Mit viel Willen und Wettkampfglück schaffen die Seeländer die grosse Überraschung: Die Stufe Final hat zuvor noch nie ein Klub aus der drittklassigen Promotion League erreicht. YB erdauert derweil die nächste Ernüchterung.

So etwas hat der Schweizer Klubfussball noch nie geboten. Weil dem so ist, muss vom Unterklassigen in diesem denkwürdigen Cup-Halbfinal alles erlitten und erzittert werden. Bis zur 120. Minute, nein, sogar bis zur 125. Minute. Am Ende der Verlängerung folgt das aufgrund des Spielgeschehens Unvermeidbare: YB gleicht zum 1:1 aus und gibt sich kollektiv exzessivem Jubel hin.

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Doch es wäre nicht dieser sporthistorische 26. April 2025, wenn der Match vor 6000 Personen im Bieler Stadion (Rekordkulisse) nicht nochmals eine Wende nehmen würde. Das tut er, weil dem YB-Spieler Felix Tsimba vor dem Torschuss der Ball an die Hand gesprungen ist. Der Videoschiedsrichter meldet sich, der Ausgleich wird aberkannt.

Sekunden danach brechen die emotionalen Dämme. Der FC Biel, der Spitzenklub der drittklassigen Promotion League, schafft mit Kampfkraft und Dusel das kleine Seeländer Wunder und verwehrt mit vereinten Kräften YB den Einzug in den Cup-Final, bringt YB um die mögliche Rettung einer irgendwie verkorksten Saison. Der FC Biel ganz gross. Im Viertelfinal den FC Lugano ausgeschaltet, jetzt YB. Kein einziges Mal ist bis dato ein Klub von dieser Stufe in einem Schweizer Cup-Final gestanden.

YB holt sich den neunten Platzverweis der Saison

Das ist ein Höhepunkt in der Bieler Vereinsgeschichte, neben dem weit zurückliegenden Meistertitel 1947 und der ersten Cup-Final-Teilnahme 1961. Nach dem Match steht der Klubpräsident Dietmar Faes auf dem Rasen, gibt Interview um Interview und wird immer heiserer. Er denkt in diesem Moment «an den Klub, an die Stadt, an die Region und ans Seeland» und fügt an: «Wir haben gekämpft – und auch Glück gehabt.»

Natürlich beansprucht der Unterklassige das Wettkampfglück, wie an gleicher Stelle im Viertelfinal. Dank dem Videoschiedsrichter wird in der ersten Halbzeit ein YB-Tor wegen Offside aberkannt. In der 77. Minute wird der YB-Spieler Kastriot Imeri wegen einer Notbremse des Feldes verwiesen. Es ist bezeichnenderweise der bereits neunte YB-Platzverweis in dieser Saison.

Kurz vor Schluss der Verlängerung trifft Lukasz Lakomy nur die Latte, verfehlt Chris Bedia das Tor um Zentimeter. Danach folgt als Kulmination des verdichteten YB-Malheurs die Szene mit der Hand Tsimbas.

Biel erhält einen umstrittenen Penalty zugesprochen

Alles läuft für die Bieler, auch der Penaltyentscheid, der in der 99. Minute zum 1:0 führt. Der YB-Goalie David von Ballmoos eilt aus dem Tor, zögert und bremst ab, worauf der anrennende Loïc Socka Bongué abhebt und durch die Luft fliegt. Der Schiedsrichter rechtfertigt sich danach mit der Aussage, dass er gute Sicht gehabt und einen Kontakt «wahrgenommen und gehört» habe.

Da sind zwei Dinge zusammengekommen: Die Unsicherheit von David von Ballmoos, der in dieser Saison zum Goalie Nummer 2 degradiert worden ist. Sowie die Flugkunst und der Instinkt Bongués. Den siegbringenden Penalty verwertet Malko Sartoretti.

Auf jeden Fall werden die Young Boys nach der grössten Cup-Blamage ihrer Geschichte mit Grundsätzlichem konfrontiert. Der missratene Halbfinal ist ein weiteres Sinnbild für eine Spielzeit, in der viel verlorengegangen ist. Zum Beispiel die Souveränität und das Selbstverständnis früherer Tage.

