Sonntag, Oktober 27

Wie speichert der Boden CO2 am besten? Warum versprüht der Bauer Markus Dönz einen geheimnisvollen Cocktail in seinem Stall? – Die Bündner Klimabauern testen vierzig Ideen, um ihre Treibhausgase zu reduzieren.

Die Bauern und die Umwelt: Das ist eine komplizierte Beziehung. Kein anderer Berufsstand arbeitet so intensiv in der Natur und leidet so stark, wenn sie aus den Fugen gerät. Und doch bekämpft die Interessenvertretung der Bauern in Bundesbern zurzeit jede Massnahme für einen besseren Schutz der Umwelt. Gerade erst hat sie die Vorschrift, dass Landwirte auf ihrem Ackerland mehr Flächen für die Natur ausscheiden müssten, versenkt. Und im Frühling verkündeten einige Bauern auf Demonstrationen trotzig, von Bio wollten sie jetzt gar nichts mehr wissen. Zuerst müsse der Milchpreis rauf.

Ideen von Bauern, nicht von Klimaforschern

Doch es gibt auch Bauern und Bäuerinnen, denen die Umwelt und der Kampf gegen den Klimawandel am Herzen liegen. Im Kanton Graubünden haben sie das Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» lanciert. Es funktioniert wie ein grosses Freiluftlabor: In vierzig Projekten werden Massnahmen zur Reduktion von Klimagasen in der Landwirtschaft erprobt, mit wissenschaftlicher Begleitung. Das Besondere daran: Die Ideen stammen nicht von Klimaforschern oder Agrarexperten, sondern von den Praktikern: den Bauern selbst.

Christjohannes Gilli bewirtschaftet einen Biohof in Sufers. An diesem sonnigen Morgen sticht er mit der Schaufel in die Wiese. Im Hintergrund leuchtet der Sufnersee. Erst als der junge Bauer mit beiden Stiefeln auf die Klinge steht, senkt sich die Schaufel tief genug in den Boden. Das Stück Erde, das er ausgräbt, sieht nach nichts Besonderem aus: krümelige Erde, Wurzeln, ein Regenwurm. Aber Gilli sagt: «Das ist guter Humus.» Die vielen Wurzeln würden CO2 aus der Luft in den Boden verfrachten. Die Krümel und die Poren könnten Luft und Wasser aufnehmen.

Auf einer Wiese nebenan, wo der Acker letztes Jahr noch mit einem Traktor bearbeitet wurde, sieht es anders aus. Hier ist der Untergrund dichter und bildet keine Krümel. «Dieser Boden ist weniger lebendig», sagt Gilli. In einem Agronomiestudium oder in der Lehre erfahre man zu wenig zum Thema Boden. Sein Wissen hat er sich in den Kursen des Bündner Klimaprojekts angeeignet.

Christjohannes Gilli tüftelt in Sufers am optimalen Boden herum. Er soll nicht nur möglichst fruchtbar sein, sondern auch viel CO2 speichern können.

Der Boden sei zentral, wenn man die Klimabilanz der Landwirtschaft verbessern wolle, sagt Gilli. Guter Boden hilft den Bauern aber auch, die Auswirkungen der Klimaerwärmung besser zu verkraften, indem er Wasser speichert. Gilli sagt, in langen Hitzeperioden wie im Sommer 2023 sei dies zentral. Ebenso, wenn es dauernd regne, wie in diesem Frühling. Deshalb treibt er viel Aufwand, um seine Böden zu verbessern.

Statt Mist auf die Felder auszubringen, macht Christjohannes Gilli daraus Kompost. Ein langgezogener Hügel erstreckt sich zwischen der Landstrasse und dem Ufer des Sufnersees, zugedeckt von einem Vlies. Darunter dampft es, weil biologische Prozesse im Gang sind. Zu den Exkrementen seiner Kühe hat Gilli tonhaltige Erde gemischt, dazu Kompost und Grüngut aus der Gemeinde. Der Stallgeruch ist schon fast nicht mehr zu riechen, und nach insgesamt acht Wochen wird der Kompost bereit sein für die Verteilung auf Wiesen und Äckern.

