Sonntag, April 27

Schwab versuchte mit allen Mitteln, eine Untersuchung der Whistleblower-Vorwürfe zu verhindern. Und: Ein ehemaliger US-Justizminister spielte eine wichtige Rolle. Eine Rekonstruktion.

Kommunikationsberater sagen, Klaus Schwab würde am besten schweigen. Je mehr er rede, desto mehr Schaden richte er an. Doch der 87-Jährige lässt sich den Mund nicht verbieten. Der WEF-Gründer kämpft bis zuletzt: um seinen Ruf, um sein Vermächtnis, um die Ehre seiner Familie.

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Es sind happige Vorwürfe, die das «Wall Street Journal» diese Woche gegen Schwab vorbrachte. Gestützt auf ein anonymes Schreiben berichtete die Zeitung, Schwab solle Mittel der Organisation für private Zwecke missbraucht haben. Genannt werden Luxusreisen, die private Nutzung einer WEF-Villa, Massagen auf WEF-Kosten und das Abheben von Bargeld durch Mitarbeitende. Auch das Länder-Ranking des WEF zur Wettbewerbsfähigkeit soll Schwab manipuliert haben, wie die «Financial Times» kurz darauf berichtete.

In einem an Medien verschickten Statement wehrt sich Schwab gegen die Vorwürfe – ausführlich und vehement. Eine Verteidigungsschrift auf sechs Seiten. Nur in einem Punkt hält sich Schwab auffällig knapp: dem Vorwurf, die WEF-Führung habe bei der Behandlung von Vorwürfen sexueller Belästigung versagt. «Dieser Punkt wurde bereits untersucht, mit dem Ergebnis, dass die Vorwürfe gegen mich unbegründet sind», so Schwab. Damit hat es sich.

Die pikante Rolle von seinem Sohn Olivier

Das ist eine arge Verkürzung der tatsächlichen Ereignisse. Dahinter steht ein Drama, das nicht nur den WEF-Gründer betrifft, sondern auch seine Familie. Es war mit ein Grund, wieso Schwab das Vertrauen seiner Getreuen in der Organisation verlor.

Nach Informationen der «NZZ am Sonntag» soll ein ranghoher WEF-Manager vor einigen Jahren eine Mitarbeiterin sexuell belästigt haben. Die Betroffene habe sehr früh Meldung bei ihrem Chef erstattet – doch dieser griff nicht ein. Ein Versäumnis mit schwerwiegenden Folgen: Der Mann blieb in seiner Position und soll in den darauffolgenden 18 Monaten mehr als ein Dutzend weitere Frauen belästigt haben.

Das Problem für Klaus Schwab: Der Chef, der nicht eingriff, war niemand anders als sein Sohn Olivier, der beim WEF seit 15 Jahren in verschiedenen leitenden Positionen tätig war. Anstatt eine formelle Untersuchung einzuleiten, habe Olivier Schwab lediglich eine mündliche Verwarnung gegen seinen Mitarbeiter ausgesprochen. Erst nach einer weiteren Meldung bei der internen Hotline – und erheblichem internem Druck – sei der Mann schliesslich entlassen worden.

Ein ehemaliges Mitglied der Geschäftsleitung, das der Familie Schwab grundsätzlich wohlwollend gegenübersteht, bestätigt das Zögern von Olivier Schwab. Der Ex-Kader, der nur unter Wahrung seiner Anonymität mit der «NZZ am Sonntag» reden wollte, hält es für einen schwerwiegenden Fehler, dass es Olivier Schwab versäumt habe, umgehend einzuschreiten.

Der Vorfall kam im Zuge einer Mitte letzten Jahres gestarteten Untersuchung ans Tageslicht. Der Leiter dieser Untersuchung war kein Geringerer als Eric Holder, von 2009 bis 2015 Justizminister unter Präsident Barack Obama. Er und seine Kanzlei Covington & Burling waren von einem Sonderausschuss des WEF-Stiftungsrats, dem obersten Aufsichtsgremium, mit einer Überprüfung von Vorwürfen von sexueller Belästigung, rassistischer Diskriminierung und Führungsfehlern beim WEF beauftragt worden. Insgesamt gingen sie 70 Vorwürfen nach.

Gemäss informierten Kreisen kam Holder zu dem Schluss, dass das Fehlverhalten von Olivier Schwab derart gravierend gewesen sei, dass eine Kündigung gerechtfertigt sei. Denn als Olivier Schwab von den externen Ermittlern zum geschilderten Fall befragt wurde, habe er – wider besseres Wissen – jegliche Vorkenntnisse bestritten. Dies sei von Holder als schwerwiegender Vertrauensbruch taxiert worden, der eine Kündigung rechtfertige.