Hinterher kämpft der Trainer Giorgio Contini vor den Medien gegen das Offensichtliche an: dass YB zurück ins Reich der vielen Fragen katapultiert worden ist. In Biel den Cup-Final verpassen? Unmöglich, eigentlich. Aber dieser Tage eben nicht ausgeschlossen. Biel wird zum Mahnmal des unbefriedigenden YB-Jahres.

Clermont Foot stärkt Biel entscheidend

Dass es so weit kommt, muss sich der FC Biel am Limit bewegen. Und das tut er. Der Franzose Brian Beyer, jetzt in Biel, 2023 einer der Helden des Aufstiegs des FC Yverdon-Sport, wird mit Beinkrämpfen ausgewechselt. Abdoulaye Coulibaly, der Franzose, der mit einem Sprint am Ursprung des YB-Platzverweises steht, greift sich in der Mitte der Verlängerung an den Oberschenkel und muss ebenfalls raus. Wie etwas später der Flugkünstler Bongué.

Die Bieler sind physisch bisweilen dergestalt durchgebraten, dass sie einen Spieler weniger zu haben scheinen. Und nicht YB. Aber sie halten sich im Kollektiv im Spiel.

Unschwer ersichtlich ist, dass die französische Hilfe das Team auf ein Level hievt, das den Cup-Final möglich macht. Also neben der emotionalen Dampfmaschine Beyer vor allem die Spieler, die vom Partnerklub Clermont Foot 63 zur Verfügung gestellt werden. Coulibaly, Bongué und insbesondere der Mittelfeldspieler Yann Massombo. Zum französischen Netzwerk gehört auch der erst 35-jährige Trainer Samir Chaibeddra.

Biel befindet sich wie Clermont und Lustenau unter dem Dach des Unternehmens Core Sports Capital, das vom Schweizer Fussball-Manager Ahmet Schaefer geleitet wird. Während sich in Clermont-Ferrand und Lustenau für Schaefer die Probleme summieren, bietet Biel das Kontrastprogramm, es steht für einen einzigartigen Höhepunkt, von dem in der Region noch lange erzählt werden wird.

Das Beispiel Biel zeigt eindrücklich, was in der Nische möglich ist. Nicht mit vielen Millionen, aber mit etwas ökonomischem Support, der ein Extra erlaubt. YB setzte 2024 ungefähr 80 Millionen Franken um, Biel zirka eine Million. Solche Vergleiche sind mit Vorsicht zu geniessen, weil der FC Biel in Tat und Wahrheit ein höheres Budget hat.

Dass auf der Stufe Promotion League die Löhne für gestandene Fussball-Professionals phantasievoll zusammengeschustert werden, ist eine weitherum bekannte Praxis. Der FC Biel wird zudem teilweise direkt von Core Sports Capital alimentiert.

Eigentlich möchte Biel in die Challenge League aufsteigen

So werden am Samstag Märchen wahr. «Bieu isch ä Cupmannschaft» steht in grossen Lettern vor der Bieler Fankurve. Und zum Start ist dort «Chline Verein, grossi Tröim» zu lesen. In einem Trailer des Schweizerischen Fussballverbands ist von der «Magie des Schweizer Cups» die Rede, von den Kleinen, die den Grossen zusetzen. Oft genug ist es andersherum. Aus den Stadionlautsprechern dröhnt «Highway to Hell». Am Ende, als sich der FC Biel bis zur Heiserkeit feiert, folgt das unvermeidliche «We Are the Champions». So weit ist es noch nicht.

Für Core Sports Capital ist vor allem wichtig, dass Biel in die Challenge League aufsteigt und interessanter für Spieler(-Transfers) wird. Das hat Schaefer durchblicken lassen. Werden der Präsident Faes und der Sportchef Oliver Zesiger am späten Samstagabend mitten in der Bieler Glückseligkeit darauf angesprochen, antworten sie deckungsgleich: «Er hat recht.»

Der Cup-Final ist auch nicht schlecht, ein einträglicher PR-Coup. Aber er absorbiert Energie und macht das Vorhaben Aufstieg nicht einfacher.

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