Sonntag, Oktober 6

Eine Firma bietet Gentests, Kältekammern und Blutzuckermessungen an. Doch wird damit die Lebensqualität tatsächlich erhöht?

Als Tobias Reichmuth richtig ins Schwitzen kommt, will er ein Foto von sich. Er sitzt in einem schmucklosen Raum mit Atemmaske auf einem Velo-Ergometer und muss bis zur Erschöpfung strampeln. Aber die Energie reicht noch für ein «Daumen hoch» in die Handykamera. Hinter der mit einem Vorhang verdeckten Glasscheibe gehen Passanten an der Uraniastrasse in der Zürcher Innenstadt vorbei.

Reichmuth, gemäss «Bilanz» mit einem geschätzten Vermögen von 125 Millionen Franken einer der 300 reichsten Menschen in der Schweiz, will es wissen: Wie fit ist er wirklich?

Er kennt die Antwort schon: sehr fit. Aber er will es sich noch einmal schwarz auf weiss bestätigen lassen. Reichmuth befindet sich in der neuen Longevity-Klinik Ayun, die Ende Juli eröffnet wird. Ein Gerät misst, wie viel Sauerstoff Reichmuths Körper bei maximaler Belastung aufnehmen und verwerten kann, und berechnet daraus den sogenannten VO2-max-Wert – einen wichtigen Parameter für Leistungssportler.

Reichmuth ist kein Leistungssportler, sondern Investor. Mit seinem Unternehmen Maximon hat er vier Millionen Franken in die Klinik eingelegt.

Möglichst lang möglichst gesund leben: Reichmuth sieht in Longevity den grössten Markt des 21. Jahrhunderts. Und er ist nicht der Einzige. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman etwa gründete die Stiftung Hevolution und investiert jedes Jahr eine Milliarde Dollar in die Langlebigkeitsforschung.

In Zürich sagt der Investor Reichmuth: «Wir wollen Langlebigkeit demokratisieren.» In diesem Geschäftsfeld wurde bis vor wenigen Jahren vor allem eine reiche Klientel bedient. Im Luxussegment kosten Klinikaufenthalte Zehntausende von Franken pro Woche.

Aber auch Ayuns Angebote können sich nicht alle leisten: Die Kostenspanne reicht von 3300 Franken für einen «Longevity Check» bis zu 8900 Franken für eine zwölfmonatige «Advanced Membership». Die Klinik zielt auf eine Kundschaft ab, die nicht nur einmal vorbeikommt, sondern regelmässige «Treatments» bucht.

Ein Millionär und sein Kampf gegen das Alter

Keiner treibt das Prinzip von Longevity so weit wie Bryan Johnson, ein exzentrischer Millionär aus den USA. Der Mann gibt jedes Jahr nach eigenen Angaben bis zu zwei Millionen Dollar aus, um sein Lebensmotto Realität werden zu lassen: «Don’t die».

Danach richtet Johnson sein ganzes Leben aus. Er ernährt sich streng vegan, isst ab elf Uhr morgens nichts mehr, schluckt über 100 Pillen am Tag, treibt stundenlang Sport und experimentiert mit allerlei Methoden, mit deren Hilfe er sich eine Verjüngung seines Körpers erhofft: Gentests, Blutanalysen, Rotlichttherapie, Darmspiegelungen.

Eine Zeitlang liess sich Johnson Infusionen mit Blutplasma seines Sohnes geben. Allerdings zeigte die Massnahme keinen Effekt, also hörte er damit wieder auf. Johnsons Körper altert laut eigenen Angaben in einem Jahr nicht um 365, sondern lediglich um 252 Tage. Der 46-Jährige sagt, sein biologisches Alter liege bei 40 Jahren.

Johnson sieht sich selber als eine Art Wissenschaftsprojekt, das er öffentlich dokumentiert. Er bewegt sich in einer Welt, in der Zahlen alles darüber aussagen, wie gesund jemand ist.

Auch Reichmuth sagt: «Ich liebe es, wenn etwas gemessen wird.» Der Investor ist 45 Jahre alt. Aber sein biologisches Alter sei 38, sagt er.