Tatsächlich beendete das WEF in der Folge die Zusammenarbeit mit Olivier Schwab. Gegen Aussen wurde das Ganze aber als freiwilliger Abgang dargestellt – gemäss Insiderinformationen auf Intervention von Klaus Schwab. Auf der WEF-Website ist Schwab junior zwar noch immer als Mitglied der siebenköpfigen Geschäftsleitung aufgeführt. Die Medienstelle bestätigt aber, dass er die Organisation verlassen wird. Gemäss anderen Quellen ist er bereits weg.

Olivier Schwab reagierte nicht auf Anfragen um eine Stellungnahme zu den geschilderten Vorwürfen. E-Mails liess er unbeantwortet. Auch Klaus Schwab äusserte sich nicht zu den Vorwürfen gegen ihn und seinen Sohn. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Medienstelle des WEF bestätigt, dass Holder bei der externen Untersuchung federführend war. Zum Verhalten von Olivier Schwab will die Organisation nichts sagen. «Zu Personalfragen äussern wir uns nicht», teilt ein Sprecher mit.

Der Fall zeigt: Obwohl das WEF einen Jahresumsatz von 440 Millionen Franken hat, fast 1000 Mitarbeiter zählt und Büros in Genf, New York, Peking und Tokio unterhält, führte Klaus Schwab die Stiftung wie ein allmächtiger Patron.

Seine Ehefrau Hilde war seine erste Mitarbeiterin. Sie hatte sich 1970 auf ein Stelleninserat beworben, in dem Schwab eine Sekretärin zur Organisation des ersten European Management Forum – wie das WEF zuerst hiess – suchte. Sie wurden ein Paar und heirateten im Jahr darauf in Davos.

Während ihr Mann Staatsmänner und Wirtschaftsführer begrüsste, kümmerte sich Hilde Schwab ohne feste Anstellung um die kulturellen und sozialen Initiativen des WEF. Ihren grossen Auftritt in Davos hatte sie alljährlich bei der Vergabe der Crystal Awards, mit der sie herausragende Künstler ehrte.

Auch die beiden Kinder machten Karriere beim WEF. Die Tochter Nicole, zwei Jahre jünger als Olivier, baute das Forum der Young Global Leaders auf und gehörte jahrelang dem Executive Committee des WEF an.

Die schwierige Nachfolgeplanung

Die Machtballung bei der Familie stand im eklatanten Gegensatz zu allem, was Schwab an Konferenzen und in Publikationen zu guter Unternehmensführung predigte. Die gesamte Organisation war auf den Gründer und seine Familie ausgerichtet. Die Nachfolgefrage schob er beharrlich vor sich hin.

Starke externe Figuren hatten einen schweren Stand im WEF, der Verschleiss an Managern war beachtlich, auch der frühere deutsche Vize-Kanzler Philipp Rösler hielt es nur wenige Jahre in Genf aus.

Ruhe kehrte erst ein, als der frühere norwegische Aussenminister Börge Brende 2017 operativer Chef wurde. Brende, ein stiller Schaffer und fähiger Manager, gegen aussen aber unscheinbar, erschien als ideale Ergänzung zum Sonnenkönig Schwab.

Bis vor kurzem schien Schwab den Gesetzen der Biologie zu trotzen und kaum zu altern. Nach den Ausfällen während der Pandemie wurde das Davoser Jahrestreffen 2024 zu einem Triumph für den Gründer. Als Vorbereitung für die spätere Ukraine-Friedenskonferenz stand er im Mittelpunkt der Weltpolitik. Wäre Klaus Schwab damals abgetreten, hätte es niemand kritisiert, wenn er im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis bekommen hätte.

Es war der wohl letzte Moment, in dem Schwab sein Schicksal noch in der eigenen Hand hatte. Ab Frühling 2024 wurde er zu einem Getriebenen, dem die Kontrolle über sein Lebenswerk zunehmend entglitt. Immer wieder gab Schwab einen Teil seiner Ämter ab, um sein Erbe zu sichern. Nie freiwillig, immer erfolglos.

Entscheidende Attacke im «Wall Street Journal»

Im Mai 2024 gab er den Titel des Executive Chairman ab und zog sich auf den Posten des Vorsitzenden zurück. Der Grund: Seine Gegner arbeiteten im Versteckten an seiner Demontage. Im «Wall Street Journal» lancierten sie die entscheidende Attacke. Ende Juni 2024 publizierte die Zeitung eine gross angelegte Recherche, in der mehr als ein Dutzend Betroffene schwere Vorwürfe gegen Schwab erhoben und dem WEF ein «toxisches Arbeitsklima» unterstellten.

Schwab soll versucht haben, die Publikation des Artikels mit einem Protestschreiben an die Herausgeber zu verhindern. Vergebens. Der Artikel schlug in Cologny ein wie eine Bombe. Die Vorwürfe wogen so schwer, dass Brende und der Stiftungsrat handeln mussten. Sie betrauten Holder mit der erwähnten Untersuchung.

