den Briefkasten schmierten.

Müller: Auch Vreni Schneider kam mal mit den Kindern ihrer Schwester . . .

Giacobbo: . . . tut sie jetzt noch, weil ich mal ihr Lied «Kafi am Pischterand» parodiert habe!

Müller: Nett war es nicht. Aber ihr Produzent hat sich einmal bei uns bedankt für diese Nummer – ich sag ja nur.

Wo ist die Schmerzgrenze, wenn man sich über andere lustig macht?

Giacobbo: Man tut anderen manchmal weh in der Komik und in der Satire, das ist einfach so. Aber man muss sich immer fragen, ob man die Richtigen trifft. Wir haben hinterher auch schon gedacht: Das war jetzt nicht so gut.

Herr Müller, Sie verkleiden sich immer noch als Frau – das geht offenbar noch.

Müller: Wenn die links-grüne Fraktion in Zürich das sehen würde, käme ich vermutlich dran. Ich staune, dass das noch nie passiert ist. Obwohl ich auch ziemlich viele Männer spiele, die blöd sind. Aber wenn es nach dieser Humorpolizei ginge . . .

Giacobbo: . . . dann hätte man eh wenig zu lachen.

Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?

Giacobbo: Mir ist sie völlig egal, sie kommt von kleinen fundamentalistischen Bubbles. Mit diesen Leuten haben wir uns auch schon auseinandergesetzt. Sie standen mal vor dem Zirkus und protestierten gegen quälerische Tierdressuren. Da sagten wir: Ja, die gibt es – aber nicht in diesem Zirkus.

Müller: Ich ging auf die rot-grüne Fraktion zu und sagte, sie sollen in die Vorstellung kommen. Sie kamen nicht.

Giacobbo: Ein linker Gemeinderat kritisierte mal, dass ein Kamel im Zirkus draussen im kalten Regen stehen müsse – dabei war es ein Trampeltier, das aus Sibirien kommt und tiefe Temperaturen gewohnt ist. Aber Fakten spielen bei Empörten häufig keine Rolle.

Das klingt, als würden Sie sich in Zürich nicht besonders wohlfühlen. Ist Ihnen die Stadt fremd, wenn Sie hier auftreten?

Müller: Fremd ist sie mir nicht, ich habe selbst lange im Millers Theater in Zürich gespielt. Da gibt es recht viele Veranstaltungen mit einem Awareness-Manager. Das geht mir alles ein bisschen weit.

Was tut dieser Manager?

Müller: Der ist da, falls es jemandem nicht wohl ist. Tatsache ist: Es wird nie in Anspruch genommen. Ich kam dort auch nie an die Kasse wegen meiner Frauenfiguren.

Und Sie, Herr Giacobbo?

Giacobbo: Ich hatte Mühe damit, als sich einst die Feministinnen über meinen Harry Hasler aufregten, weil er frauenfeindlich sei. Ich fragte sie, worüber die Leute wohl lachen. Über die Frauen oder über diesen aufgeblasenen Dummkopf?

Der Unterschied ist: Wenn Sie den Leuten heute Ihren Humor erklären, sind Sie zwei alte weisse Männer.

Giacobbo: Ich spiele im Zirkus eine alte, weisse Frau . . .

Müller: Klar sind wir alte Männer, aber wir spielen noch – das unterscheidet uns von einem Thomas Gottschalk. Solche Typen jammern, weil sie keine Funktion mehr haben und sie sich in ihrem Wirkungsgrad eingeschränkt fühlen. Das finde ich ganz schwach. Vor allem, wenn man bei einem öffentlichrechtlichen Sender so viel verdient hat wie Gottschalk. Hätten wir solche Löhne gehabt, hätte uns die SVP längst gevierteilt.

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