Was funktioniert wirklich?

Wenn Christjohannes Gilli erklärt, wieso das besser ist, wird es kompliziert. Im Prinzip geht es darum, die Bildung von Humus zu fördern. Denn dieser besteht zu einem grossen Teil aus Kohlenstoff. Wird der Kohlenstoffanteil grösser, kann der Boden mehr Nährstoffe, Wasser und mehr CO2 speichern. Bringt der Bauer einfach Mist und Gülle aus, werden die Nährstoffe von den Organismen im Boden nicht optimal verwertet. Der Umweg über Kompost soll den Humusaufbau ankurbeln. So weit die Theorie, die Gilli nun in der Praxis erprobt.

Die treibende Kraft hinter dem Klimaprojekt ist Claudio Müller vom Maschinenring Graubünden. Diese Organisation koordiniert nicht nur Maschinen- und Personaleinsätze, sie versteht sich auch als Selbsthilfeorganisation der Bauern. Der Klimawandel sei etwas, wogegen man sich wappnen müsse, sagt Müller. «Die Bauern wollen nicht immer gescholten werden, sondern Teil der Lösung sein.» Nach einer ersten Planungsphase mit interessierten Bauern hat der Kanton Graubünden beschlossen, das Projekt während einer fünfjährigen Pilotphase finanziell zu unterstützen.

Wenn Bauern Ideen pitchen

Danach gab es einen Pitch: Die Bauern und Bäuerinnen mussten darlegen, weshalb und mit welchen Ideen sie sich für das Klimaprojekt engagieren wollten. Ist die Idee innovativ? Klimarelevant? Und lässt sie sich multiplizieren? Aus über 120 Bewerbungen wurden 50 Pilotbetriebe ausgewählt. Die Projekte reichen von Tierhaltung, Pflanzenbau über Energieproduktion bis zum Energieverbrauch. Ende 2025 wird Bilanz gezogen.

Gülle und Mist: Jeder Bauer, weiss, was das ist, könnte man meinen. Aber Markus Dönz sagt: «Eigentlich hat man wenig Ahnung davon.» Mit seiner Frau führt Dönz den Birkenhof in Urmein am Heinzenberg. Er wolle das beste Fleisch der Welt machen, sagt er. Auf seinen steilen Weiden grasen japanische Wagyu-Rinder. Dahinter erheben sich schneebedeckte Berggipfel. Das marmorierte Fleisch der schwarzen Rinder begeistert Geniesser, die dafür einen Liebhaberpreis bezahlen. «Ich versuche, die Tiere im Einklang mit der Natur zu halten», sagt er.

Dass die Kuh immer wieder als «Klimakiller» dargestellt wird, weil sie Methan ausscheidet, ärgert ihn. Die Bergwiesen könne man gar nicht anders nutzen, deswegen werde hier seit Jahrhunderten Vieh gezüchtet, in einem natürlichen Kreislauf. Trotzdem macht Dönz bei den Klimabauern mit. «Mir gefällt, dass hier die Bauern das Sagen haben.» Wäre es ein Projekt des Bundesamts für Landwirtschaft oder der Forschungsanstalt Agroscope gewesen, hätte er sich nicht gemeldet. «Wir sollten tun, was wir können, und auch Neues ausprobieren», findet er. Dann könne jeder Bauer selbst entscheiden, was er nachmachen wolle.

Ein geheimnisvolles Gebräu

So hat sich Dönz ins Thema Gülle und Mist vertieft. Die Exkremente der Kuh stechen nicht nur unangenehm in die Nase. Sie enthalten auch klimaschädliche Gase wie Methan oder Lachgas und Ammoniak, das ungesund ist für die Tiere im Stall. Die Stickstoffverbindungen, die sie enthalten, lagern sich auch in der Umwelt ab und führen zur Überdüngung von Naturlandschaften. Markus Dönz’ Mittel dagegen kommt aus einem Plastikbehälter: ein brauner Saft, dessen süss-säuerlicher Geruch an hochkonzentrierten sauren Most erinnert.

