Dienstag, Oktober 8

Der Schweizer Nahrungsmittelriese tauscht per sofort seinen Chef aus. Auf den langjährigen CEO Mark Schneider folgt mit Laurent Freixe, bisheriger Leiter des Lateinamerika-Geschäfts, ein Nestlé-Veteran.

Plötzlich ging es schnell: Der einst als Hoffnungsträger an die Spitze von Nestlé geholte Mark Schneider verlässt das Unternehmen. Der Deutsche wird durch den Franzosen Laurent Freixe ersetzt. Dieser soll den weltgrössten Nahrungsmittelkonzern per sofort führen.

Unzufriedenheit mit der Leistung Schneiders hatte es zwar angesichts des schwächelnden Aktienkurses gegeben. Der rasche Austausch des Konzernchefs, den Nestlé am Donnerstag nach Börsenschluss mitteilte, überrascht dennoch.

Ein Veteran übernimmt

Freixe leitete bisher das Lateinamerika-Geschäft von Nestlé. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er früher bereits einmal eine deutlich grössere Verantwortung in der Firma hatte. Er sitzt seit 2008 in der Konzernleitung und war auch einmal Chef der wichtigsten Region Amerika, als bei Nestlé Nord- und Südamerika noch gemeinsam von einem Manager geführt wurden. Zudem hat er auch die zweitwichtigste Region Europa geleitet.

Der neue Konzernchef ist ein Nestlé-Veteran und seit bald vierzig Jahren im Unternehmen tätig. Er hat sich ausgehend von einer Marketingfunktion in Frankreich stetig nach oben gearbeitet, wie das bei Nestlé lange üblich war.

Das unterscheidet ihn von Mark Schneider. Dieser war 2017 als Aussenseiter vom deutschen Gesundheitskonzern Fresenius zu Nestlé gestossen und hatte sich schnell Lob von der Investorenseite für seine Massnahmen geholt.

Intern hat Schneider sich nicht nur Freunde geschaffen, da er auch Privilegien und Seilschaften im Management unter die Lupe nahm.

Ausmisten des Portfolios

Schneider hat verschiedene Teilbereiche abgestossen oder ausgelagert und das Unternehmen stärker fokussiert.

Unter ihm wurde etwa das schwierige Flaschenwassergeschäft in den USA abgestossen, festgehalten hat er beim Wasser hauptsächlich an Premiumprodukten wie San Pellegrino. Ähnlich bei der Schokolade: Dort verkaufte er das amerikanische Süsswarengeschäft an Ferrero.

Ziel war stets, das Sortiment in Richtung gesündere und höhermargige Produkte zu entwickeln. Auch das Geschäft mit pflanzlichen Fleischersatzprodukten lag dem Chef am Herzen.

Ein grosser Deal von Schneider war die Vereinbarung mit der Kaffeekette Starbucks. Für über 7 Milliarden Dollar kaufte Nestlé die Rechte an der Marke, um diese fortan für ihr Kapselgeschäft und den Verkauf von Bohnenkaffee nutzen zu können.

Verschiedentlich hat Schneider zudem Teilbereiche in Joint Ventures ausgelagert, zum Beispiel das amerikanische Speiseeisgeschäft in das Gemeinschaftsunternehmen Froneri. Ebenfalls in ein Joint Venture lagerte er die deutsche Fleischwarenfirma Herta und in Europa die Tiefkühlpizza aus. Diese Konstruktionen haben den Vorteil, dass Nestlé keine Fabriken mehr betreiben muss, weil das der Partner übernimmt.

Fokussierung der Forschung

Zu den Veränderungen, die Schneider bei Nestlé in die Wege geleitet hat, zählten auch Einsparungen und ein Umbau der grossen Forschungsabteilungen, auch in der Schweiz. Auf Schneiders Geheiss sollten sie stärker praxisorientiert arbeiten und rascher sichtbare Resultate liefern. Aber offenbar kamen diese nicht schnell genug.

Einer der Schritte, für die Schneider einst Applaus erhielt, war das Aufräumen im problembeladenen Hautpflegebereich Nestlé Skin Health. Dieser wurde in seiner Amtszeit verkauft. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Firma nun unter dem Namen Galderma als Hoffnungsträger an der Börse gilt.

In letzter Zeit hat die Begeisterung der Anleger für Schneider aber stark nachgelassen, und der Aktienkurs ist deutlich unter Druck geraten. Jüngst enttäuschte der Konzern bei der Präsentation der Halbjahreszahlen, als das Wachstum unter den Erwartungen lag.

Noch im Frühling hatte sich Schneider im Gespräch überzeugt gezeigt, dass bei Nestlé der Wind gedreht habe. Falls dem so wäre, wird er den Erfolg nicht mehr als Chef verbuchen können.

Flops bei der Gesundheit

Es gab aber auch schon früher Enttäuschungen: Nicht erfüllt haben sich zum Beispiel die Hoffnungen im Gesundheitsbereich. Die Sparte Nestlé Health Science hat zwar Firmen im Bereich Nahrungsergänzungsmittel zugekauft, musste aber auch grössere Rückschläge hinnehmen. Einen teuren Flop leistete sich der Konzern mit einem Mittel gegen Erdnussallergie: Er endete in einem Milliardenabschreiber.

Vielleicht ist Schneider auch zum Verhängnis geworden, dass nach den verschiedenen Fokussierungsmassnahmen in den ersten Jahren seiner Amtszeit alle auf den grossen Wurf gewartet haben, der das Unternehmen nachhaltig verändert. Aber dieser ist nie gekommen.

Das Problem bei einem Konzern in der Grösse von Nestlé ist, dass selbst eine milliardenschwere Akquisition unter dem Strich kurzfristig nur wenig verändert – egal, wie zukunftsträchtig oder lukrativ sie ist.

Beunruhigt haben auch die unmittelbaren Aussichten für das Geschäft. Nestlé hatte anlässlich des Halbjahrs die Prognose nach unten korrigieren müssen. Mit ein Grund für die Bedenken ist, dass die Hersteller von Markenprodukten derzeit Gegenwind haben.

Konsumenten haben genug von Preiserhöhungen

Gerade im wichtigen Markt USA sind die Konsumenten je länger, je weniger bereit, weitere Preiserhöhungen hinzunehmen. Viele weichen auf die günstigen Eigenmarken der Detailhändler aus. Für Firmen wie Nestlé sind das schlechte Nachrichten.

Mit ihrer Ansage, gegen «Wucher» bei Lebensmittelpreisen vorzugehen, spielt die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris genau auf diese Ängste bei den Wählern an. Bei einem allfälligen Sieg von Harris dürfte das Leben für Nahrungsmittelkonzerne nicht einfacher werden.

Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke wird in der Mitteilung mit den Worten zitiert, Laurent Freixe, der neue CEO, habe «bewiesen, dass er in der Lage ist, unter schwierigen Marktbedingungen Ergebnisse zu liefern». Und: «Laurent ist genau die Führungskraft, die Nestlé jetzt braucht» – ein Hinweis, dass der Verwaltungsrat Schneider nicht zutraute, die Wende zu schaffen.

Bulcke lobt zwar die «herausragende, beständige Führung in turbulenten Zeiten» seines eigenen Nachfolgers Schneider. Mit dem einzigen konkreten Satz, dass dieser massgeblich zu den grossen Fortschritten in der Nachhaltigkeitsagenda beigetragen habe, gibt der Nestlé-Präsident auch zu verstehen, dass es aus seiner Sicht in geschäftlicher Hinsicht wenig von der Ära Schneider hervorzuheben gibt.

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