Sein Vo2-max-Wert, das hat der Test auf dem Velo-Ergometer ergeben, beträgt 49,0. Auf der Skala bedeutet das ein «sehr gut». Er nimmt es mit Befriedigung zur Kenntnis. Bryan Johnson erreicht einen Wert von 58,7. «Aber der tut auch nichts mehr, was Spass macht», sagt Reichmuth, der ihn persönlich kennt.

Ayun ist nach eigenen Angaben das erste Walk-in-Angebot. Eintritt in die Kältekammer (rechts).

Eine Ärztin sagt: «Ewiges Leben ist nicht das Ziel»

In den USA ist das Geschäft mit Langlebigkeit längst etabliert. Nicht so in der Schweiz. Ayun ist nach eigenen Angaben das erste Walk-in-Angebot. Hier soll die «Demokratisierung» von Longevity an einer stark befahrenen Seitenstrasse nahe der Zürcher Bahnhofstrasse stattfinden.

Wenige Tage vor der Eröffnung liegt Reichmuths Hund Fritz auf einer Decke im Entrée und schläft. Bald wird er hier Hausverbot haben, Tiere machen sich nicht gut in einer Umgebung mit medizinischen Geräten. Ayun, was auf Arabisch Quelle bedeutet, hat eine Kliniklizenz.

Doch Spitalatmosphäre soll nicht verbreitet werden. Die Einrichtung erinnert an ein Spa: Im Warteraum stehen ein crèmefarbenes Sofa, Tische und Stühle wie in einer Bar. Zerlesene Klatschmagazine wie beim Arzt fehlen, dafür liegen in einem Kühlschrank Getränke bereit. Von der Decke hängen Pflanzen.

Die Leute, die zahlreich hierherkommen sollen, werden denn auch nicht Patienten genannt, sondern Member. Über 1000 Personen hätten sich schon angemeldet, sagt die medizinische Leiterin und Ärztin Leonie Bode.

Auch sie ist überzeugt: Longevity-Zentren wie Ayun haben ein grosses Potenzial. Sie sollen eine Lücke im Schweizer Gesundheitswesen füllen, das darauf fokussiert, Kranke zu behandeln, statt in die Prävention zu investieren. Dies, findet Bode, sei der falsche Ansatz. Heute erreichten viele Menschen in der Schweiz zwar ein hohes Alter, sie verbrächten ihre letzten Lebensjahre aber krank.

Das bestätigt ein Blick auf die Statistik. Im Jahr 2022 betrug die Lebenserwartung von Frauen 85,4 und jene von Männern 81,6 Jahre. Die Lebenserwartung bei guter Gesundheit hingegen lag bei 71,2 Jahren (Frauen) beziehungsweise 70,8 Jahren (Männer).

Der körperliche Abbau beginne schon mit dreissig Jahren, sagt Bode. Deshalb sei es so wichtig, möglichst früh auf Prävention zu setzen. Der Investor Reichmuth formuliert es so: «Ewiges Leben ist nicht das Ziel. Sterben ist in Ordnung, aber nicht nach zwölf Jahren Krankheit.»

Am Anfang jeder Behandlung bei Ayun steht ein umfassender Gesundheitscheck mit Gendiagnostik, Blutanalyse und DNA-Untersuchungen, die die Risiken von Krankheiten aufzeigen sollen. Den «Members» wird ein Sensor am Arm angelegt, der während mehreren Tagen den Blutzucker misst. Auf dem Programm stehen zudem ein EKG, ein Fitness- und Krafttest und der sogenannte Dexa-Scan, der mit Röntgenstrahlen die Kn0chendichte sowie die Muskel- und Fettmasse im Körper prüft.

Aufgrund der Resultate wird dann ein persönlicher «Longevity-Plan» erstellt mit Trainingsmöglichkeiten im Center: Angeboten werden unter anderem eine Kältekammer, Rotlicht-Therapie, Sauna, Eisbaden, Personal Training oder Sauerstofftherapie. Die Ärztin Leonie Bode betont, es würden nur Untersuchungen und Behandlungen vorgenommen, deren wissenschaftlicher Nutzen erwiesen sei.

Dass sie mit ihrem Konzept auf dem richtigen Weg zu sein scheint, zeigt ihr der Untersuch eines jungen Mannes am Vortag. Er sei schlank gewesen und habe einen fitten Eindruck gemacht. Aber die Untersuchung der Herzströme mit einem EKG habe eine Auffälligkeit ergeben. «Ich habe ihn dann gleich zum Kardiologen geschickt.»