Markus Dönz sagt, er trinke selbst jeden Morgen ein Schnapsgläschen davon, weil ihm das gut bekomme. Das Gebräu heisst EM, was für effektive Mikroorganismen steht. Wie bei Coca-Cola ist die Zusammensetzung geheim, und wie Dönz’ Wagyu-Rinder stammt es aus Japan, wird aber mittlerweile auch in der Schweiz hergestellt, beziehungsweise aus einer Grundsubstanz vermehrt.

Immer wenn die Tiere im Stall des Birkenhofs stehen, versprühen mehrere Düsen im Stundenrhythmus einen Nebel aus EM. Dass EM wie ein Deodorant wirken, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt. Der Hauptzweck der Mikroorganismen ist die Neutralisierung der Gase, wobei noch nicht erforscht ist, wie das genau funktioniert. Es ist ja auch nicht ganz einfach, einen Kuhstall in ein wissenschaftliches Labor zu transferieren.

Für Markus Dönz ist aber klar: Seine Kühe sind ausserordentlich fit, seit er dieses biologische Wundermittel einsetzt. Auch die Gülle, die er auf die Felder ausbringe, sei von besserer Qualität. Der verhasste Sauerampfer, der auf überdüngten Wiesen als eine Plage gilt, sei praktisch verschwunden. Einen «gesunden Kreislauf», nennt Dönz es, wenn die eingesetzten Organismen den Stoffwechsel rund um die Versorgung der Kühe stimulieren.

Dönz ist nicht demonstrieren gegangen gegen die Agrarpolitik des Bundes. Er sagt, er sei zufrieden. Edles Rindfleisch lässt sich direkt vermarkten. Auch seine prächtigen schwarzen Alpenschweine, die beim Umgraben der Wiese Ungeziefer und Unkraut fressen, sind begehrt. Für das Fleisch der selten gewordenen alten Rasse bekommt er 40 Franken pro Kilogramm. Das ist doppelt so viel, wie man im Supermarkt für Koteletts bezahlt. Seine Kunden ässen einfach weniger oft Fleisch, vermutet Dönz. Dann laufe es auf dasselbe hinaus.

Daniel Bretscher ist bei der Forschungsanstalt Agroscope für die wissenschaftliche Begleitung des Bündner Klimaprojekts zuständig. «Bezüglich Klima stehen wir in der Landwirtschaft noch ziemlich am Anfang», sagt er. Es werde zwar viel geforscht, aber die Umsetzung in der Praxis sei eine Herausforderung. «Deswegen sind wir froh über das gross angelegte Projekt in Graubünden, das uns Antworten verspricht auf die Frage: Tragen die theoretischen Ideen?»

Den Erfolg nach der fünfjährigen Pilotphase genau zu messen, sei schwierig, sagt der Agrarexperte. Man könne zwar den Benzin-Mäher durch einen elektrischen ersetzen und das eingesparte CO2 exakt beziffern. Aber sobald es um biologische Prozesse gehe, werde es komplex.

Doch Massnahmen, die auf Effizienzsteigerung zielten, brächten in der Regel auch etwas fürs Klima. Beispielsweise, wenn die Tiere gesünder würden und damit produktiver. Oder wenn nahrhafteres Gras wachse, weil der Boden die richtigen Nährstoffe liefere.

Sieht der Bauer den Vorteil, macht er mit

Auch Dönz räumt ein, dass es schwierig ist, die Vorteile seiner Mikroorganismen klar zu dokumentieren. Aber er ist überzeugt: «Wenn ein Betriebsleiter nach dem anderen den Nutzen sieht, wird sich diese Praxis durchsetzen.»

Für die Klimabauern gilt das Gleiche wie in anderen Branchen: Innovation entsteht, wenn man etwas ausprobiert und die Erfahrungen mit anderen teilt. Das soll nach 2025 erfolgen. Für diese Periode steht auf dem Programm der Klimabauern: «Expansionsphase». Schweizweit stammen 13 Prozent der Treibhausgase aus der Landwirtschaft. Das ambitionierte Ziel ist, diesen Anteil zu verkleinern.

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