Frühere Mitarbeiter des WEF und Personen aus dem Umfeld der Organisation beurteilen die Vorwürfe unterschiedlich. Die Behauptung, dass Klaus oder Hilde Schwab Stiftungsgelder für private Zwecke abgezweigt hätten, sei «Schwachsinn», sagt ein langjähriger WEF-Kenner.

Andere, auch Personen, die Schwabs Leistung hoch schätzen, sagen hingegen, dass der Gründer die Linie zwischen der Organisation und seinem Privatleben vermischt habe. Schwab sei stets hart gegen sich selbst und gegen andere gewesen, der Umgang mit Widerspruch gehöre nicht zu seinen Stärken.

Bereits in der Zeit, als Holder noch seine Untersuchung führte und Dutzende von WEF-Mitarbeitern befragte, büsste Schwab an Macht ein, das Familienimperium zeigte Zerfallserscheinungen. Nicole Schwab trat im vergangenen Dezember aus der WEF-Führung zurück. Auf Linkedin präsentiert sie sich jetzt als «Social Entrepreneur» und Co-Gründerin einer Organisation, die sich für die Entstehung einer «Wirtschaft im Dienste des Lebens» einsetzt.

Schwab selbst reagierte vor wenigen Wochen mit einem weiteren Teilrückzug: Er werde bis Anfang 2027 ganz abtreten, kündigte er an. Das Kalkül dahinter: Er hätte sich die nötige Zeit verschafft, um seine Wunschkandidatin Christine Lagarde als Nachfolgerin zu installieren. Dann läuft Lagardes Mandat als EZB-Chefin ab.

Reorganisation führte zu Konflikt

Im März legte Holder seinen Abschlussbericht vor. Das WEF hält ihn bis heute unter Verschluss. Die Organisation liess einzig verlauten, dass die externen Juristen «keine Rechtsverstösse des Forums» festgestellt hätten. Auch seien die Vorwürfe des Fehlverhaltens des Gründers Klaus Schwab nicht bestätigt worden. Gleichzeitig war jedoch von «Führungs- und Managementproblemen» die Rede.

Holder forderte eine Reorganisation, um die Macht breiter abzustützen. Dazu sollten etwa die «Portfolios, Rollen und Verantwortlichkeiten» aller Geschäftsführer überprüft und neu bewertet werden. Vor wenigen Tagen wurden die Anpassungen auf der Website des World Economic Forum sichtbar: Zum bestehenden Managing Board und dem Executive Committee kamen acht zusätzliche Managing Directors hinzu.

Die Reorganisation führte zu einer Auseinandersetzung von Schwab mit dem CEO Brende und Peter Brabeck-Letmathe, dem früheren Nestlé-Präsidenten und heutigen Vizepräsidenten des Stiftungsrates. Schwab bekämpfte die Reform, weil er einen bürokratischen Wasserkopf befürchtete. Zudem missfiel ihm die Aussortierung seines Sohnes.

Klaus Schwab drohte mit Klage

Über Ostern eskalierte der Konflikt. Erneut hatten sich Whistleblower gemeldet, sie forderten Schwabs sofortigen Rücktritt, sonst würden sie mit neuen Vorwürfen an die Öffentlichkeit gehen. Die drei Mitglieder des Prüf- und Risikoausschusses, angeführt vom Axa-CEO Thomas Buberl, stuften die Vorwürfe als gravierend genug ein, um eine weitere externe Untersuchung einzuleiten. Dies teilten sie dem gesamten Stiftungsrat mit.

Als Schwab davon erfuhr, reagierte er ungehalten. Laut informierten Quellen drohte er den drei Mitgliedern des zuständigen Stiftungsratsausschusses am Karfreitag mit einer Strafanzeige, sollten sie nicht von ihrem Vorhaben abrücken und sich dafür beim ganzen Stiftungsrat entschuldigen. Dafür räumte er ihnen eine Frist von 24 Stunden ein.

Schwabs Drohung wurde zum Bumerang. Die Mitglieder des Risikoausschusses leiteten die Droh-E-Mail an den gesamten Stiftungsrat weiter, was dazu führte, dass sich die 27 hochrangigen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Kultur einhellig gegen ihren Vorsitzenden stellten und Schwab zum sofortigen Rücktritt aufforderten.

Schwab musste erfahren, dass er in seiner eigenen Organisation jeglichen Rückhalt verloren hatte. Er kapitulierte, am Ostermontag zog er sich von allen Ämtern zurück.

Doch das genügte Schwabs Gegnern nicht. Sie wollten ihn öffentlich demontieren: Die Vorwürfe gegen ihn, seine Frau und seinen Sohn wurden trotzdem publik. Schwabs Ruf ist ramponiert. Auf der Website des WEF ist sein Bild bereits verschwunden.

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