Zum Angebot gehört im Longevity-Center auch eine Sauna. Und der Körper wird vermessen.

Eine kranke Appenzellerin, die nach dem Auslöser sucht

Gehen Menschen lieber in ein Longevity-Zentrum als zum Arzt?

Auf einem Sofa im Entrée von Ayun sitzt ein Ehepaar in Sportkleidung, neben sich eine Papiertüte mit Sandwiches. Sandra und Kurt Gerber sind aus Appenzell nach Zürich gekommen. Sie gehören zu den Ersten, die das Angebot in der Testphase nutzen. Eigentlich heissen sie anders, ihre richtigen Namen möchten sie nicht nennen. Kurt trägt ein Pflaster in der Armbeuge, er kommt gerade von der Blutabnahme. Sandra hat im Kraftraum einen Test absolviert, der ihre Muskelstärke misst.

Sandra ist 57 Jahre alt. Sie leidet an Eisenmangel und hat Osteoporose, eine Krankheit, bei der die Knochensubstanz im ganzen Körper abgebaut wird. Betroffene haben ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche. So auch Sandra.

Fünf Knochen habe sie sich schon gebrochen, sagt sie. Sandra erzählt von Gesprächen mit Ärzten, die sie als unbefriedigend empfand. Man habe sich kaum Zeit für sie genommen. Was sie besonders stört: «Es ging jeweils nur um die Therapie. Niemand hat mir erklärt, was der Auslöser meiner Osteoporose sein könnte.» War es die Ernährung? Die Genetik? Sandra weiss es nicht.

Hätte sie früher Abklärungen vornehmen lassen, so glaubt sie, wäre ihr gesundheitlicher Zustand heute vielleicht ein anderer. Deshalb lässt sich Sandra nun bei Ayun umfassend untersuchen. Ihr erster Eindruck ist positiv. «Hier kann ich alle Tests an einem Ort machen», sagt sie. Ein Angebot, das kaum ein Hausarzt bieten könne.

Die Altersforscherin sagt: Der Lebensstil ist entscheidend

Auch die Altersforscherin Heike Bischoff-Ferrari sagt: «Unser Gesundheitssystem ist auf Krankheit ausgelegt, statt auf Prävention.» Die Lehrstuhlinhaberin Geriatrie und Altersforschung an der Universität Zürich plädiert für ein neues Konzept. Man müsse den Menschen systemisch betrachten, nicht nur auf einzelne Organe heruntergebrochen. Zentral sei, die Dinge früher zu korrigieren, bevor strukturell zu viel Schaden angerichtet sei.

Die These dahinter: Das Alter ist der Hauptrisikofaktor für die meisten chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf, Diabetes Typ 2 oder Demenz. Die neuen molekularen Messwerte, die sogenannten Biomarker, die den biologischen Alterungsprozess messen, seien dabei zentral, sagt Bischoff-Ferrari: «Sie sind die Grundlage für die Medizin von morgen.»

Allerdings sei die klinische Anwendung noch nicht ausreichend belegt, vor allem bezüglich Messgenauigkeit, sagt sie. Sehr kleine Pilotstudien mit bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern würden aber darauf hinweisen, dass Veränderungen des Lebensstils wie Meditation, mediterrane Diät, Vitamin D oder Bewegung den Alterungsprozess möglicherweise verlangsamen könnten. Nun brauche es dazu den Beleg aus einer grösseren Studie.

«Es forschen viele an der ‹Magic-Pill›, es ist ein Millionen-Wettrennen», sagt Bischoff-Ferrari. Denn auch viele Vertreter der Altersforschung hofften, dass man sich dereinst für ein langes Leben nicht anstrengen muss. Aber der Weg dorthin, davon ist sie überzeugt, führe nur über die Veränderung des Lebensstils: «Zu den bestuntersuchten schützenden epigenetischen Faktoren gehören anhand der heutigen Forschung eine gesunde Ernährung, Bewegung, Schlaf, soziale Interaktion, Meditation und nicht Rauchen.»

Die Altersforscherin beobachtet es «mit gemischten Gefühlen, dass derzeit viele Longevity-Kliniken aufgehen». Wenn jemand diese Messwerte heute bestimmen lasse, geschehe dies auf Selbstzahler-Basis und ohne ausreichende Evidenz. Zugleich begrüsst sie, dass das Thema gesetzt ist. Denn das Bedürfnis, länger gesund und aktiv zu bleiben, sei das zentrale Thema einer älter werdenden Gesellschaft. «Das Ganze muss einfach medizinisch korrekt betreut werden.» Sie selbst arbeitet ein Konzept aus, das universitär verankert ist.

Die Krankenkassen bringen sich in Stellung

Die Tagesklinik in Zürich soll für Ayun erst der Anfang sein. Man will bald expandieren: nach Genf, wo man mit einer kaufkräftigen Klientel rechnet, aber auch ins Ausland.

Hinter der Klinik steht ein ganzes Longevity-Universum. Reichmuth hat mit Marc Bernegger und weiteren Investoren Maximon gegründet. Das Unternehmen investiert auch in einen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, in eine Plattform für Gesundheitsdaten, eine Luxus-Seniorenresidenz sowie eine Online-Plattform für Frauen in den Wechseljahren.

Doch ob das Geschäft mit Longevity in der Schweiz erfolgreich sein wird, hängt von einem entscheidenden Player ab: den Krankenkassen. Heute müssen die Kundinnen und Kunden alle Behandlungen bei Ayun selbst bezahlen.

Reichmuth sagt, das Interesse der Krankenkassen sei gross. «Wir sind in Verhandlungen. Ziel ist, dass die Privatversicherten einen Teil der Kosten abziehen können.»

Dabei gilt es für die Krankenkassen, einen Spagat zu meistern. Einerseits beeinflusst Longevity die Gesundheit positiv, was Kosten dämpft. Andererseits kommt das Ganze mit neuen Leistungen daher, was zu mehr Kosten führt.

Mittelfristig könnte eine längere Lebensdauer sogar zu steigenden Kosten führen. Nämlich in dem Fall, wenn jene Lebensjahre verlängert würden, in denen die Menschen krank seien, schreiben die Wirtschaftsprüfer von Deloitte in einer Studie von diesem Juni.

Der Studienautor Marcel Thom sieht für die Krankenkassen zwei Arten von Produkten: Kurzfristig könnten Longevity-Leistungen über ambulante Zusatzversicherungen rückvergütet werden, ähnlich wie heute die Fitness-Abos. Langfristig seien «Pay as you live»-Zusatzversicherungen denkbar, bei denen Kunden eine günstigere Prämie erhielten, wenn sie mit Longevity-Massnahmen ihre eigene Gesundheit fördern.

Die Herausforderung sei, genau zu definieren, wo die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit liege. Thom sagt: «Wenn Krankenversicherer solche Angebote lancieren, wird eine Nachfrage entstehen. Dies treibt die Kosten in die Höhe.» Krankenversicherer sollten sich darauf konzentrieren, das zu vergüten, wofür es medizinische Evidenz gibt.

Man dürfe beim Thema nicht nur die Kosten betrachten, sagt Martin Eling, Professor für Versicherungsökonomie an der Universität St. Gallen. «Es geschieht hier auch eine Art Selektion.» Wer sich dort anmelde, sei finanzstark, bewusst und gesund, also per se interessant für die Versicherer. Aus Gründen der Solidarität fände es der Professor aber entscheidend, das Wissen um personalisierte Gesundheit einer breiten Bevölkerung zugänglich zu machen.

Das Geheimnis, das Deep Purple jung hält

Zurück zur Altersforscherin Heike Bischoff-Ferrari. Kürzlich hielt sie einen Vortrag am französischen Alterskongress in Toulouse. Anschliessend steuerte sie die Hotelbar an. Irgendwie kamen ihr die Herren, die dort sassen, bekannt vor. Tatsächlich handelte es sich um die Musiker von Deep Purple. Man kam ins Gespräch, die Altstars und die Altersforscherin verbrachten den Abend zusammen. Man debattierte über Longevity und tauschte die Nummern aus.

Tags darauf rief Roger Glover an, der Bassist von Deep Purple, und lud Bischoff-Ferrari zu Konzert und Afterparty ein. «Der Mann ist 78 und absolut cool. Keinen Moment dachte ich, dass er oder die andern auf der Bühne zu alt wären», sagt die Wissenschafterin. An der Afterparty fragte sie ihn, was Deep Purple so jung halte. Die Antwort: «We’re having fun.»

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